Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

ich, ich allein unter all den Stummen und Ver¬
schnittenen, es gewagt, den Unterdrückten des Volks
die Wahrheit zu sagen, da meinten sie: Welch ein
großer Muth
, sich in Paris hinzusetzen,
und dort gegen deutsche Regierungen zu
schreiben
. Und jetzt hoffen sie, ich würde hurtig
wie ein thörigter Knabe in die Höhle des Tigers
laufen. Und was ist die Höhle des Tigers gegen
das dunkle und heimliche Gericht, worin deutsche Re¬
gierungen die Beleidigung ihrer himmlischen Allmacht
rügen? In dunkler Nacht aus dem Bette gezerrt
werden von Räubern, die sich Gerichtsdiener nennen;
dummen, tückischen, abergläubischen Staatspfaffen, die,
ihren Gott im Bauche, der sie füttert, verehrend,
die kleinste Beleidigung ihres Gottes grausam strafen
-- ihnen Rede stehen während sie sitzen und ver¬
dauen; und dann aus der Welt zu verschwinden, wie
eine Seifenblase, nicht Luft, nicht Erde zeigt unsre
Spur; ausgelöscht im Gedächtnisse seiner sehr deut¬
schen Mitbürger, welchen der kleinste Schreck den
Kopf trifft, welchen Polizeifurcht wie ein Sirocco das
Herz ausdörrt; und dann zu schmachten in einem
feuchten Gewölbe, ohne Licht, ohne Luft, ohne Buch,
ohne Freundestrost, erfrierend von dem kalten Blicke
der Kerkerwärter -- den Muth verlangt Ihr von
mir? Gebet mir offenes Gericht, gebet mir den
Schutz, den in Frankreich noch der Mörder hat, ge¬

ich, ich allein unter all den Stummen und Ver¬
ſchnittenen, es gewagt, den Unterdrückten des Volks
die Wahrheit zu ſagen, da meinten ſie: Welch ein
großer Muth
, ſich in Paris hinzuſetzen,
und dort gegen deutſche Regierungen zu
ſchreiben
. Und jetzt hoffen ſie, ich würde hurtig
wie ein thörigter Knabe in die Höhle des Tigers
laufen. Und was iſt die Höhle des Tigers gegen
das dunkle und heimliche Gericht, worin deutſche Re¬
gierungen die Beleidigung ihrer himmliſchen Allmacht
rügen? In dunkler Nacht aus dem Bette gezerrt
werden von Räubern, die ſich Gerichtsdiener nennen;
dummen, tückiſchen, abergläubiſchen Staatspfaffen, die,
ihren Gott im Bauche, der ſie füttert, verehrend,
die kleinſte Beleidigung ihres Gottes grauſam ſtrafen
— ihnen Rede ſtehen während ſie ſitzen und ver¬
dauen; und dann aus der Welt zu verſchwinden, wie
eine Seifenblaſe, nicht Luft, nicht Erde zeigt unſre
Spur; ausgelöſcht im Gedächtniſſe ſeiner ſehr deut¬
ſchen Mitbürger, welchen der kleinſte Schreck den
Kopf trifft, welchen Polizeifurcht wie ein Sirocco das
Herz ausdörrt; und dann zu ſchmachten in einem
feuchten Gewölbe, ohne Licht, ohne Luft, ohne Buch,
ohne Freundestroſt, erfrierend von dem kalten Blicke
der Kerkerwärter — den Muth verlangt Ihr von
mir? Gebet mir offenes Gericht, gebet mir den
Schutz, den in Frankreich noch der Mörder hat, ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0214" n="200"/>
ich, ich allein unter all den Stummen und Ver¬<lb/>
&#x017F;chnittenen, es gewagt, den Unterdrückten des Volks<lb/>
die Wahrheit zu &#x017F;agen, da meinten &#x017F;ie: <hi rendition="#g">Welch ein<lb/>
großer Muth</hi>, <hi rendition="#g">&#x017F;ich in Paris hinzu&#x017F;etzen</hi>,<lb/><hi rendition="#g">und dort gegen deut&#x017F;che Regierungen zu<lb/>
