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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

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da schlägt ein Blitz in seiner Nähe nieder, das
Seelchen erschrickt, springt auf, zum erstenmale be¬
wegen sich die Glieder, die knappe Sprache
platzt
, Lumpenworte hängen herum, und dem armen
nackten Seelchen kann man alle Rippchen zählen.
Edler! Warum bist du erschrocken? Nicht dir galt
der Blitz; Lorbeeren verschont er. Uebrigens nehmen
Sie mir es nicht übel, wenn ich mehreremale Du
zu Ihnen sage. Zuweilen rede ich in Streckversen,
und dann dutze ich jeden ohne Unterschied des Ran¬
ges, der mir in den Weg kömmt. Aber eines bitte
ich Sie mir zu erklären. Ich erinnere mich ganz
genau: es war im Jahre 1819, nach dem Karlsba¬
der Congresse, da nahm ich Assafötida ein, und zwar
in Mixtur; denn ich verabscheue die feigen Pillen.
Es war ein einziger Löffel voll, es war der Ekel
einer Minute und der Schauer von fünf Minuten.
Aber hinge mein Leben davon ab, ich nähme keinen
zweiten Löffel Assafötida. Sie aber, mein Bester,
haben mehrere Stunden an meinem Buche mit im¬
mer steigendem Ekel gelesen! Wie ertrugen Sie das?
Wer hieß Sie das? Wer bezahlte Ihnen das?
Oder finden Sie solche Freude am Ekel, daß Sie
ihn gutwillig suchen, warum erbrechen Sie sich vor
den Augen aller Welt? Ist das artig? Thut das
ein wohlerzogener Mensch? Zwar haben es die al¬
ten Römer auch gethan, aber Sie sind kein alter

da ſchlägt ein Blitz in ſeiner Nähe nieder, das
Seelchen erſchrickt, ſpringt auf, zum erſtenmale be¬
wegen ſich die Glieder, die knappe Sprache
platzt
, Lumpenworte hängen herum, und dem armen
nackten Seelchen kann man alle Rippchen zählen.
Edler! Warum biſt du erſchrocken? Nicht dir galt
der Blitz; Lorbeeren verſchont er. Uebrigens nehmen
Sie mir es nicht übel, wenn ich mehreremale Du
zu Ihnen ſage. Zuweilen rede ich in Streckverſen,
und dann dutze ich jeden ohne Unterſchied des Ran¬
ges, der mir in den Weg kömmt. Aber eines bitte
ich Sie mir zu erklären. Ich erinnere mich ganz
genau: es war im Jahre 1819, nach dem Karlsba¬
der Congreſſe, da nahm ich Aſſafötida ein, und zwar
in Mixtur; denn ich verabſcheue die feigen Pillen.
Es war ein einziger Löffel voll, es war der Ekel
einer Minute und der Schauer von fünf Minuten.
Aber hinge mein Leben davon ab, ich nähme keinen
zweiten Löffel Aſſafötida. Sie aber, mein Beſter,
haben mehrere Stunden an meinem Buche mit im¬
mer ſteigendem Ekel geleſen! Wie ertrugen Sie das?
Wer hieß Sie das? Wer bezahlte Ihnen das?
Oder finden Sie ſolche Freude am Ekel, daß Sie
ihn gutwillig ſuchen, warum erbrechen Sie ſich vor
den Augen aller Welt? Iſt das artig? Thut das
ein wohlerzogener Menſch? Zwar haben es die al¬
ten Römer auch gethan, aber Sie ſind kein alter

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[170/0184] da ſchlägt ein Blitz in ſeiner Nähe nieder, das Seelchen erſchrickt, ſpringt auf, zum erſtenmale be¬ wegen ſich die Glieder, die knappe Sprache platzt, Lumpenworte hängen herum, und dem armen nackten Seelchen kann man alle Rippchen zählen. Edler! Warum biſt du erſchrocken? Nicht dir galt der Blitz; Lorbeeren verſchont er. Uebrigens nehmen Sie mir es nicht übel, wenn ich mehreremale Du zu Ihnen ſage. Zuweilen rede ich in Streckverſen, und dann dutze ich jeden ohne Unterſchied des Ran¬ ges, der mir in den Weg kömmt. Aber eines bitte ich Sie mir zu erklären. Ich erinnere mich ganz genau: es war im Jahre 1819, nach dem Karlsba¬ der Congreſſe, da nahm ich Aſſafötida ein, und zwar in Mixtur; denn ich verabſcheue die feigen Pillen. Es war ein einziger Löffel voll, es war der Ekel einer Minute und der Schauer von fünf Minuten. Aber hinge mein Leben davon ab, ich nähme keinen zweiten Löffel Aſſafötida. Sie aber, mein Beſter, haben mehrere Stunden an meinem Buche mit im¬ mer ſteigendem Ekel geleſen! Wie ertrugen Sie das? Wer hieß Sie das? Wer bezahlte Ihnen das? Oder finden Sie ſolche Freude am Ekel, daß Sie ihn gutwillig ſuchen, warum erbrechen Sie ſich vor den Augen aller Welt? Iſt das artig? Thut das ein wohlerzogener Menſch? Zwar haben es die al¬ ten Römer auch gethan, aber Sie ſind kein alter

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/184>, abgerufen am 02.05.2024.