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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833.

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sinkt. Er wolle die Geschichte zu Ende er¬
zählen. Er frägt nach dem Namen der Dor¬
fes, sie nennt es ihm. Da zieht er einen
Ring vom Finger. Die Gräfin, als sie ihn
erblickt, schreit: es ist der Ring von meiner
verstorbenen Mutter, den ich damals getragen.
Der Graf: ein Verbrechen hat dich vor
sechszehn Jahren zu meiner Gattin
gemacht
! .. Und nun dieses Gemisch von
Wonne und Schmerz! Es war nicht zu dichten
und nicht zu spielen, aber es war zum Wei¬
nen. Felix tritt herein: der Baron durchwühlt
seine Gesichtszüge, erkennt seine eigenen, und
drückt entzückt den Knaben an sein Herz, dem
er kurz vorher das Herz hätte durchbohren
mögen ... Ist das nicht die schönste garstige
Geschichte von der Welt, und muß man nicht
erstaunen, daß der Mensch seine Phantasie
foltert, um Leiden von ihr zu erfahren, die das
boshafteste Geschick dem Menschen nie angethan?

ſinkt. Er wolle die Geſchichte zu Ende er¬
zaͤhlen. Er fraͤgt nach dem Namen der Dor¬
fes, ſie nennt es ihm. Da zieht er einen
Ring vom Finger. Die Graͤfin, als ſie ihn
erblickt, ſchreit: es iſt der Ring von meiner
verſtorbenen Mutter, den ich damals getragen.
Der Graf: ein Verbrechen hat dich vor
ſechszehn Jahren zu meiner Gattin
gemacht
! .. Und nun dieſes Gemiſch von
Wonne und Schmerz! Es war nicht zu dichten
und nicht zu ſpielen, aber es war zum Wei¬
nen. Felix tritt herein: der Baron durchwuͤhlt
ſeine Geſichtszuͤge, erkennt ſeine eigenen, und
druͤckt entzuͤckt den Knaben an ſein Herz, dem
er kurz vorher das Herz haͤtte durchbohren
moͤgen ... Iſt das nicht die ſchoͤnſte garſtige
Geſchichte von der Welt, und muß man nicht
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[303/0317] ſinkt. Er wolle die Geſchichte zu Ende er¬ zaͤhlen. Er fraͤgt nach dem Namen der Dor¬ fes, ſie nennt es ihm. Da zieht er einen Ring vom Finger. Die Graͤfin, als ſie ihn erblickt, ſchreit: es iſt der Ring von meiner verſtorbenen Mutter, den ich damals getragen. Der Graf: ein Verbrechen hat dich vor ſechszehn Jahren zu meiner Gattin gemacht! .. Und nun dieſes Gemiſch von Wonne und Schmerz! Es war nicht zu dichten und nicht zu ſpielen, aber es war zum Wei¬ nen. Felix tritt herein: der Baron durchwuͤhlt ſeine Geſichtszuͤge, erkennt ſeine eigenen, und druͤckt entzuͤckt den Knaben an ſein Herz, dem er kurz vorher das Herz haͤtte durchbohren moͤgen ... Iſt das nicht die ſchoͤnſte garſtige Geſchichte von der Welt, und muß man nicht erſtaunen, daß der Menſch ſeine Phantaſie foltert, um Leiden von ihr zu erfahren, die das boshafteſte Geſchick dem Menſchen nie angethan?

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/317>, abgerufen am 24.11.2024.