Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.habe. Den verzärtelten Heine bei seiner Sybariti¬ Heine hat in meinen Augen so großen Werth, habe. Den verzärtelten Heine bei ſeiner Sybariti¬ Heine hat in meinen Augen ſo großen Werth, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0152" n="140"/> habe. Den verzärtelten Heine bei ſeiner Sybariti¬<lb/> ſchen Natur kann das Fallen eines Roſenblattes im<lb/> Schlafe ſtören; wie ſollte er behaglich auf der Frei¬<lb/> heit ruhen, die ſo knorrig iſt? Er bleibe fern von<lb/> ihr. Wen jede Unebenheit ermüdet, wen jeder<lb/> Widerſpruch verwirrt macht, der gehe nicht, denke<lb/> nicht, lege ſich in ſein Bett und ſchließe die Augen.<lb/> Wo giebt es denn eine Wahrheit, in der nicht etwas<lb/> Lüge wäre? Wo eine Schönheit, die nicht ihre<lb/> Flecken hätte? Wo ein Erhabenes, dem nicht eine<lb/> Lächerlichkeit zur Seite ſtünde? Die Natur dichtet<lb/> ſelten, und reimet niemals; wem ihre Proſa und<lb/> ihre Ungereimtheiten nicht behagen, der wende ſich<lb/> zur Poeſie. Die Natur regiert republikaniſch, ſie<lb/> läßt jedem Dinge ſeinen Willen, bis zur Reife der<lb/> Miſſethat, und ſtraft dann erſt. Wer ſchwache<lb/> Nerven hat und Gefahren ſcheut, der diene der<lb/> Kunſt, der abſoluten, die jeden rauhen Gedanken<lb/> ausſtreicht, ehe er zur That wird, und an jeder<lb/> That feilt, bis ſie zu ſchmächtig wird zur Miſſethat.</p><lb/> <p>Heine hat in meinen Augen ſo großen Werth,<lb/> daß es ihm nicht immer gelingen wird ſich zu über¬<lb/> ſchätzen. Alſo nicht dieſe Selbſtüberſchätzung mache<lb/> ich ihn zum Vorwurfe, ſondern daß er überhaupt<lb/> die Wirkſamkeit einzelner Menſchen überſchätzt, ob<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [140/0152]
habe. Den verzärtelten Heine bei ſeiner Sybariti¬
ſchen Natur kann das Fallen eines Roſenblattes im
Schlafe ſtören; wie ſollte er behaglich auf der Frei¬
heit ruhen, die ſo knorrig iſt? Er bleibe fern von
ihr. Wen jede Unebenheit ermüdet, wen jeder
Widerſpruch verwirrt macht, der gehe nicht, denke
nicht, lege ſich in ſein Bett und ſchließe die Augen.
Wo giebt es denn eine Wahrheit, in der nicht etwas
Lüge wäre? Wo eine Schönheit, die nicht ihre
Flecken hätte? Wo ein Erhabenes, dem nicht eine
Lächerlichkeit zur Seite ſtünde? Die Natur dichtet
ſelten, und reimet niemals; wem ihre Proſa und
ihre Ungereimtheiten nicht behagen, der wende ſich
zur Poeſie. Die Natur regiert republikaniſch, ſie
läßt jedem Dinge ſeinen Willen, bis zur Reife der
Miſſethat, und ſtraft dann erſt. Wer ſchwache
Nerven hat und Gefahren ſcheut, der diene der
Kunſt, der abſoluten, die jeden rauhen Gedanken
ausſtreicht, ehe er zur That wird, und an jeder
That feilt, bis ſie zu ſchmächtig wird zur Miſſethat.
Heine hat in meinen Augen ſo großen Werth,
daß es ihm nicht immer gelingen wird ſich zu über¬
ſchätzen. Alſo nicht dieſe Selbſtüberſchätzung mache
ich ihn zum Vorwurfe, ſondern daß er überhaupt
die Wirkſamkeit einzelner Menſchen überſchätzt, ob
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