freiheit ohne Retourwagen, wie in Frankreich, oder Retourwagen ohne Preßfreiheit wie in Deutschland.
Ich machte einige Gänge durch die Stadt, aber in den Straßen war es so öde und stille, die Men¬ schen erschienen mir so langweilig und gelangweilt, und selbst im Kaffehause, sonst dem Pochwerke jeder französischen Stadt, hatte Alles so ein schläfriges Ansehen, daß ich bald wieder nach Hause eilte. Dort zog ich Pantoffeln und Schlafrock an, um we¬ nigstens mit Bequemlichkeit zu verzweifeln. Da er¬ innerte mich ein zufälliger Blick in den Kalender, daß es wieder Zeit sei, den guten Blutigeln, die zur Erhaltung meiner Liebenswürdigkeit so vieles beitragen, ihr kleines monatliches Fest zu geben. Es war mir eine willkommene Zerstreuung, und ich schickte nach einem Chirurgen. Statt dessen kam aber eine Frau von sechzig Jahren, die sich mir als Hebamme vorstellte, und mich artig versicherte, der von mir verlangte Dienst sei eigentlich ihr Ge¬ schäft. Ich muß gestehen, daß die Französin die Operation mit einer Leichtigkeit, Sicherheit, Schnel¬ ligkeit und ich möchte sagen mit einer Grazie aus¬ führte, die ich bei dem geschicktesten deutschen Chi¬ rurgus nie gefunden hatte. Sie zeigte so viel An¬ stand in ihrem Betragen, war so abgemessen in allen ihren Bewegungen, sprach so fein, so bedächtig und umsichtig, daß ich mich nicht enthalten konnte, sie
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freiheit ohne Retourwagen, wie in Frankreich, oder Retourwagen ohne Preßfreiheit wie in Deutſchland.
Ich machte einige Gänge durch die Stadt, aber in den Straßen war es ſo öde und ſtille, die Men¬ ſchen erſchienen mir ſo langweilig und gelangweilt, und ſelbſt im Kaffehauſe, ſonſt dem Pochwerke jeder franzöſiſchen Stadt, hatte Alles ſo ein ſchläfriges Anſehen, daß ich bald wieder nach Hauſe eilte. Dort zog ich Pantoffeln und Schlafrock an, um we¬ nigſtens mit Bequemlichkeit zu verzweifeln. Da er¬ innerte mich ein zufälliger Blick in den Kalender, daß es wieder Zeit ſei, den guten Blutigeln, die zur Erhaltung meiner Liebenswürdigkeit ſo vieles beitragen, ihr kleines monatliches Feſt zu geben. Es war mir eine willkommene Zerſtreuung, und ich ſchickte nach einem Chirurgen. Statt deſſen kam aber eine Frau von ſechzig Jahren, die ſich mir als Hebamme vorſtellte, und mich artig verſicherte, der von mir verlangte Dienſt ſei eigentlich ihr Ge¬ ſchäft. Ich muß geſtehen, daß die Franzöſin die Operation mit einer Leichtigkeit, Sicherheit, Schnel¬ ligkeit und ich möchte ſagen mit einer Grazie aus¬ führte, die ich bei dem geſchickteſten deutſchen Chi¬ rurgus nie gefunden hatte. Sie zeigte ſo viel An¬ ſtand in ihrem Betragen, war ſo abgemeſſen in allen ihren Bewegungen, ſprach ſo fein, ſo bedächtig und umſichtig, daß ich mich nicht enthalten konnte, ſie
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freiheit ohne Retourwagen, wie in Frankreich, oder
Retourwagen ohne Preßfreiheit wie in Deutſchland.
Ich machte einige Gänge durch die Stadt, aber
in den Straßen war es ſo öde und ſtille, die Men¬
ſchen erſchienen mir ſo langweilig und gelangweilt,
und ſelbſt im Kaffehauſe, ſonſt dem Pochwerke jeder
franzöſiſchen Stadt, hatte Alles ſo ein ſchläfriges
Anſehen, daß ich bald wieder nach Hauſe eilte.
Dort zog ich Pantoffeln und Schlafrock an, um we¬
nigſtens mit Bequemlichkeit zu verzweifeln. Da er¬
innerte mich ein zufälliger Blick in den Kalender,
daß es wieder Zeit ſei, den guten Blutigeln, die
zur Erhaltung meiner Liebenswürdigkeit ſo vieles
beitragen, ihr kleines monatliches Feſt zu geben. Es
war mir eine willkommene Zerſtreuung, und ich
ſchickte nach einem Chirurgen. Statt deſſen kam
aber eine Frau von ſechzig Jahren, die ſich mir
als Hebamme vorſtellte, und mich artig verſicherte,
der von mir verlangte Dienſt ſei eigentlich ihr Ge¬
ſchäft. Ich muß geſtehen, daß die Franzöſin die
Operation mit einer Leichtigkeit, Sicherheit, Schnel¬
ligkeit und ich möchte ſagen mit einer Grazie aus¬
führte, die ich bei dem geſchickteſten deutſchen Chi¬
rurgus nie gefunden hatte. Sie zeigte ſo viel An¬
ſtand in ihrem Betragen, war ſo abgemeſſen in allen
ihren Bewegungen, ſprach ſo fein, ſo bedächtig und
umſichtig, daß ich mich nicht enthalten konnte, ſie
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/33>, abgerufen am 27.07.2024.
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