lingsalter und den männlichen Jahren. Aber, ob ich auch das begreife, verabscheue ich doch die Monar¬ chie für jedes Verhältniß und für jede Zeit. Ein junger Staat soll lieber auf allen Vieren kriechen und etwas später gehen lernen, soll lieber, sobald er das Greisenalter erreicht, sich freiwillig den Tod geben, als gemächliche und schnellere Entwickelung seiner Glieder, als einige Jahre Frist jämmerlichen Daseins mit der Freiheit bezahlen. Wie einem die Regierung oft alle bürgerliche Gesellschaft, das System die schönste Philosophie verleiden kann; so verleidet ei¬ nem die Kirche jeden Glauben. Muß ich selig seyn im Paradiese, dann will ich lieber in der Hölle lei¬ den. Es liegt gar nicht so viel daran, daß eine neue Wahrheit sich schnell und weit umher verbreite; sie wird leicht an Würde verlieren, was sie an Macht, im Werthe verlieren, was sie im Preise gewinnt.
Sie fragen mich: ob die Simonisten etwa das reine Christenthum herzustellen suchen? Ich glaube es. Aber was heißt reines Christenthum? Es giebt nur eine reine Quelle des wahren Glau¬ bens, und aus dieser fließen die mannigfaltigen Ströme der Religionen, die nach und nach den Schlamm der Ufer abspülen, und sich mit Allem be¬ sudeln, was die schmutzigen Menschen hineingeworfen. Die Simonisten mögen wohl in Frankreich seyn, was die Carbonari in Italien sind. Was diese wol¬
lingsalter und den männlichen Jahren. Aber, ob ich auch das begreife, verabſcheue ich doch die Monar¬ chie für jedes Verhältniß und für jede Zeit. Ein junger Staat ſoll lieber auf allen Vieren kriechen und etwas ſpäter gehen lernen, ſoll lieber, ſobald er das Greiſenalter erreicht, ſich freiwillig den Tod geben, als gemächliche und ſchnellere Entwickelung ſeiner Glieder, als einige Jahre Friſt jämmerlichen Daſeins mit der Freiheit bezahlen. Wie einem die Regierung oft alle bürgerliche Geſellſchaft, das Syſtem die ſchönſte Philoſophie verleiden kann; ſo verleidet ei¬ nem die Kirche jeden Glauben. Muß ich ſelig ſeyn im Paradieſe, dann will ich lieber in der Hölle lei¬ den. Es liegt gar nicht ſo viel daran, daß eine neue Wahrheit ſich ſchnell und weit umher verbreite; ſie wird leicht an Würde verlieren, was ſie an Macht, im Werthe verlieren, was ſie im Preiſe gewinnt.
Sie fragen mich: ob die Simoniſten etwa das reine Chriſtenthum herzuſtellen ſuchen? Ich glaube es. Aber was heißt reines Chriſtenthum? Es giebt nur eine reine Quelle des wahren Glau¬ bens, und aus dieſer fließen die mannigfaltigen Ströme der Religionen, die nach und nach den Schlamm der Ufer abſpülen, und ſich mit Allem be¬ ſudeln, was die ſchmutzigen Menſchen hineingeworfen. Die Simoniſten mögen wohl in Frankreich ſeyn, was die Carbonari in Italien ſind. Was dieſe wol¬
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lingsalter und den männlichen Jahren. Aber, ob ich
auch das begreife, verabſcheue ich doch die Monar¬
chie für jedes Verhältniß und für jede Zeit. Ein
junger Staat ſoll lieber auf allen Vieren kriechen und
etwas ſpäter gehen lernen, ſoll lieber, ſobald er das
Greiſenalter erreicht, ſich freiwillig den Tod geben,
als gemächliche und ſchnellere Entwickelung ſeiner
Glieder, als einige Jahre Friſt jämmerlichen Daſeins
mit der Freiheit bezahlen. Wie einem die Regierung
oft alle bürgerliche Geſellſchaft, das Syſtem die
ſchönſte Philoſophie verleiden kann; ſo verleidet ei¬
nem die Kirche jeden Glauben. Muß ich ſelig ſeyn
im Paradieſe, dann will ich lieber in der Hölle lei¬
den. Es liegt gar nicht ſo viel daran, daß eine
neue Wahrheit ſich ſchnell und weit umher verbreite;
ſie wird leicht an Würde verlieren, was ſie an Macht,
im Werthe verlieren, was ſie im Preiſe gewinnt.
Sie fragen mich: ob die Simoniſten etwa das
reine Chriſtenthum herzuſtellen ſuchen? Ich glaube
es. Aber was heißt reines Chriſtenthum?
Es giebt nur eine reine Quelle des wahren Glau¬
bens, und aus dieſer fließen die mannigfaltigen
Ströme der Religionen, die nach und nach den
Schlamm der Ufer abſpülen, und ſich mit Allem be¬
ſudeln, was die ſchmutzigen Menſchen hineingeworfen.
Die Simoniſten mögen wohl in Frankreich ſeyn,
was die Carbonari in Italien ſind. Was dieſe wol¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/29>, abgerufen am 17.07.2024.
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