wird ganz verwirrt im Kopfe. Die Gräfin, von Schmerz und Schaam niedergeworfen, fällt zu seinen Füßen und erzählt folgendes: Vor 16 Jahren, im Jahre 1814, als sich der siegende Feind Paris nahte, habe sie ihr Va¬ ter, sie in Sicherheit zu bringen, auf ein Gut eines seiner Pächter geführt. In einer Nacht wurde das Dorf überfallen; alles ging in Rauch und Flammen auf, alles wurde ge¬ plündert, niedergemetzelt. Der Pächter ver¬ barg sie, das sechzehnjährige Mädchen, schnell in eine dunkle Höhle; kein Lichtstrahl drang hinein ... Sie war noch nicht dunkel genug für die Erinnerung... Die Gräfin hält sich die Hände vor die Augen -- wir wissen alles. Felix ihr Sohn, ist 16 Jahre alt. Die Grä¬ fin erhebt sich, und bricht in einen Strom von Thränen aus. Der aufhorchende Baron wird immer starrer und starrer, bis er wie zerschmettert zu den Füßen der Gräfin nieder¬
wird ganz verwirrt im Kopfe. Die Graͤfin, von Schmerz und Schaam niedergeworfen, faͤllt zu ſeinen Fuͤßen und erzaͤhlt folgendes: Vor 16 Jahren, im Jahre 1814, als ſich der ſiegende Feind Paris nahte, habe ſie ihr Va¬ ter, ſie in Sicherheit zu bringen, auf ein Gut eines ſeiner Paͤchter gefuͤhrt. In einer Nacht wurde das Dorf uͤberfallen; alles ging in Rauch und Flammen auf, alles wurde ge¬ pluͤndert, niedergemetzelt. Der Paͤchter ver¬ barg ſie, das ſechzehnjaͤhrige Maͤdchen, ſchnell in eine dunkle Hoͤhle; kein Lichtſtrahl drang hinein ... Sie war noch nicht dunkel genug fuͤr die Erinnerung... Die Graͤfin haͤlt ſich die Haͤnde vor die Augen — wir wiſſen alles. Felix ihr Sohn, iſt 16 Jahre alt. Die Graͤ¬ fin erhebt ſich, und bricht in einen Strom von Thraͤnen aus. Der aufhorchende Baron wird immer ſtarrer und ſtarrer, bis er wie zerſchmettert zu den Fuͤßen der Graͤfin nieder¬
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wird ganz verwirrt im Kopfe. Die Graͤfin,
von Schmerz und Schaam niedergeworfen, faͤllt
zu ſeinen Fuͤßen und erzaͤhlt folgendes: Vor
16 Jahren, im Jahre 1814, als ſich der
ſiegende Feind Paris nahte, habe ſie ihr Va¬
ter, ſie in Sicherheit zu bringen, auf ein
Gut eines ſeiner Paͤchter gefuͤhrt. In einer
Nacht wurde das Dorf uͤberfallen; alles ging
in Rauch und Flammen auf, alles wurde ge¬
pluͤndert, niedergemetzelt. Der Paͤchter ver¬
barg ſie, das ſechzehnjaͤhrige Maͤdchen, ſchnell
in eine dunkle Hoͤhle; kein Lichtſtrahl drang
hinein ... Sie war noch nicht dunkel genug
fuͤr die Erinnerung... Die Graͤfin haͤlt ſich
die Haͤnde vor die Augen — wir wiſſen alles.
Felix ihr Sohn, iſt 16 Jahre alt. Die Graͤ¬
fin erhebt ſich, und bricht in einen Strom
von Thraͤnen aus. Der aufhorchende Baron
wird immer ſtarrer und ſtarrer, bis er wie
zerſchmettert zu den Fuͤßen der Graͤfin nieder¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/316>, abgerufen am 24.11.2024.
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