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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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sor findet, das wegstreicht. Die alten Künste,
in jedes aufrührerische Land fremdes Militär zu
legen, Nassauer nach Darmstadt, Darmstädter nach
Nassau, werden nicht lange ausreichen. Wenn ein¬
mal der Soldat zur Einsicht gekommen, daß er Bür¬
ger ist eher als Soldat, und wenn er einmal den
großen Schritt gethan, blinden Gehorsam zu verwei¬
gern, dann wird er auch bald zur Einsicht kommen,
daß alle Deutsche seine Landsleute sind, und wird
nicht länger um Tagelohn ein Vater- oder Bruder¬
mörder seyn. Alle alte Dummheiten kommen wie¬
der zum Vorschein, nicht eine ist seit fünfzehn Jah¬
ren gestorben. So habe ich in deutschen Blättern
gelesen, man habe entdeckt, daß eine geheime Ge¬
sellschaft
die revolutionären Bewegungen überall
geleitet, und man sei den Rädelsführern auf der
Spur. Die schlauen Füchse!

-- Gestern Abend war ich bei Lafayette, der
jeden Dienstag eine Soiree gibt. Wie es da zuging,
davon kann ich Ihnen schwer eine Vorstellung geben,
man muß das selbst gesehen haben. In drei Salons
waren wohl drei Hundert Menschen versammelt, so
gedrängt, daß man sich nicht rühren konnte, aber im
wörtlichsten Sinne nicht rühren. Lafayette, der 73
Jahre alt ist, sieht noch ziemlich rüstig aus. Er hat
eine sehr gute Physiognomie, ist immer freundlich
und drückt jedem die Hand. Wie es aber der alte

ſor findet, das wegſtreicht. Die alten Künſte,
in jedes aufrühreriſche Land fremdes Militär zu
legen, Naſſauer nach Darmſtadt, Darmſtädter nach
Naſſau, werden nicht lange ausreichen. Wenn ein¬
mal der Soldat zur Einſicht gekommen, daß er Bür¬
ger iſt eher als Soldat, und wenn er einmal den
großen Schritt gethan, blinden Gehorſam zu verwei¬
gern, dann wird er auch bald zur Einſicht kommen,
daß alle Deutſche ſeine Landsleute ſind, und wird
nicht länger um Tagelohn ein Vater- oder Bruder¬
mörder ſeyn. Alle alte Dummheiten kommen wie¬
der zum Vorſchein, nicht eine iſt ſeit fünfzehn Jah¬
ren geſtorben. So habe ich in deutſchen Blättern
geleſen, man habe entdeckt, daß eine geheime Ge¬
ſellſchaft
die revolutionären Bewegungen überall
geleitet, und man ſei den Rädelsführern auf der
Spur. Die ſchlauen Füchſe!

— Geſtern Abend war ich bei Lafayette, der
jeden Dienſtag eine Soiree gibt. Wie es da zuging,
davon kann ich Ihnen ſchwer eine Vorſtellung geben,
man muß das ſelbſt geſehen haben. In drei Salons
waren wohl drei Hundert Menſchen verſammelt, ſo
gedrängt, daß man ſich nicht rühren konnte, aber im
wörtlichſten Sinne nicht rühren. Lafayette, der 73
Jahre alt iſt, ſieht noch ziemlich rüſtig aus. Er hat
eine ſehr gute Phyſiognomie, iſt immer freundlich
und drückt jedem die Hand. Wie es aber der alte

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[61/0075] ſor findet, das wegſtreicht. Die alten Künſte, in jedes aufrühreriſche Land fremdes Militär zu legen, Naſſauer nach Darmſtadt, Darmſtädter nach Naſſau, werden nicht lange ausreichen. Wenn ein¬ mal der Soldat zur Einſicht gekommen, daß er Bür¬ ger iſt eher als Soldat, und wenn er einmal den großen Schritt gethan, blinden Gehorſam zu verwei¬ gern, dann wird er auch bald zur Einſicht kommen, daß alle Deutſche ſeine Landsleute ſind, und wird nicht länger um Tagelohn ein Vater- oder Bruder¬ mörder ſeyn. Alle alte Dummheiten kommen wie¬ der zum Vorſchein, nicht eine iſt ſeit fünfzehn Jah¬ ren geſtorben. So habe ich in deutſchen Blättern geleſen, man habe entdeckt, daß eine geheime Ge¬ ſellſchaft die revolutionären Bewegungen überall geleitet, und man ſei den Rädelsführern auf der Spur. Die ſchlauen Füchſe! — Geſtern Abend war ich bei Lafayette, der jeden Dienſtag eine Soiree gibt. Wie es da zuging, davon kann ich Ihnen ſchwer eine Vorſtellung geben, man muß das ſelbſt geſehen haben. In drei Salons waren wohl drei Hundert Menſchen verſammelt, ſo gedrängt, daß man ſich nicht rühren konnte, aber im wörtlichſten Sinne nicht rühren. Lafayette, der 73 Jahre alt iſt, ſieht noch ziemlich rüſtig aus. Er hat eine ſehr gute Phyſiognomie, iſt immer freundlich und drückt jedem die Hand. Wie es aber der alte

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/75>, abgerufen am 17.05.2024.