Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

Gesetze gaben und vollzogen; die Armen waren
niemals frei. Ueber die kurzsichtigen Politiker,
welche glaubten, in den Staaten, wo Adel
und Geistlichkeit ihre Vorrechte verlohren, sey
der ewige Friede gesichert! Eben diese, wie
Frankreich und England, stehen der fürchter¬
lichsten Revolution näher, als die andern
Staaten, wo noch keine freien Verfassungen
bestehen. In den Letztern wird dem niedern
Volke, durch seinen benachbarten Stand, die
Bürgerschaft, die Aussicht nach den höhern,
bevorrechteten Ständen versteckt. Es vermißt
daher keine Gleichheit. Da aber, wo der
Mittelstand sich die Gleichheit erworben, sieht
das untere Volk die Ungleichheit neben sich,
es lernt seinen elenden Zustand kennen, und
da muß früher oder später der Krieg der Ar¬
men gegen die Reichen ausbrechen. Die heil¬
lose Verblendung des Bürgerstandes zieht das
Verderben schneller und fürchterlicher herbei.

14 *

Geſetze gaben und vollzogen; die Armen waren
niemals frei. Ueber die kurzſichtigen Politiker,
welche glaubten, in den Staaten, wo Adel
und Geiſtlichkeit ihre Vorrechte verlohren, ſey
der ewige Friede geſichert! Eben dieſe, wie
Frankreich und England, ſtehen der fuͤrchter¬
lichſten Revolution naͤher, als die andern
Staaten, wo noch keine freien Verfaſſungen
beſtehen. In den Letztern wird dem niedern
Volke, durch ſeinen benachbarten Stand, die
Buͤrgerſchaft, die Ausſicht nach den hoͤhern,
bevorrechteten Staͤnden verſteckt. Es vermißt
daher keine Gleichheit. Da aber, wo der
Mittelſtand ſich die Gleichheit erworben, ſieht
das untere Volk die Ungleichheit neben ſich,
es lernt ſeinen elenden Zuſtand kennen, und
da muß fruͤher oder ſpaͤter der Krieg der Ar¬
men gegen die Reichen ausbrechen. Die heil¬
loſe Verblendung des Buͤrgerſtandes zieht das
Verderben ſchneller und fuͤrchterlicher herbei.

14 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0231" n="217"/>
Ge&#x017F;etze gaben und vollzogen; die Armen waren<lb/>
niemals frei. Ueber die kurz&#x017F;ichtigen Politiker,<lb/>
welche glaubten, in den Staaten, wo Adel<lb/>
und Gei&#x017F;tlichkeit ihre Vorrechte verlohren, &#x017F;ey<lb/>
der ewige Friede ge&#x017F;ichert! Eben die&#x017F;e, wie<lb/>
Frankreich und England, &#x017F;tehen der fu&#x0364;rchter¬<lb/>
lich&#x017F;ten Revolution na&#x0364;her, als die andern<lb/>
Staaten, wo noch keine freien Verfa&#x017F;&#x017F;ungen<lb/>
be&#x017F;tehen. In den Letztern wird dem niedern<lb/>
Volke, durch &#x017F;einen benachbarten Stand, die<lb/>
Bu&#x0364;rger&#x017F;chaft, die Aus&#x017F;icht nach den ho&#x0364;hern,<lb/>
bevorrechteten Sta&#x0364;nden ver&#x017F;teckt. Es vermißt<lb/>
daher keine Gleichheit. Da aber, wo der<lb/>
Mittel&#x017F;tand &#x017F;ich die Gleichheit erworben, &#x017F;ieht<lb/>
das untere Volk die Ungleichheit neben &#x017F;ich,<lb/>
es lernt &#x017F;einen elenden Zu&#x017F;tand kennen, und<lb/>
da muß fru&#x0364;her oder &#x017F;pa&#x0364;ter der Krieg der Ar¬<lb/>
men gegen die Reichen ausbrechen. Die heil¬<lb/>
lo&#x017F;e Verblendung des Bu&#x0364;rger&#x017F;tandes zieht das<lb/>
Verderben &#x017F;chneller und fu&#x0364;rchterlicher herbei.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">14 *<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0231] Geſetze gaben und vollzogen; die Armen waren niemals frei. Ueber die kurzſichtigen Politiker, welche glaubten, in den Staaten, wo Adel und Geiſtlichkeit ihre Vorrechte verlohren, ſey der ewige Friede geſichert! Eben dieſe, wie Frankreich und England, ſtehen der fuͤrchter¬ lichſten Revolution naͤher, als die andern Staaten, wo noch keine freien Verfaſſungen beſtehen. In den Letztern wird dem niedern Volke, durch ſeinen benachbarten Stand, die Buͤrgerſchaft, die Ausſicht nach den hoͤhern, bevorrechteten Staͤnden verſteckt. Es vermißt daher keine Gleichheit. Da aber, wo der Mittelſtand ſich die Gleichheit erworben, ſieht das untere Volk die Ungleichheit neben ſich, es lernt ſeinen elenden Zuſtand kennen, und da muß fruͤher oder ſpaͤter der Krieg der Ar¬ men gegen die Reichen ausbrechen. Die heil¬ loſe Verblendung des Buͤrgerſtandes zieht das Verderben ſchneller und fuͤrchterlicher herbei. 14 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/231
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/231>, abgerufen am 28.03.2024.