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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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von dem Adel ausgegangen, ich glaube aber darum
nicht, daß das Volk gleichgültig dabei geblieben.
Die Armee, die den größten Enthusiasmus zeigt, be¬
stehet ja aus Bauern, übrigens sind die Bürger in
den Städten keine Leibeigne, und auf diese kömmt
alles an. Denn die Polen können sich in keine Ge¬
fechte auf dem offnen Lande einlassen, sie müssen sich
in den Städten verschanzen und wehren; thun sie
das nur standhaft, sind die Russen, wenn auch noch
so mächtig, verloren. Ich hoffe das Beste, denn ich
zähle auf die Weisheit Gottes und auf die Dumm¬
heit seiner sogenannten Stellvertreter. Hier gehet
es schlecht, man hat die Suppe kalt werden lassen,
und dabei rufen die Väter des Volks demselben, wie
einem Kinde, noch ganz ironisch zu: verbrenne dich
nicht! das gute Volk hat sich mit Blut und Schweiß
die Freiheit erworben, und die spitzbübische Kammer,
die in Pantoffeln in ihrem Comptoir saß, sagte ihm:
Ihr wißt mit dem Gelde doch nicht umzugehen, wir
wollen es Euch verwalten. Und ich sehe nicht, wie
die Sache besser werden kann, außer durch eine Art
neuer Revolution. Nach dem bis jetzt bestehenden
Wahlgesetz wählen nur die Reichen, also die aristo¬
kratisch Gesinnten, und nur die Reichsten können
Deputirten werden. Lößt das Ministerium, welches
liberaler ist als die Kammer, diese auf, so werden
die nehmlichen Deputirten wieder gewählt. Um die¬

I. 12

von dem Adel ausgegangen, ich glaube aber darum
nicht, daß das Volk gleichgültig dabei geblieben.
Die Armee, die den größten Enthuſiasmus zeigt, be¬
ſtehet ja aus Bauern, übrigens ſind die Bürger in
den Städten keine Leibeigne, und auf dieſe kömmt
alles an. Denn die Polen können ſich in keine Ge¬
fechte auf dem offnen Lande einlaſſen, ſie müſſen ſich
in den Städten verſchanzen und wehren; thun ſie
das nur ſtandhaft, ſind die Ruſſen, wenn auch noch
ſo mächtig, verloren. Ich hoffe das Beſte, denn ich
zähle auf die Weisheit Gottes und auf die Dumm¬
heit ſeiner ſogenannten Stellvertreter. Hier gehet
es ſchlecht, man hat die Suppe kalt werden laſſen,
und dabei rufen die Väter des Volks demſelben, wie
einem Kinde, noch ganz ironiſch zu: verbrenne dich
nicht! das gute Volk hat ſich mit Blut und Schweiß
die Freiheit erworben, und die ſpitzbübiſche Kammer,
die in Pantoffeln in ihrem Comptoir ſaß, ſagte ihm:
Ihr wißt mit dem Gelde doch nicht umzugehen, wir
wollen es Euch verwalten. Und ich ſehe nicht, wie
die Sache beſſer werden kann, außer durch eine Art
neuer Revolution. Nach dem bis jetzt beſtehenden
Wahlgeſetz wählen nur die Reichen, alſo die ariſto¬
kratiſch Geſinnten, und nur die Reichſten können
Deputirten werden. Lößt das Miniſterium, welches
liberaler iſt als die Kammer, dieſe auf, ſo werden
die nehmlichen Deputirten wieder gewählt. Um die¬

I. 12
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[177/0191] von dem Adel ausgegangen, ich glaube aber darum nicht, daß das Volk gleichgültig dabei geblieben. Die Armee, die den größten Enthuſiasmus zeigt, be¬ ſtehet ja aus Bauern, übrigens ſind die Bürger in den Städten keine Leibeigne, und auf dieſe kömmt alles an. Denn die Polen können ſich in keine Ge¬ fechte auf dem offnen Lande einlaſſen, ſie müſſen ſich in den Städten verſchanzen und wehren; thun ſie das nur ſtandhaft, ſind die Ruſſen, wenn auch noch ſo mächtig, verloren. Ich hoffe das Beſte, denn ich zähle auf die Weisheit Gottes und auf die Dumm¬ heit ſeiner ſogenannten Stellvertreter. Hier gehet es ſchlecht, man hat die Suppe kalt werden laſſen, und dabei rufen die Väter des Volks demſelben, wie einem Kinde, noch ganz ironiſch zu: verbrenne dich nicht! das gute Volk hat ſich mit Blut und Schweiß die Freiheit erworben, und die ſpitzbübiſche Kammer, die in Pantoffeln in ihrem Comptoir ſaß, ſagte ihm: Ihr wißt mit dem Gelde doch nicht umzugehen, wir wollen es Euch verwalten. Und ich ſehe nicht, wie die Sache beſſer werden kann, außer durch eine Art neuer Revolution. Nach dem bis jetzt beſtehenden Wahlgeſetz wählen nur die Reichen, alſo die ariſto¬ kratiſch Geſinnten, und nur die Reichſten können Deputirten werden. Lößt das Miniſterium, welches liberaler iſt als die Kammer, dieſe auf, ſo werden die nehmlichen Deputirten wieder gewählt. Um die¬ I. 12

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/191>, abgerufen am 17.05.2024.