man braucht die Brust nicht einzuheitzen. Aber tau¬ send Beine braucht man hier, um nach allen Merk¬ würdigen zu gehen, tausend Augen und Ohren, alles Merkwürdige zu sehen und zu hören, und tausend Köpfe, um alles aufzufassen, sich anzueignen und zu verarbeiten.
Die Simonisten halten jeden Sonntag öffent¬ liche Vorlesungen, in welchen sie ihre Lehren zusam¬ menstellen und erläutern. Ich habe aber diesen Pre¬ digten nie beigewohnt. Man muß zwei Stunden vorher da seyn, um Platz zu finden, und so viele Zeit mochte ich nicht darauf verwenden. Aus gleichem Grunde war ich auch noch nie in einer Kammersitzung, bei den Verhandlungen der Assisen, noch in einer der öffentlichen Versammlungen, die hier fast jede Woche gehalten werden. Das bürgerliche Leben, das in seinem ganzen Umfange und in allen seine Stockwer¬ ken öffentlich geworden, hat die Architektur hinter sich gelassen, die monarchisch und aristokratisch geblieben. Es giebt in Paris kein öffentliches Gebäude, das selbst für das bescheidenste Bedürfniß einer Volksver¬ sammlung Raum genug hätte. Es ist lächerlich, wie wenige öffentliche Sitze in der Deputirtenkammer sind. Die Regierungen, wenn sie die Freiheit mit keinen moralischen Schranken mehr umziehen dürfen, engen sie wenigstens so viel und so lang als möglich mit Steinmauern ein. Der Saal, den die Simonisten
man braucht die Bruſt nicht einzuheitzen. Aber tau¬ ſend Beine braucht man hier, um nach allen Merk¬ würdigen zu gehen, tauſend Augen und Ohren, alles Merkwürdige zu ſehen und zu hören, und tauſend Köpfe, um alles aufzufaſſen, ſich anzueignen und zu verarbeiten.
Die Simoniſten halten jeden Sonntag öffent¬ liche Vorleſungen, in welchen ſie ihre Lehren zuſam¬ menſtellen und erläutern. Ich habe aber dieſen Pre¬ digten nie beigewohnt. Man muß zwei Stunden vorher da ſeyn, um Platz zu finden, und ſo viele Zeit mochte ich nicht darauf verwenden. Aus gleichem Grunde war ich auch noch nie in einer Kammerſitzung, bei den Verhandlungen der Aſſiſen, noch in einer der öffentlichen Verſammlungen, die hier faſt jede Woche gehalten werden. Das bürgerliche Leben, das in ſeinem ganzen Umfange und in allen ſeine Stockwer¬ ken öffentlich geworden, hat die Architektur hinter ſich gelaſſen, die monarchiſch und ariſtokratiſch geblieben. Es giebt in Paris kein öffentliches Gebäude, das ſelbſt für das beſcheidenſte Bedürfniß einer Volksver¬ ſammlung Raum genug hätte. Es iſt lächerlich, wie wenige öffentliche Sitze in der Deputirtenkammer ſind. Die Regierungen, wenn ſie die Freiheit mit keinen moraliſchen Schranken mehr umziehen dürfen, engen ſie wenigſtens ſo viel und ſo lang als möglich mit Steinmauern ein. Der Saal, den die Simoniſten
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man braucht die Bruſt nicht einzuheitzen. Aber tau¬
ſend Beine braucht man hier, um nach allen Merk¬
würdigen zu gehen, tauſend Augen und Ohren, alles
Merkwürdige zu ſehen und zu hören, und tauſend
Köpfe, um alles aufzufaſſen, ſich anzueignen und zu
verarbeiten.
Die Simoniſten halten jeden Sonntag öffent¬
liche Vorleſungen, in welchen ſie ihre Lehren zuſam¬
menſtellen und erläutern. Ich habe aber dieſen Pre¬
digten nie beigewohnt. Man muß zwei Stunden
vorher da ſeyn, um Platz zu finden, und ſo viele
Zeit mochte ich nicht darauf verwenden. Aus gleichem
Grunde war ich auch noch nie in einer Kammerſitzung,
bei den Verhandlungen der Aſſiſen, noch in einer der
öffentlichen Verſammlungen, die hier faſt jede Woche
gehalten werden. Das bürgerliche Leben, das in
ſeinem ganzen Umfange und in allen ſeine Stockwer¬
ken öffentlich geworden, hat die Architektur hinter ſich
gelaſſen, die monarchiſch und ariſtokratiſch geblieben.
Es giebt in Paris kein öffentliches Gebäude, das
ſelbſt für das beſcheidenſte Bedürfniß einer Volksver¬
ſammlung Raum genug hätte. Es iſt lächerlich, wie
wenige öffentliche Sitze in der Deputirtenkammer ſind.
Die Regierungen, wenn ſie die Freiheit mit keinen
moraliſchen Schranken mehr umziehen dürfen, engen
ſie wenigſtens ſo viel und ſo lang als möglich mit
Steinmauern ein. Der Saal, den die Simoniſten
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/27>, abgerufen am 17.07.2024.
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