Fußtritte und stieß sie vor sich her. Die Arme schleuderte er bald himmelwärts bald zur Erde hinab. dann streckte er sie nach den Coulissen zu, und flehte Himmel, Erde und Menschen um Hülfe an in seiner großen Noth. Dann blieb er wieder stehen mit aus¬ gebreiteten Armen und kreuzigte sich selbst. Er sperrte den Mund weit auf, und schien zu fragen; gilt das mir? Er war der prächtigste Tölpel, den die Natur erfinden kann, er war zum Malen. Himm¬ lisch hat er gespielt. In Frankfurt hatte er mir bei weitem nicht so gut gefallen; das machte die Umge¬ bung. Ich hörte mit tausend Ohren, ich empfand mit allen Nerven des ganzen Hauses. In seinen Variationen am Schlusse machte Paganini Sachen, wobei er lachen mußte. Nun möchte ich wissen, ob er über das närrische Publikum gelacht, oder ob er sich selbst Beifall zugelacht, oder ob er sich ausgelacht. Das Letztere ist wohl möglich, denn es schienen mir große Kindereien zu seyn. Die Pariser Zeitungs¬ schreiber sind noch gar nicht zur Besinnung gekom¬ men; diese Wort-Millionäre wissen zum Erstenmale nicht, was sie sagen sollen. Nur einige Seufzer und große Redensarten haben sie einstweilen in die Welt geschickt, und versprechen umständliche Kritik auf spä¬ tere Tage. Das Erhabenste, was über Paganini gesagt worden, ist: man habe zwei Stunden lang die Polen vergessen. Er habe la figure la plus
Fußtritte und ſtieß ſie vor ſich her. Die Arme ſchleuderte er bald himmelwärts bald zur Erde hinab. dann ſtreckte er ſie nach den Couliſſen zu, und flehte Himmel, Erde und Menſchen um Hülfe an in ſeiner großen Noth. Dann blieb er wieder ſtehen mit aus¬ gebreiteten Armen und kreuzigte ſich ſelbſt. Er ſperrte den Mund weit auf, und ſchien zu fragen; gilt das mir? Er war der prächtigſte Tölpel, den die Natur erfinden kann, er war zum Malen. Himm¬ liſch hat er geſpielt. In Frankfurt hatte er mir bei weitem nicht ſo gut gefallen; das machte die Umge¬ bung. Ich hörte mit tauſend Ohren, ich empfand mit allen Nerven des ganzen Hauſes. In ſeinen Variationen am Schluſſe machte Paganini Sachen, wobei er lachen mußte. Nun möchte ich wiſſen, ob er über das närriſche Publikum gelacht, oder ob er ſich ſelbſt Beifall zugelacht, oder ob er ſich ausgelacht. Das Letztere iſt wohl möglich, denn es ſchienen mir große Kindereien zu ſeyn. Die Pariſer Zeitungs¬ ſchreiber ſind noch gar nicht zur Beſinnung gekom¬ men; dieſe Wort-Millionäre wiſſen zum Erſtenmale nicht, was ſie ſagen ſollen. Nur einige Seufzer und große Redensarten haben ſie einſtweilen in die Welt geſchickt, und verſprechen umſtändliche Kritik auf ſpä¬ tere Tage. Das Erhabenſte, was über Paganini geſagt worden, iſt: man habe zwei Stunden lang die Polen vergeſſen. Er habe la figure la plus
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Fußtritte und ſtieß ſie vor ſich her. Die Arme
ſchleuderte er bald himmelwärts bald zur Erde hinab.
dann ſtreckte er ſie nach den Couliſſen zu, und flehte
Himmel, Erde und Menſchen um Hülfe an in ſeiner
großen Noth. Dann blieb er wieder ſtehen mit aus¬
gebreiteten Armen und kreuzigte ſich ſelbſt. Er
ſperrte den Mund weit auf, und ſchien zu fragen;
gilt das mir? Er war der prächtigſte Tölpel, den
die Natur erfinden kann, er war zum Malen. Himm¬
liſch hat er geſpielt. In Frankfurt hatte er mir bei
weitem nicht ſo gut gefallen; das machte die Umge¬
bung. Ich hörte mit tauſend Ohren, ich empfand
mit allen Nerven des ganzen Hauſes. In ſeinen
Variationen am Schluſſe machte Paganini Sachen,
wobei er lachen mußte. Nun möchte ich wiſſen, ob
er über das närriſche Publikum gelacht, oder ob er ſich
ſelbſt Beifall zugelacht, oder ob er ſich ausgelacht.
Das Letztere iſt wohl möglich, denn es ſchienen mir
große Kindereien zu ſeyn. Die Pariſer Zeitungs¬
ſchreiber ſind noch gar nicht zur Beſinnung gekom¬
men; dieſe Wort-Millionäre wiſſen zum Erſtenmale
nicht, was ſie ſagen ſollen. Nur einige Seufzer und
große Redensarten haben ſie einſtweilen in die Welt
geſchickt, und verſprechen umſtändliche Kritik auf ſpä¬
tere Tage. Das Erhabenſte, was über Paganini
geſagt worden, iſt: man habe zwei Stunden lang
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/152>, abgerufen am 16.02.2025.
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