Seit er frei geworden, blickt er, halb aus Furcht, halb aus Hochmuth, beständig hinter sich, und vergißt darüber vor sich zu sehen, wo ein besiegter, aber noch lebendiger Feind, nur darauf wartet, daß er den Blick wegwen¬ de. Diese Furcht und diesen Hochmuth wissen die Aristokraten in Frankreich und England sehr gut zu benutzen. Den Pöbel hetzen sie im Stillen gegen die Bürger auf und diesen rufen sie zu: Ihr seyd verlohren, wenn Ihr euch nicht an uns anschließt. Der dumme Bürger glaubt das, und begreift nicht, daß seine eigene Freiheit, sein eigener Wohlstand schwankt, so lange das arme Volk nicht mit ihm in gleiche Freiheit und gleichen Wohlstand eintrete; er begreift nicht, daß so lange es einen Pöbel giebt, es auch einen Adel giebt, und daß so lange es einen Adel giebt, seine Ruhe und sein Glück gefährdet bleibt. Wäre diese Verblendung nicht so unheilbringend, es
Seit er frei geworden, blickt er, halb aus Furcht, halb aus Hochmuth, beſtaͤndig hinter ſich, und vergißt daruͤber vor ſich zu ſehen, wo ein beſiegter, aber noch lebendiger Feind, nur darauf wartet, daß er den Blick wegwen¬ de. Dieſe Furcht und dieſen Hochmuth wiſſen die Ariſtokraten in Frankreich und England ſehr gut zu benutzen. Den Poͤbel hetzen ſie im Stillen gegen die Buͤrger auf und dieſen rufen ſie zu: Ihr ſeyd verlohren, wenn Ihr euch nicht an uns anſchließt. Der dumme Buͤrger glaubt das, und begreift nicht, daß ſeine eigene Freiheit, ſein eigener Wohlſtand ſchwankt, ſo lange das arme Volk nicht mit ihm in gleiche Freiheit und gleichen Wohlſtand eintrete; er begreift nicht, daß ſo lange es einen Poͤbel giebt, es auch einen Adel giebt, und daß ſo lange es einen Adel giebt, ſeine Ruhe und ſein Gluͤck gefaͤhrdet bleibt. Waͤre dieſe Verblendung nicht ſo unheilbringend, es
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Seit er frei geworden, blickt er, halb aus
Furcht, halb aus Hochmuth, beſtaͤndig hinter
ſich, und vergißt daruͤber vor ſich zu ſehen,
wo ein beſiegter, aber noch lebendiger Feind,
nur darauf wartet, daß er den Blick wegwen¬
de. Dieſe Furcht und dieſen Hochmuth wiſſen
die Ariſtokraten in Frankreich und England
ſehr gut zu benutzen. Den Poͤbel hetzen ſie
im Stillen gegen die Buͤrger auf und dieſen
rufen ſie zu: Ihr ſeyd verlohren, wenn Ihr
euch nicht an uns anſchließt. Der dumme
Buͤrger glaubt das, und begreift nicht, daß
ſeine eigene Freiheit, ſein eigener Wohlſtand
ſchwankt, ſo lange das arme Volk nicht mit
ihm in gleiche Freiheit und gleichen Wohlſtand
eintrete; er begreift nicht, daß ſo lange es
einen Poͤbel giebt, es auch einen Adel giebt,
und daß ſo lange es einen Adel giebt, ſeine
Ruhe und ſein Gluͤck gefaͤhrdet bleibt. Waͤre
dieſe Verblendung nicht ſo unheilbringend, es
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/232>, abgerufen am 24.11.2024.
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