Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

lich an als verstände er mich nicht und widerspricht
mir; doch wird es keinem Leser entgehen, wie das
gemeint ist. Im Grunde denkt Herr Neumann (so
heißt der Berliner Recensent) ganz wie ich; aber
ein königlich Preußischer Gelehrter muß sprechen wie
der Herr von Schuckmann. Das ist das Preußen¬
thum
, das ist die protestantirte Oesterreichische
Politik. Das ist, was ich in meiner Brochüre über
die Berliner Zeitung alles vorhergesagt.

-- Vor einigen Tagen war ich zum ersten
Male im Theater, und zwar in meinen geliebten
Varietes. Ich wurde den Abend um einige
Pfunde leichter, was bei einem deutschen Bleimänn¬
chen, wie ich eins bin, schon einen großen Unterschied
macht. Es wird einem dabei ganz tänzerlich zu
Muthe, die Füße erheben sich von selbst und man
könnte sich nicht enthalten, selbst Hegel zu einem
Walzer aufzufordern, wenn er grade in der Nähe
stände. Ich habe meine Freude daran, wie sich das
leichtsinnige Volk alles so leicht macht. Sie schrei¬
ben schneller ein Stück, als man Zeit braucht, es
aufführen zu sehen. Kaum waren acht Tage nach
der Revolution verflossen, als schon zwanzig Komö¬
dien fertig waren, die alle auf das Ereigniß Bezug
hatten. Gewöhnlich ist kein gesunder Menschenver¬
stand darin, aber wozu auch? Ist nicht jedes Volk
ein ewiges Kind und brauchen daher Volks-Schau¬

lich an als verſtände er mich nicht und widerſpricht
mir; doch wird es keinem Leſer entgehen, wie das
gemeint iſt. Im Grunde denkt Herr Neumann (ſo
heißt der Berliner Recenſent) ganz wie ich; aber
ein königlich Preußiſcher Gelehrter muß ſprechen wie
der Herr von Schuckmann. Das iſt das Preußen¬
thum
, das iſt die proteſtantirte Oeſterreichiſche
Politik. Das iſt, was ich in meiner Brochüre über
die Berliner Zeitung alles vorhergeſagt.

