haben, der ist nun besonders klein und ich glaube, daß sie ihn aus Schelmerei so gewählt, damit die Zu¬ hörer um so begieriger herbeiströmen. Wo die Pa¬ riser keinen Platz finden, da eilen sie am liebsten hin, besonders die Frauenzimmer; es ist ihre Wonne, ge¬ stoßen und gedrückt zu werden.
Was mich bis jetzt von einer nähern Bekannt¬ schaft, nicht mit den Grundsätzen, sondern mit den Lehren der Simonisten, abgehalten, ist die monarchi¬ sche Verfassung ihrer Kirche. Sie haben einen Papst; vor solchem kreuze ich mich, wie vor dem Satan. Sie haben eine Autorität; die fürchte ich noch mehr, als den Räuber im finstern Walde. Ich lasse mich von keiner Wahrheit gern einschränken; ich trinke, wie der goldgelockte Felix im Wilhelm Meister, am liebsten aus der Flasche. Wenn ein Pabst mir sagt: zwei mal zwei ist vier -- glaube ich es ihm nicht, und habe ich es früher gewußt, fange ich an, daran zu zweifeln. Zwar weiß ich recht gut, daß keine neue Kirche der monarchischen Leitung entbehren kann; das Christenthum selbst blieb schwach, ward verfolgt und geschlagen, so lange es republikanisch war, und wurde erst stark, siegend und erobernd, als es einen höchsten Bischof an seine Spitze stellte. Jedem Staate ist die monarchische Gewalt in seiner Kindheit die Laufbank, in seinem Greisenalter eine Krücke; Freiheit gehört dem Jüng¬
haben, der iſt nun beſonders klein und ich glaube, daß ſie ihn aus Schelmerei ſo gewählt, damit die Zu¬ hörer um ſo begieriger herbeiſtrömen. Wo die Pa¬ riſer keinen Platz finden, da eilen ſie am liebſten hin, beſonders die Frauenzimmer; es iſt ihre Wonne, ge¬ ſtoßen und gedrückt zu werden.
Was mich bis jetzt von einer nähern Bekannt¬ ſchaft, nicht mit den Grundſätzen, ſondern mit den Lehren der Simoniſten, abgehalten, iſt die monarchi¬ ſche Verfaſſung ihrer Kirche. Sie haben einen Papſt; vor ſolchem kreuze ich mich, wie vor dem Satan. Sie haben eine Autorität; die fürchte ich noch mehr, als den Räuber im finſtern Walde. Ich laſſe mich von keiner Wahrheit gern einſchränken; ich trinke, wie der goldgelockte Felix im Wilhelm Meiſter, am liebſten aus der Flaſche. Wenn ein Pabſt mir ſagt: zwei mal zwei iſt vier — glaube ich es ihm nicht, und habe ich es früher gewußt, fange ich an, daran zu zweifeln. Zwar weiß ich recht gut, daß keine neue Kirche der monarchiſchen Leitung entbehren kann; das Chriſtenthum ſelbſt blieb ſchwach, ward verfolgt und geſchlagen, ſo lange es republikaniſch war, und wurde erſt ſtark, ſiegend und erobernd, als es einen höchſten Biſchof an ſeine Spitze ſtellte. Jedem Staate iſt die monarchiſche Gewalt in ſeiner Kindheit die Laufbank, in ſeinem Greiſenalter eine Krücke; Freiheit gehört dem Jüng¬
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haben, der iſt nun beſonders klein und ich glaube, daß
ſie ihn aus Schelmerei ſo gewählt, damit die Zu¬
hörer um ſo begieriger herbeiſtrömen. Wo die Pa¬
riſer keinen Platz finden, da eilen ſie am liebſten hin,
beſonders die Frauenzimmer; es iſt ihre Wonne, ge¬
ſtoßen und gedrückt zu werden.
Was mich bis jetzt von einer nähern Bekannt¬
ſchaft, nicht mit den Grundſätzen, ſondern mit den
Lehren der Simoniſten, abgehalten, iſt die monarchi¬
ſche Verfaſſung ihrer Kirche. Sie haben einen
Papſt; vor ſolchem kreuze ich mich, wie vor dem
Satan. Sie haben eine Autorität; die fürchte ich
noch mehr, als den Räuber im finſtern Walde. Ich
laſſe mich von keiner Wahrheit gern einſchränken;
ich trinke, wie der goldgelockte Felix im Wilhelm
Meiſter, am liebſten aus der Flaſche. Wenn ein
Pabſt mir ſagt: zwei mal zwei iſt vier — glaube
ich es ihm nicht, und habe ich es früher gewußt,
fange ich an, daran zu zweifeln. Zwar weiß ich
recht gut, daß keine neue Kirche der monarchiſchen
Leitung entbehren kann; das Chriſtenthum ſelbſt blieb
ſchwach, ward verfolgt und geſchlagen, ſo lange es
republikaniſch war, und wurde erſt ſtark, ſiegend und
erobernd, als es einen höchſten Biſchof an ſeine
Spitze ſtellte. Jedem Staate iſt die monarchiſche
Gewalt in ſeiner Kindheit die Laufbank, in ſeinem
Greiſenalter eine Krücke; Freiheit gehört dem Jüng¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/28>, abgerufen am 17.07.2024.
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