er es zwar in seinem eigenen Buche so klar und schön dargethan, daß heute die Individuen nichts mehr gelten, daß selbst Voltaire und Rousseau von keiner Bedeutung wären, weil jetzt die Chöre handelten und die Personen sprächen. Was sind wir denn, wenn wir viel sind? Nichts als die Herolde des Volks. Wenn wir verkündigen und mit lauter ver¬ nehmlicher Stimme, was uns, jedem von seiner Parthei aufgetragen, werden wir gelobt und belohnt; wenn wir unvernehmlich sprechen, oder gar verräthe¬ risch eine falsche Botschaft bringen, werden wir getadelt und gezüchtigt. Das vergißt eben Heine, und weil er glaubt, er wie mancher Andere auch, könnte eine Parthei zu Grunde richten, oder ihr aufhelfen, hält er sich für wichtig; sieht umher wem er gefalle, wem nicht; träumt von Freunden und Feinden, und weil er nicht weiß wo er geht und wohin er will, weiß er weder wo seine Freunde noch wo seine Feinde stehen, sucht sie bald hier, bald dort, und weiß sie weder hier noch dort zu finden. Uns an¬ dern miserabeln Menschen, hat die Natur zum Glücke nur einen Rücken gegeben, so daß wir die Schläge des Schicksals nur von einer Seite fürchten; der arme Heine aber hat zwei Rücken, er fürchtet die Schläge der Aristokraten und die Schläge der Demo¬
er es zwar in ſeinem eigenen Buche ſo klar und ſchön dargethan, daß heute die Individuen nichts mehr gelten, daß ſelbſt Voltaire und Rouſſeau von keiner Bedeutung wären, weil jetzt die Chöre handelten und die Perſonen ſprächen. Was ſind wir denn, wenn wir viel ſind? Nichts als die Herolde des Volks. Wenn wir verkündigen und mit lauter ver¬ nehmlicher Stimme, was uns, jedem von ſeiner Parthei aufgetragen, werden wir gelobt und belohnt; wenn wir unvernehmlich ſprechen, oder gar verräthe¬ riſch eine falſche Botſchaft bringen, werden wir getadelt und gezüchtigt. Das vergißt eben Heine, und weil er glaubt, er wie mancher Andere auch, könnte eine Parthei zu Grunde richten, oder ihr aufhelfen, hält er ſich für wichtig; ſieht umher wem er gefalle, wem nicht; träumt von Freunden und Feinden, und weil er nicht weiß wo er geht und wohin er will, weiß er weder wo ſeine Freunde noch wo ſeine Feinde ſtehen, ſucht ſie bald hier, bald dort, und weiß ſie weder hier noch dort zu finden. Uns an¬ dern miſerabeln Menſchen, hat die Natur zum Glücke nur einen Rücken gegeben, ſo daß wir die Schläge des Schickſals nur von einer Seite fürchten; der arme Heine aber hat zwei Rücken, er fürchtet die Schläge der Ariſtokraten und die Schläge der Demo¬
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er es zwar in ſeinem eigenen Buche ſo klar und
ſchön dargethan, daß heute die Individuen nichts
mehr gelten, daß ſelbſt Voltaire und Rouſſeau von
keiner Bedeutung wären, weil jetzt die Chöre handelten
und die Perſonen ſprächen. Was ſind wir denn,
wenn wir viel ſind? Nichts als die Herolde des
Volks. Wenn wir verkündigen und mit lauter ver¬
nehmlicher Stimme, was uns, jedem von ſeiner
Parthei aufgetragen, werden wir gelobt und belohnt;
wenn wir unvernehmlich ſprechen, oder gar verräthe¬
riſch eine falſche Botſchaft bringen, werden wir
getadelt und gezüchtigt. Das vergißt eben Heine,
und weil er glaubt, er wie mancher Andere auch, könnte
eine Parthei zu Grunde richten, oder ihr aufhelfen,
hält er ſich für wichtig; ſieht umher wem er gefalle,
wem nicht; träumt von Freunden und Feinden, und
weil er nicht weiß wo er geht und wohin er will,
weiß er weder wo ſeine Freunde noch wo ſeine
Feinde ſtehen, ſucht ſie bald hier, bald dort, und
weiß ſie weder hier noch dort zu finden. Uns an¬
dern miſerabeln Menſchen, hat die Natur zum Glücke
nur einen Rücken gegeben, ſo daß wir die Schläge
des Schickſals nur von einer Seite fürchten; der
arme Heine aber hat zwei Rücken, er fürchtet die
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/153>, abgerufen am 19.05.2024.
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