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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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fortan ging, niemals dort wieder nachkommend, dagegen sicher
vielfach abwärts lenkend.

Es liegt in dieser neuen Betrachtung etwas, was dich
vor einer gewissen Unterschätzung des echten Ur-Kulturmenschen
bewahren kann.

Es klingt ja so einfach, zu sagen: der bestialisch roheste
Wilde von heute ist eben deshalb, weil er noch so roh ist, das
ausgesucht treue Konterfei unsrer eigenen Urkulturler. Aber
das vergißt, daß jener Urwilde, der hinter uns steht, der wir
selbst, bloß entwickelungsverwandelt, durch die Unsterblichkeit
der Liebe eigentlich in Fleisch und Blut heute noch sind, doch
das Zeug gehabt hat, zu uns zu steigen, -- während der
heutige Wilde in den ganzen Zwischenjahrtausenden nichts ge¬
than hat, als seine Wildheit sozusagen zu mästen, daß sie wie
ein Menagerieobjekt erhalten geblieben ist. Sollte er sie nicht
in der Zeit doch auch oft ganz beträchtlich gesteigert haben bei
dieser Pflege ohne Entwickelung? So daß ein gut Teil ent¬
setzlicher Rohheit und Bestialität von heute nun doch nicht auch
zum Konterfei unserer wirklichen Kulturahnen zu gehören
brauchte?

Es ist gewiß eigenartig zu verfolgen: auch in unserer
ganzen echten Kulturentwickelung bis auf den heutigen Tag
spalten sich solche Wildheits- und Bestialitätsäste, die auf ihrem
Fleck beharren oder höchstens noch tiefer sinken, fort und fort
im Engeren noch ab, wenn auch die lokale Trennung heute
keine Rolle so mehr dabei spielt. Aber inzwischen geht die
wahre Kultur über einen ebenso zäh immer neu erzeugten
Stamm feinerer, entwickelungsfähigerer Elemente ruhig ihren
Weg, und zwar geht sie nur über diese Elemente. Sie geht
nicht über Tyrannen, Defraudanten und Obskuranten, Zuhälter
und vergewaltigende Soldateska, sondern über die Buddha,
Sokrates, Christus, Michelangelo, Dante, Spinoza, Goethe und
Darwin der Weltgeschichte. Etwas derart wird aber immer
gewaltet haben.

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fortan ging, niemals dort wieder nachkommend, dagegen ſicher
vielfach abwärts lenkend.

Es liegt in dieſer neuen Betrachtung etwas, was dich
vor einer gewiſſen Unterſchätzung des echten Ur-Kulturmenſchen
bewahren kann.

Es klingt ja ſo einfach, zu ſagen: der beſtialiſch roheſte
Wilde von heute iſt eben deshalb, weil er noch ſo roh iſt, das
ausgeſucht treue Konterfei unſrer eigenen Urkulturler. Aber
das vergißt, daß jener Urwilde, der hinter uns ſteht, der wir
ſelbſt, bloß entwickelungsverwandelt, durch die Unſterblichkeit
der Liebe eigentlich in Fleiſch und Blut heute noch ſind, doch
das Zeug gehabt hat, zu uns zu ſteigen, — während der
heutige Wilde in den ganzen Zwiſchenjahrtauſenden nichts ge¬
than hat, als ſeine Wildheit ſozuſagen zu mäſten, daß ſie wie
ein Menagerieobjekt erhalten geblieben iſt. Sollte er ſie nicht
in der Zeit doch auch oft ganz beträchtlich geſteigert haben bei
dieſer Pflege ohne Entwickelung? So daß ein gut Teil ent¬
ſetzlicher Rohheit und Beſtialität von heute nun doch nicht auch
zum Konterfei unſerer wirklichen Kulturahnen zu gehören
brauchte?

Es iſt gewiß eigenartig zu verfolgen: auch in unſerer
ganzen echten Kulturentwickelung bis auf den heutigen Tag
ſpalten ſich ſolche Wildheits- und Beſtialitätsäſte, die auf ihrem
Fleck beharren oder höchſtens noch tiefer ſinken, fort und fort
im Engeren noch ab, wenn auch die lokale Trennung heute
keine Rolle ſo mehr dabei ſpielt. Aber inzwiſchen geht die
wahre Kultur über einen ebenſo zäh immer neu erzeugten
Stamm feinerer, entwickelungsfähigerer Elemente ruhig ihren
Weg, und zwar geht ſie nur über dieſe Elemente. Sie geht
nicht über Tyrannen, Defraudanten und Obſkuranten, Zuhälter
und vergewaltigende Soldateska, ſondern über die Buddha,
Sokrates, Chriſtus, Michelangelo, Dante, Spinoza, Goethe und
Darwin der Weltgeſchichte. Etwas derart wird aber immer
gewaltet haben.

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[83/0097] fortan ging, niemals dort wieder nachkommend, dagegen ſicher vielfach abwärts lenkend. Es liegt in dieſer neuen Betrachtung etwas, was dich vor einer gewiſſen Unterſchätzung des echten Ur-Kulturmenſchen bewahren kann. Es klingt ja ſo einfach, zu ſagen: der beſtialiſch roheſte Wilde von heute iſt eben deshalb, weil er noch ſo roh iſt, das ausgeſucht treue Konterfei unſrer eigenen Urkulturler. Aber das vergißt, daß jener Urwilde, der hinter uns ſteht, der wir ſelbſt, bloß entwickelungsverwandelt, durch die Unſterblichkeit der Liebe eigentlich in Fleiſch und Blut heute noch ſind, doch das Zeug gehabt hat, zu uns zu ſteigen, — während der heutige Wilde in den ganzen Zwiſchenjahrtauſenden nichts ge¬ than hat, als ſeine Wildheit ſozuſagen zu mäſten, daß ſie wie ein Menagerieobjekt erhalten geblieben iſt. Sollte er ſie nicht in der Zeit doch auch oft ganz beträchtlich geſteigert haben bei dieſer Pflege ohne Entwickelung? So daß ein gut Teil ent¬ ſetzlicher Rohheit und Beſtialität von heute nun doch nicht auch zum Konterfei unſerer wirklichen Kulturahnen zu gehören brauchte? Es iſt gewiß eigenartig zu verfolgen: auch in unſerer ganzen echten Kulturentwickelung bis auf den heutigen Tag ſpalten ſich ſolche Wildheits- und Beſtialitätsäſte, die auf ihrem Fleck beharren oder höchſtens noch tiefer ſinken, fort und fort im Engeren noch ab, wenn auch die lokale Trennung heute keine Rolle ſo mehr dabei ſpielt. Aber inzwiſchen geht die wahre Kultur über einen ebenſo zäh immer neu erzeugten Stamm feinerer, entwickelungsfähigerer Elemente ruhig ihren Weg, und zwar geht ſie nur über dieſe Elemente. Sie geht nicht über Tyrannen, Defraudanten und Obſkuranten, Zuhälter und vergewaltigende Soldateska, ſondern über die Buddha, Sokrates, Chriſtus, Michelangelo, Dante, Spinoza, Goethe und Darwin der Weltgeſchichte. Etwas derart wird aber immer gewaltet haben. 6*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/97>, abgerufen am 22.11.2024.