Mann den ganzen Abend in dem Gedränge und in der Hitze aushält, ist mir unbegreiflich. Dazu muß man ein Franzose seyn. Als man ihm die Nachrich¬ ten aus ... mittheilte, schien er sehr vergnügt und lachte. Ich habe den Abend viele Leute gesprochen, die ich natürlich nicht alle kenne. Auch viele Deut¬ sche waren da, junge Leute, die sehr revolutionirten. Die ganze Gesellschaft würde im Oesterreichischen gehenkt werden, wenn man sie hätte. Es geht da sehr ungenirt her, ja ungenirter als im Kaffeehause. Und dabei hat man die Erfrischungen umsonst. Ich ging schon um zehn Uhr weg. Da waren noch die Treppen bedeckt von Leuten, die kamen. Wie die aber Platz finden mochten, weiß ich nicht. Es waren auch zwei Sophas mit Frauenzimmern da, meistens Nordamerikanerinnen. Talleyrand war neulich, ehe er nach London abreiste, in Lafayette's Salon; es hat aber kein Mensch mit ihm gesprochen. Ich sprach unter andern zwei Advokaten, welche die Vertheidigung der angeklagten Minister übernommen. Sie sagten, die Sache stände schlimm mit ihren Klienten und sie ständen in Lebensgefahr. Sie wä¬ ren aber auch so dumm, daß sie nicht einmal so viel Verstand gehabt hätten, zu entwischen, was die Re¬ gierung sehr gern gesehen hätte. Jetzt sei es zur Flucht zu spät. Der Kommandant in Vincennes, wo die Minister eingesperrt sind, sei streng und lasse
Mann den ganzen Abend in dem Gedränge und in der Hitze aushält, iſt mir unbegreiflich. Dazu muß man ein Franzoſe ſeyn. Als man ihm die Nachrich¬ ten aus ... mittheilte, ſchien er ſehr vergnügt und lachte. Ich habe den Abend viele Leute geſprochen, die ich natürlich nicht alle kenne. Auch viele Deut¬ ſche waren da, junge Leute, die ſehr revolutionirten. Die ganze Geſellſchaft würde im Oeſterreichiſchen gehenkt werden, wenn man ſie hätte. Es geht da ſehr ungenirt her, ja ungenirter als im Kaffeehauſe. Und dabei hat man die Erfriſchungen umſonſt. Ich ging ſchon um zehn Uhr weg. Da waren noch die Treppen bedeckt von Leuten, die kamen. Wie die aber Platz finden mochten, weiß ich nicht. Es waren auch zwei Sophas mit Frauenzimmern da, meiſtens Nordamerikanerinnen. Talleyrand war neulich, ehe er nach London abreiſte, in Lafayette's Salon; es hat aber kein Menſch mit ihm geſprochen. Ich ſprach unter andern zwei Advokaten, welche die Vertheidigung der angeklagten Miniſter übernommen. Sie ſagten, die Sache ſtände ſchlimm mit ihren Klienten und ſie ſtänden in Lebensgefahr. Sie wä¬ ren aber auch ſo dumm, daß ſie nicht einmal ſo viel Verſtand gehabt hätten, zu entwiſchen, was die Re¬ gierung ſehr gern geſehen hätte. Jetzt ſei es zur Flucht zu ſpät. Der Kommandant in Vincennes, wo die Miniſter eingeſperrt ſind, ſei ſtreng und laſſe
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Mann den ganzen Abend in dem Gedränge und in
der Hitze aushält, iſt mir unbegreiflich. Dazu muß
man ein Franzoſe ſeyn. Als man ihm die Nachrich¬
ten aus ... mittheilte, ſchien er ſehr vergnügt und
lachte. Ich habe den Abend viele Leute geſprochen,
die ich natürlich nicht alle kenne. Auch viele Deut¬
ſche waren da, junge Leute, die ſehr revolutionirten.
Die ganze Geſellſchaft würde im Oeſterreichiſchen
gehenkt werden, wenn man ſie hätte. Es geht da
ſehr ungenirt her, ja ungenirter als im Kaffeehauſe.
Und dabei hat man die Erfriſchungen umſonſt. Ich
ging ſchon um zehn Uhr weg. Da waren noch die
Treppen bedeckt von Leuten, die kamen. Wie die
aber Platz finden mochten, weiß ich nicht. Es
waren auch zwei Sophas mit Frauenzimmern da,
meiſtens Nordamerikanerinnen. Talleyrand war
neulich, ehe er nach London abreiſte, in Lafayette's
Salon; es hat aber kein Menſch mit ihm geſprochen.
Ich ſprach unter andern zwei Advokaten, welche die
Vertheidigung der angeklagten Miniſter übernommen.
Sie ſagten, die Sache ſtände ſchlimm mit ihren
Klienten und ſie ſtänden in Lebensgefahr. Sie wä¬
ren aber auch ſo dumm, daß ſie nicht einmal ſo viel
Verſtand gehabt hätten, zu entwiſchen, was die Re¬
gierung ſehr gern geſehen hätte. Jetzt ſei es zur
Flucht zu ſpät. Der Kommandant in Vincennes,
wo die Miniſter eingeſperrt ſind, ſei ſtreng und laſſe
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/76>, abgerufen am 22.07.2024.
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