tropischen Urwaldleben wenig ausgenutzt. Sollte uns in diesen Pygmäen ein ganz urältestes Abspaltungsprodukt der Mensch¬ heit noch erhalten sein? Eines, das schon südwärts ging, als die Enthaarung noch nicht ganz vollendet war? Und sollte uns hier ein Fingerzeig am Ende gar gegeben sein, daß die Urrasse der Menschheit im Ganzen einen mehr oder minder zwerghaften Bau besaß? Es ist wirklich ein merkwürdiges Ding um diese Zwerge. Am indischen Ozean taucht in den Weddas ein ebenso zwerghafter Rest Menschen mit denkbar einfachster, urtümlichster Kultur auf. Durch alle Kulturländer gehen die Zwergensagen, wie das letzte Anklingen einer alten Welle aus der Tiefe. Und den Gipfel setzt die Entdeckung unverkennbarer Pygmäen-Skelette in einer noch vorgeschichtlichen, der Eiszeit sich nähernden Fundstelle bei uns in Europa, -- in Schweizersbild bei Schaffhausen. Mindestens wird man sich denken müssen, daß ganz früh bereits ein bestimmter Rassenzweig der Ur-Menschheit diese Zwergenbahn eingeschlagen hat und, wo er sich überhaupt erhielt, auch zäh bei seiner Kleinheit geblieben ist.
Doch diese Betrachtung führt dich von selbst auf eine tiefere: in wiefern wir uns überhaupt noch ein Bild aus dem heute da und dort südwärts Verbannten zurecht zimmern könnten vom Kulturzustand unserer Eiszeit- oder Voreiszeit-Ahnen.
[Abbildung]
Die alte Auffassung hatte es ja da bequemer, -- sie sagte einfach: alles, was nackter Wilder ist, steht dem Tier näher und muß also noch unsere Entwickelungsahnen an der unteren Menschengrenze spiegeln. Wir bedenken aber jetzt, wie dieser Wilde wohl eben nicht der stehen gebliebene Ahne selbst sei, sondern ein altes Abspaltungsprodukt, das als solches sich vom großen Stamm löste und seine eigenen, gesonderten Wege
tropiſchen Urwaldleben wenig ausgenutzt. Sollte uns in dieſen Pygmäen ein ganz urälteſtes Abſpaltungsprodukt der Menſch¬ heit noch erhalten ſein? Eines, das ſchon ſüdwärts ging, als die Enthaarung noch nicht ganz vollendet war? Und ſollte uns hier ein Fingerzeig am Ende gar gegeben ſein, daß die Urraſſe der Menſchheit im Ganzen einen mehr oder minder zwerghaften Bau beſaß? Es iſt wirklich ein merkwürdiges Ding um dieſe Zwerge. Am indiſchen Ozean taucht in den Weddas ein ebenſo zwerghafter Reſt Menſchen mit denkbar einfachſter, urtümlichſter Kultur auf. Durch alle Kulturländer gehen die Zwergenſagen, wie das letzte Anklingen einer alten Welle aus der Tiefe. Und den Gipfel ſetzt die Entdeckung unverkennbarer Pygmäen-Skelette in einer noch vorgeſchichtlichen, der Eiszeit ſich nähernden Fundſtelle bei uns in Europa, — in Schweizersbild bei Schaffhauſen. Mindeſtens wird man ſich denken müſſen, daß ganz früh bereits ein beſtimmter Raſſenzweig der Ur-Menſchheit dieſe Zwergenbahn eingeſchlagen hat und, wo er ſich überhaupt erhielt, auch zäh bei ſeiner Kleinheit geblieben iſt.
Doch dieſe Betrachtung führt dich von ſelbſt auf eine tiefere: in wiefern wir uns überhaupt noch ein Bild aus dem heute da und dort ſüdwärts Verbannten zurecht zimmern könnten vom Kulturzuſtand unſerer Eiszeit- oder Voreiszeit-Ahnen.
