pfangen sollte! Frankfurt ist jetzt Paris um funf¬ zig Stunden näher. Und die deutsche Bundes-Ver¬ sammlung hält ihre Dummheiten wenigstens geheim. Ich wußte immer, daß wie hier so in allen Ländern Herz nur bei dem Volke zu finden; aber jetzt erfahre ich, daß auch der Verstand nur bei dem Volke zu suchen, und daß Regierungen, wie ohne Herz auch ohne Verstand sind. Manchmal dachte ich: es ist nur die Maske der Dummheit, es muß dahinter et¬ was stecken; aber jetzt sehe ich ein, daß die Dumm¬ heit ernstlich gemeint ist, und daß nichts dahinter steckt, als eine noch größere Dummheit.
Mit Worten kann ich Ihnen den Eindruck nicht schildern, den Paganini in seinem ersten Conzerte ge¬ macht; ich könnte ihn nur auf seiner eignen Geige nachspielen, wenn sie mein wäre. Es war eine gött¬ liche, es war eine diabolische Begeisterung. Ich habe so etwas in meinem Leben nicht gesehen noch gehört. Dieses Volk ist verrückt und man wird es unter ihm. Sie horchten auf, daß ihnen der Athem verging, und das nothwendige Klopfen des Herzens störte sie und machte sie böse. Als er auf die Bühne trat, noch ehe er spielte, wurde er zum Willkommen mit einem donnernden Jubel empfangen. Und da hätten Sie diesen Todfeind aller Tanzkunst sehen sollen, in der Verlegenheit seines Körpers. Er schwankte umher wie ein Betrunkener. Er gab seinen eignen Beinen
pfangen ſollte! Frankfurt iſt jetzt Paris um funf¬ zig Stunden näher. Und die deutſche Bundes-Ver¬ ſammlung hält ihre Dummheiten wenigſtens geheim. Ich wußte immer, daß wie hier ſo in allen Ländern Herz nur bei dem Volke zu finden; aber jetzt erfahre ich, daß auch der Verſtand nur bei dem Volke zu ſuchen, und daß Regierungen, wie ohne Herz auch ohne Verſtand ſind. Manchmal dachte ich: es iſt nur die Maske der Dummheit, es muß dahinter et¬ was ſtecken; aber jetzt ſehe ich ein, daß die Dumm¬ heit ernſtlich gemeint iſt, und daß nichts dahinter ſteckt, als eine noch größere Dummheit.
Mit Worten kann ich Ihnen den Eindruck nicht ſchildern, den Paganini in ſeinem erſten Conzerte ge¬ macht; ich könnte ihn nur auf ſeiner eignen Geige nachſpielen, wenn ſie mein wäre. Es war eine gött¬ liche, es war eine diaboliſche Begeiſterung. Ich habe ſo etwas in meinem Leben nicht geſehen noch gehört. Dieſes Volk iſt verrückt und man wird es unter ihm. Sie horchten auf, daß ihnen der Athem verging, und das nothwendige Klopfen des Herzens ſtörte ſie und machte ſie böſe. Als er auf die Bühne trat, noch ehe er ſpielte, wurde er zum Willkommen mit einem donnernden Jubel empfangen. Und da hätten Sie dieſen Todfeind aller Tanzkunſt ſehen ſollen, in der Verlegenheit ſeines Körpers. Er ſchwankte umher wie ein Betrunkener. Er gab ſeinen eignen Beinen
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pfangen ſollte! Frankfurt iſt jetzt Paris um funf¬
zig Stunden näher. Und die deutſche Bundes-Ver¬
ſammlung hält ihre Dummheiten wenigſtens geheim.
Ich wußte immer, daß wie hier ſo in allen Ländern
Herz nur bei dem Volke zu finden; aber jetzt erfahre
ich, daß auch der Verſtand nur bei dem Volke zu
ſuchen, und daß Regierungen, wie ohne Herz auch
ohne Verſtand ſind. Manchmal dachte ich: es iſt
nur die Maske der Dummheit, es muß dahinter et¬
was ſtecken; aber jetzt ſehe ich ein, daß die Dumm¬
heit ernſtlich gemeint iſt, und daß nichts dahinter
ſteckt, als eine noch größere Dummheit.
Mit Worten kann ich Ihnen den Eindruck nicht
ſchildern, den Paganini in ſeinem erſten Conzerte ge¬
macht; ich könnte ihn nur auf ſeiner eignen Geige
nachſpielen, wenn ſie mein wäre. Es war eine gött¬
liche, es war eine diaboliſche Begeiſterung. Ich habe
ſo etwas in meinem Leben nicht geſehen noch gehört.
Dieſes Volk iſt verrückt und man wird es unter ihm.
Sie horchten auf, daß ihnen der Athem verging, und
das nothwendige Klopfen des Herzens ſtörte ſie und
machte ſie böſe. Als er auf die Bühne trat, noch
ehe er ſpielte, wurde er zum Willkommen mit einem
donnernden Jubel empfangen. Und da hätten Sie
dieſen Todfeind aller Tanzkunſt ſehen ſollen, in der
Verlegenheit ſeines Körpers. Er ſchwankte umher
wie ein Betrunkener. Er gab ſeinen eignen Beinen
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/151>, abgerufen am 16.02.2025.
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