— Vor einigen Tagen war ich zum erſten
Male im Theater, und zwar in meinen geliebten
Variétés. Ich wurde den Abend um einige
Pfunde leichter, was bei einem deutſchen Bleimänn¬
chen, wie ich eins bin, ſchon einen großen Unterſchied
macht. Es wird einem dabei ganz tänzerlich zu
Muthe, die Füße erheben ſich von ſelbſt und man
könnte ſich nicht enthalten, ſelbſt Hegel zu einem
Walzer aufzufordern, wenn er grade in der Nähe
ſtände. Ich habe meine Freude daran, wie ſich das
leichtſinnige Volk alles ſo leicht macht. Sie ſchrei¬
ben ſchneller ein Stück, als man Zeit braucht, es
aufführen zu ſehen. Kaum waren acht Tage nach
der Revolution verfloſſen, als ſchon zwanzig Komö¬
dien fertig waren, die alle auf das Ereigniß Bezug
hatten. Gewöhnlich iſt kein geſunder Menſchenver¬
ſtand darin, aber wozu auch? Iſt nicht jedes Volk
ein ewiges Kind und brauchen daher Volks-Schau¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0082" n="68"/>
lich an als ver&#x017F;tände er mich nicht und wider&#x017F;pricht<lb/>
mir; doch wird es keinem Le&#x017F;er entgehen, wie das<lb/>
gemeint i&#x017F;t. Im Grunde denkt Herr <hi rendition="#g">Neumann</hi> (&#x017F;o<lb/>
heißt der Berliner Recen&#x017F;ent) ganz wie ich; aber<lb/>
ein königlich Preußi&#x017F;cher Gelehrter muß &#x017F;prechen wie<lb/>
der Herr von Schuckmann. Das i&#x017F;t das <hi rendition="#g">Preußen¬<lb/>
thum</hi>, das i&#x017F;t die <hi rendition="#g">prote&#x017F;tantirte</hi> Oe&#x017F;terreichi&#x017F;che<lb/>
Politik. Das i&#x017F;t, was ich in meiner Brochüre über<lb/>
die Berliner Zeitung alles vorherge&#x017F;agt.</p><lb/>
          <p>&#x2014; Vor einigen Tagen war ich zum er&#x017F;ten<lb/>
Male im Theater, und zwar in meinen geliebten<lb/><hi rendition="#g">Vari</hi><hi rendition="#aq #g">é</hi><hi rendition="#g">t</hi><hi rendition="#aq #g">é</hi><hi rendition="#g">s</hi>. Ich wurde den Abend um einige<lb/>
Pfunde leichter, was bei einem deut&#x017F;chen Bleimänn¬<lb/>
chen, wie ich eins bin, &#x017F;chon einen großen Unter&#x017F;chied<lb/>
macht. Es wird einem dabei ganz tänzerlich zu<lb/>
Muthe, die Füße erheben &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t und man<lb/>
könnte &#x017F;ich nicht enthalten, &#x017F;elb&#x017F;t Hegel zu einem<lb/>
Walzer aufzufordern, wenn er grade in der Nähe<lb/>
&#x017F;tände. Ich habe meine Freude daran, wie &#x017F;ich das<lb/>
leicht&#x017F;innige Volk alles &#x017F;o leicht macht. Sie &#x017F;chrei¬<lb/>
ben &#x017F;chneller ein Stück, als man Zeit braucht, es<lb/>
aufführen zu &#x017F;ehen. Kaum waren acht Tage nach<lb/>
der Revolution verflo&#x017F;&#x017F;en, als &#x017F;chon zwanzig Komö¬<lb/>
dien fertig waren, die alle auf das Ereigniß Bezug<lb/>
hatten. Gewöhnlich i&#x017F;t kein ge&#x017F;under Men&#x017F;chenver¬<lb/>
&#x017F;tand darin, aber wozu auch? I&#x017F;t nicht jedes Volk<lb/>
ein ewiges Kind und brauchen daher Volks-Schau¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0082] lich an als verſtände er mich nicht und widerſpricht mir; doch wird es keinem Leſer entgehen, wie das gemeint iſt. Im Grunde denkt Herr Neumann (ſo heißt der Berliner Recenſent) ganz wie ich; aber ein königlich Preußiſcher Gelehrter muß ſprechen wie der Herr von Schuckmann. Das iſt das Preußen¬ thum, das iſt die proteſtantirte Oeſterreichiſche Politik. Das iſt, was ich in meiner Brochüre über die Berliner Zeitung alles vorhergeſagt. — Vor einigen Tagen war ich zum erſten Male im Theater, und zwar in meinen geliebten Variétés. Ich wurde den Abend um einige Pfunde leichter, was bei einem deutſchen Bleimänn¬ chen, wie ich eins bin, ſchon einen großen Unterſchied macht. Es wird einem dabei ganz tänzerlich zu Muthe, die Füße erheben ſich von ſelbſt und man könnte ſich nicht enthalten, ſelbſt Hegel zu einem Walzer aufzufordern, wenn er grade in der Nähe ſtände. Ich habe meine Freude daran, wie ſich das leichtſinnige Volk alles ſo leicht macht. Sie ſchrei¬ ben ſchneller ein Stück, als man Zeit braucht, es aufführen zu ſehen. Kaum waren acht Tage nach der Revolution verfloſſen, als ſchon zwanzig Komö¬ dien fertig waren, die alle auf das Ereigniß Bezug hatten. Gewöhnlich iſt kein geſunder Menſchenver¬ ſtand darin, aber wozu auch? Iſt nicht jedes Volk ein ewiges Kind und brauchen daher Volks-Schau¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/82
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/82>, abgerufen am 05.12.2024.