[Abbildung]
Die alte Auffaſſung hatte es ja da bequemer, — ſie ſagte einfach: alles, was nackter Wilder iſt, ſteht dem Tier näher und muß alſo noch unſere Entwickelungsahnen an der unteren Menſchengrenze ſpiegeln. Wir bedenken aber jetzt, wie dieſer Wilde wohl eben nicht der ſtehen gebliebene Ahne ſelbſt ſei, ſondern ein altes Abſpaltungsprodukt, das als ſolches ſich vom großen Stamm löſte und ſeine eigenen, geſonderten Wege
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0096"n="82"/>
tropiſchen Urwaldleben wenig ausgenutzt. Sollte uns in dieſen<lb/>
Pygmäen ein ganz urälteſtes Abſpaltungsprodukt der Menſch¬<lb/>
heit noch erhalten ſein? Eines, das ſchon ſüdwärts ging, als<lb/>
die Enthaarung noch nicht ganz vollendet war? Und ſollte<lb/>
uns hier ein Fingerzeig am Ende gar gegeben ſein, daß die<lb/>
Urraſſe der Menſchheit im Ganzen einen mehr oder minder<lb/>
zwerghaften Bau beſaß? Es iſt wirklich ein merkwürdiges<lb/>
Ding um dieſe Zwerge. Am indiſchen Ozean taucht in den<lb/>
Weddas ein ebenſo zwerghafter Reſt Menſchen mit denkbar<lb/>
einfachſter, urtümlichſter Kultur auf. Durch alle Kulturländer<lb/>
gehen die Zwergenſagen, wie das letzte Anklingen einer alten<lb/>
Welle aus der Tiefe. Und den Gipfel ſetzt die Entdeckung<lb/>
unverkennbarer Pygmäen-Skelette in einer noch vorgeſchichtlichen,<lb/>
der Eiszeit ſich nähernden Fundſtelle bei uns in Europa, —<lb/>
in Schweizersbild bei Schaffhauſen. Mindeſtens wird man<lb/>ſich denken müſſen, daß ganz früh bereits ein beſtimmter<lb/>
Raſſenzweig der Ur-Menſchheit dieſe Zwergenbahn eingeſchlagen<lb/>
hat und, wo er ſich überhaupt erhielt, auch zäh bei ſeiner<lb/>
Kleinheit geblieben iſt.</p><lb/><p>Doch dieſe Betrachtung führt dich von ſelbſt auf eine<lb/>
tiefere: in wiefern wir uns überhaupt noch ein Bild aus dem<lb/>
heute da und dort ſüdwärts Verbannten zurecht zimmern könnten<lb/>
vom Kulturzuſtand unſerer Eiszeit- oder Voreiszeit-Ahnen.</p><lb/><figure/><p>Die alte Auffaſſung hatte es ja da bequemer, —ſie<lb/>ſagte einfach: alles, was nackter Wilder iſt, ſteht dem Tier<lb/>
näher und muß alſo noch unſere Entwickelungsahnen an der<lb/>
unteren Menſchengrenze ſpiegeln. Wir bedenken aber jetzt, wie<lb/>
dieſer Wilde wohl eben nicht der ſtehen gebliebene Ahne ſelbſt<lb/>ſei, ſondern ein altes Abſpaltungsprodukt, das als ſolches ſich<lb/>
vom großen Stamm löſte und ſeine eigenen, geſonderten Wege<lb/></p></div></body></text></TEI>
[82/0096]
tropiſchen Urwaldleben wenig ausgenutzt. Sollte uns in dieſen
Pygmäen ein ganz urälteſtes Abſpaltungsprodukt der Menſch¬
heit noch erhalten ſein? Eines, das ſchon ſüdwärts ging, als
die Enthaarung noch nicht ganz vollendet war? Und ſollte
uns hier ein Fingerzeig am Ende gar gegeben ſein, daß die
Urraſſe der Menſchheit im Ganzen einen mehr oder minder
zwerghaften Bau beſaß? Es iſt wirklich ein merkwürdiges
Ding um dieſe Zwerge. Am indiſchen Ozean taucht in den
Weddas ein ebenſo zwerghafter Reſt Menſchen mit denkbar
einfachſter, urtümlichſter Kultur auf. Durch alle Kulturländer
gehen die Zwergenſagen, wie das letzte Anklingen einer alten
Welle aus der Tiefe. Und den Gipfel ſetzt die Entdeckung
unverkennbarer Pygmäen-Skelette in einer noch vorgeſchichtlichen,
der Eiszeit ſich nähernden Fundſtelle bei uns in Europa, —
in Schweizersbild bei Schaffhauſen. Mindeſtens wird man
ſich denken müſſen, daß ganz früh bereits ein beſtimmter
Raſſenzweig der Ur-Menſchheit dieſe Zwergenbahn eingeſchlagen
hat und, wo er ſich überhaupt erhielt, auch zäh bei ſeiner
Kleinheit geblieben iſt.
Doch dieſe Betrachtung führt dich von ſelbſt auf eine
tiefere: in wiefern wir uns überhaupt noch ein Bild aus dem
heute da und dort ſüdwärts Verbannten zurecht zimmern könnten
vom Kulturzuſtand unſerer Eiszeit- oder Voreiszeit-Ahnen.
[Abbildung]
Die alte Auffaſſung hatte es ja da bequemer, — ſie
ſagte einfach: alles, was nackter Wilder iſt, ſteht dem Tier
näher und muß alſo noch unſere Entwickelungsahnen an der
unteren Menſchengrenze ſpiegeln. Wir bedenken aber jetzt, wie
dieſer Wilde wohl eben nicht der ſtehen gebliebene Ahne ſelbſt
ſei, ſondern ein altes Abſpaltungsprodukt, das als ſolches ſich
vom großen Stamm löſte und ſeine eigenen, geſonderten Wege
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/96>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.