man sich nicht den Kopf an die Wand stoßen, daß man ein Deutscher ist, der aus seiner Armuth und Niedrigkeit gar nicht heraus kommen kann? In Deutschland geschieht wohl manches für Kunst und Wissenschaft, aber für Künstler und Schriftsteller gar nichts. Hier vertheilt die Regierung jährliche Preise für die besten Werke der Malerei, der Bildhauer¬ kunst, Lithographie, Musik und so für Alle. Der erste Preis besteht darin, daß der Gewinnende auf fünf Jahre lang, jährlich 3000 Franken erhält, und dafür muß er diese Zeit in Rom zu seiner Ausbildung zubringen. Einem Deutschen würde dieses Müssen in Rom leben komisch klingen, denn er ist lieber in Rom als in Berlin, Carlsruhe. Aber Franzosen erscheint dieses oft als Zwang, denn sie verlassen Paris nicht gern. So hat die vorige Woche ein junger Mensch, Namens Berlioz, den ersten Preis der musikalischen Composition erhalten. Ich kenne ihn, er gefällt mir, er siehet aus wie ein Genie. Geschiehet je so etwas bei uns? Denken Sie an Beethoven. O! ich habe eine Wuth! Schicken Sie mir doch einmal eine Schachtel voll deutscher Erde, daß ich sie hinunterschlucke. Das ist ohne dies gut gegen Magensäure, und so kann ich das verfluchte Land doch wenigstens symbolisch ver¬ nichten und verschlingen. Neukamp, ein deutscher Componist (ich glaube er macht Kirchenmusik) lebt in
man ſich nicht den Kopf an die Wand ſtoßen, daß man ein Deutſcher iſt, der aus ſeiner Armuth und Niedrigkeit gar nicht heraus kommen kann? In Deutſchland geſchieht wohl manches für Kunſt und Wiſſenſchaft, aber für Künſtler und Schriftſteller gar nichts. Hier vertheilt die Regierung jährliche Preiſe für die beſten Werke der Malerei, der Bildhauer¬ kunſt, Lithographie, Muſik und ſo für Alle. Der erſte Preis beſteht darin, daß der Gewinnende auf fünf Jahre lang, jährlich 3000 Franken erhält, und dafür muß er dieſe Zeit in Rom zu ſeiner Ausbildung zubringen. Einem Deutſchen würde dieſes Müſſen in Rom leben komiſch klingen, denn er iſt lieber in Rom als in Berlin, Carlsruhe. Aber Franzoſen erſcheint dieſes oft als Zwang, denn ſie verlaſſen Paris nicht gern. So hat die vorige Woche ein junger Menſch, Namens Berlioz, den erſten Preis der muſikaliſchen Compoſition erhalten. Ich kenne ihn, er gefällt mir, er ſiehet aus wie ein Genie. Geſchiehet je ſo etwas bei uns? Denken Sie an Beethoven. O! ich habe eine Wuth! Schicken Sie mir doch einmal eine Schachtel voll deutſcher Erde, daß ich ſie hinunterſchlucke. Das iſt ohne dies gut gegen Magenſäure, und ſo kann ich das verfluchte Land doch wenigſtens ſymboliſch ver¬ nichten und verſchlingen. Neukamp, ein deutſcher Componiſt (ich glaube er macht Kirchenmuſik) lebt in
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man ſich nicht den Kopf an die Wand ſtoßen, daß
man ein Deutſcher iſt, der aus ſeiner Armuth und
Niedrigkeit gar nicht heraus kommen kann? In
Deutſchland geſchieht wohl manches für Kunſt und
Wiſſenſchaft, aber für Künſtler und Schriftſteller gar
nichts. Hier vertheilt die Regierung jährliche Preiſe
für die beſten Werke der Malerei, der Bildhauer¬
kunſt, Lithographie, Muſik und ſo für Alle. Der
erſte Preis beſteht darin, daß der Gewinnende auf
fünf Jahre lang, jährlich 3000 Franken erhält,
und dafür muß er dieſe Zeit in Rom zu ſeiner
Ausbildung zubringen. Einem Deutſchen würde dieſes
Müſſen in Rom leben komiſch klingen, denn er iſt
lieber in Rom als in Berlin, Carlsruhe. Aber
Franzoſen erſcheint dieſes oft als Zwang, denn ſie
verlaſſen Paris nicht gern. So hat die vorige Woche
ein junger Menſch, Namens Berlioz, den erſten
Preis der muſikaliſchen Compoſition erhalten. Ich
kenne ihn, er gefällt mir, er ſiehet aus wie ein
Genie. Geſchiehet je ſo etwas bei uns? Denken
Sie an Beethoven. O! ich habe eine Wuth!
Schicken Sie mir doch einmal eine Schachtel voll
deutſcher Erde, daß ich ſie hinunterſchlucke. Das iſt
ohne dies gut gegen Magenſäure, und ſo kann ich
das verfluchte Land doch wenigſtens ſymboliſch ver¬
nichten und verſchlingen. Neukamp, ein deutſcher
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/102>, abgerufen am 16.02.2025.
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