&#x017F;chreiben</hi>. Und jetzt hoffen &#x017F;ie, ich würde hurtig<lb/>
wie ein thörigter Knabe in die Höhle des Tigers<lb/>
laufen. Und was i&#x017F;t die Höhle des Tigers gegen<lb/>
das dunkle und heimliche Gericht, worin deut&#x017F;che Re¬<lb/>
gierungen die Beleidigung ihrer himmli&#x017F;chen Allmacht<lb/>
rügen? In dunkler Nacht aus dem Bette gezerrt<lb/>
werden von Räubern, die &#x017F;ich Gerichtsdiener nennen;<lb/>
dummen, tücki&#x017F;chen, abergläubi&#x017F;chen Staatspfaffen, die,<lb/>
ihren Gott im Bauche, der &#x017F;ie füttert, verehrend,<lb/>
die klein&#x017F;te Beleidigung ihres Gottes grau&#x017F;am &#x017F;trafen<lb/>
&#x2014; ihnen Rede &#x017F;tehen während &#x017F;ie &#x017F;itzen und ver¬<lb/>
dauen; und dann aus der Welt zu ver&#x017F;chwinden, wie<lb/>
eine Seifenbla&#x017F;e, nicht Luft, nicht Erde zeigt un&#x017F;re<lb/>
Spur; ausgelö&#x017F;cht im Gedächtni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;einer &#x017F;ehr deut¬<lb/>
&#x017F;chen Mitbürger, welchen der klein&#x017F;te Schreck den<lb/>
Kopf trifft, welchen Polizeifurcht wie ein Sirocco das<lb/>
Herz ausdörrt; und dann zu &#x017F;chmachten in einem<lb/>
feuchten Gewölbe, ohne Licht, ohne Luft, ohne Buch,<lb/>
ohne Freundestro&#x017F;t, erfrierend von dem kalten Blicke<lb/>
der Kerkerwärter &#x2014; <hi rendition="#g">den</hi> Muth verlangt Ihr von<lb/>
mir? Gebet mir offenes Gericht, gebet mir den<lb/>
Schutz, den in Frankreich noch der Mörder hat, ge¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0214] ich, ich allein unter all den Stummen und Ver¬ ſchnittenen, es gewagt, den Unterdrückten des Volks die Wahrheit zu ſagen, da meinten ſie: Welch ein großer Muth, ſich in Paris hinzuſetzen, und dort gegen deutſche Regierungen zu ſchreiben. Und jetzt hoffen ſie, ich würde hurtig wie ein thörigter Knabe in die Höhle des Tigers laufen. Und was iſt die Höhle des Tigers gegen das dunkle und heimliche Gericht, worin deutſche Re¬ gierungen die Beleidigung ihrer himmliſchen Allmacht rügen? In dunkler Nacht aus dem Bette gezerrt werden von Räubern, die ſich Gerichtsdiener nennen; dummen, tückiſchen, abergläubiſchen Staatspfaffen, die, ihren Gott im Bauche, der ſie füttert, verehrend, die kleinſte Beleidigung ihres Gottes grauſam ſtrafen — ihnen Rede ſtehen während ſie ſitzen und ver¬ dauen; und dann aus der Welt zu verſchwinden, wie eine Seifenblaſe, nicht Luft, nicht Erde zeigt unſre Spur; ausgelöſcht im Gedächtniſſe ſeiner ſehr deut¬ ſchen Mitbürger, welchen der kleinſte Schreck den Kopf trifft, welchen Polizeifurcht wie ein Sirocco das Herz ausdörrt; und dann zu ſchmachten in einem feuchten Gewölbe, ohne Licht, ohne Luft, ohne Buch, ohne Freundestroſt, erfrierend von dem kalten Blicke der Kerkerwärter — den Muth verlangt Ihr von mir? Gebet mir offenes Gericht, gebet mir den Schutz, den in Frankreich noch der Mörder hat, ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/214
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/214>, abgerufen am 25.11.2024.