Ich wollte einmal sehen, wie in einer, auf ei¬ ner Monarchie gepfropften Republik die Justiz be¬ schaffen sei. Ich trat in den Laden eines Apothekers um mich nach der Wohnung des Friedensrichters zu erkundigen. Die Apotheke sah derjenigen, welche Shakspeare in Romeo und Julie beschrieben, sehr ähnlich, und ich glaube, ich hätte da leicht Gift haben können. Der müßige Apotheker las die neue Charte Constitutionelle. Statt aber auf meine Frage nach der Wohnung des Friedensrichters zu antworten, fragte er mich, was ich da suche? Ich erzählte ihm meinen theuren Fall. Er erkundigte sich nach dem Wirthshause, und als ich es ihm bezeichnet, erwie¬ derte er mir, er wisse nicht, wo der Friedensrichter wohne. Wahrscheinlich war er mit der spitzbübi¬ schen Wirthin befreundet. Ich ging fort und ließ ihm einen verächtlichen Blick zurück. So sind die Liberalen! Ich ließ mir von einem Andern das Haus des Friedensrichters bezeichnen. Ich trat hinein, ein Hund sprang mir entgegen, der mich bald zerrissen hätte, und auf dessen Gebell eilte ein Knecht herbei, der mir sagte, der Friedensrichter wäre verreist und ich sollte mich an den Greffier wen¬ den. Mit Mühe fand ich die Wohnung des Gref¬ fiers. Der war über Land gegangen. Ich suchte den Maire auf; man sagte mir, der wäre zum Prä¬ fekten gerufen worden, und ich sollte zum Maire¬
Ich wollte einmal ſehen, wie in einer, auf ei¬ ner Monarchie gepfropften Republik die Juſtiz be¬ ſchaffen ſei. Ich trat in den Laden eines Apothekers um mich nach der Wohnung des Friedensrichters zu erkundigen. Die Apotheke ſah derjenigen, welche Shakſpeare in Romeo und Julie beſchrieben, ſehr ähnlich, und ich glaube, ich hätte da leicht Gift haben können. Der müßige Apotheker las die neue Charte Constitutionelle. Statt aber auf meine Frage nach der Wohnung des Friedensrichters zu antworten, fragte er mich, was ich da ſuche? Ich erzählte ihm meinen theuren Fall. Er erkundigte ſich nach dem Wirthshauſe, und als ich es ihm bezeichnet, erwie¬ derte er mir, er wiſſe nicht, wo der Friedensrichter wohne. Wahrſcheinlich war er mit der ſpitzbübi¬ ſchen Wirthin befreundet. Ich ging fort und ließ ihm einen verächtlichen Blick zurück. So ſind die Liberalen! Ich ließ mir von einem Andern das Haus des Friedensrichters bezeichnen. Ich trat hinein, ein Hund ſprang mir entgegen, der mich bald zerriſſen hätte, und auf deſſen Gebell eilte ein Knecht herbei, der mir ſagte, der Friedensrichter wäre verreiſt und ich ſollte mich an den Greffier wen¬ den. Mit Mühe fand ich die Wohnung des Gref¬ fiers. Der war über Land gegangen. Ich ſuchte den Maire auf; man ſagte mir, der wäre zum Prä¬ fekten gerufen worden, und ich ſollte zum Maire¬
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Ich wollte einmal ſehen, wie in einer, auf ei¬
ner Monarchie gepfropften Republik die Juſtiz be¬
ſchaffen ſei. Ich trat in den Laden eines Apothekers
um mich nach der Wohnung des Friedensrichters zu
erkundigen. Die Apotheke ſah derjenigen, welche
Shakſpeare in Romeo und Julie beſchrieben, ſehr
ähnlich, und ich glaube, ich hätte da leicht Gift haben
können. Der müßige Apotheker las die neue Charte
Constitutionelle. Statt aber auf meine Frage nach
der Wohnung des Friedensrichters zu antworten,
fragte er mich, was ich da ſuche? Ich erzählte ihm
meinen theuren Fall. Er erkundigte ſich nach dem
Wirthshauſe, und als ich es ihm bezeichnet, erwie¬
derte er mir, er wiſſe nicht, wo der Friedensrichter
wohne. Wahrſcheinlich war er mit der ſpitzbübi¬
ſchen Wirthin befreundet. Ich ging fort und ließ
ihm einen verächtlichen Blick zurück. So ſind die
Liberalen! Ich ließ mir von einem Andern das
Haus des Friedensrichters bezeichnen. Ich trat
hinein, ein Hund ſprang mir entgegen, der mich
bald zerriſſen hätte, und auf deſſen Gebell eilte ein
Knecht herbei, der mir ſagte, der Friedensrichter
wäre verreiſt und ich ſollte mich an den Greffier wen¬
den. Mit Mühe fand ich die Wohnung des Gref¬
fiers. Der war über Land gegangen. Ich ſuchte
den Maire auf; man ſagte mir, der wäre zum Prä¬
fekten gerufen worden, und ich ſollte zum Maire¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/39>, abgerufen am 27.07.2024.
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