einer Art Not-Konzession. Du hast die Empfindung, als sei es einer bestimmten Züchtung in der That zunächst geglückt, das Affenhaar am ganzen Leibe fortzukriegen. Bis auf den Embryo wurde es zurückgedrängt, der ja auch sonst noch mit Schwänzen und Kiemen und anderem Urväter-Hausrate sein Spiel treibt. Und das Kind kam glücklich nackt zur Welt. Dann aber habe sich ein Manko doch noch herausgestellt. Grade die Achsel- und Schamstellen des alten Fells hätten in der Liebeszeit aus irgend einem Grunde doch nicht entbehrt werden können. Und hätten, wo denn sonst alles nackt blieb, doch selber wenigstens mit Anbruch des Liebesfrühlings rasch nach¬ träglich wiederhergestellt werden müssen. Was dann Brauch blieb bis heute und sich in der Thatsache noch immer äußert, daß um die Liebesknospenzeit diese Haare plötzlich lang nachwachsen.
Fragt sich jetzt bloß, was das für ein separater haar¬ befördernder Liebesgrund gewesen sein soll.
Hier gestatte einen kleinen Exkurs. Der Sinn soll dir schon klar werden.
In den düsteren Gebirgswäldern Zentralasiens, von der Tibetseite des Himalaya bis weit nach China und Sibirien hinein, birgt sich hinter flechtenbewachsenen Blöcken ein zierliches Wild: das Moschustier.
Nicht Hirsch, nicht Antilope, nicht Wildziege, gehört es einem jener uralten Reste vieldeutiger Mischtiere an, in deren Nähe wahrscheinlich einst bedeutsame Straßen der Entwickelung sich getrennt haben und die heute in unsere Zeit ragen wie ein Mal am Kreuzweg. Dieses Moschustier hat nun durch seine Liebe eigenartige Beziehungen zu uns. Die Chinesen haben sie zuerst angebändelt, bis dann die ganze Kulturwelt allmählich nachgekommen ist. Das Wörtlein "Moschus" umfaßt sie. Wenn der Jäger in seinem heimischen Tann auf das scheue Wild pürscht, so kennt er es nicht bloß an der höchst charakteristischen Spur, sondern, falls es ein Bock in der Liebeszeit ist, weit¬ hin -- man sagt, auf eine Viertelmeile -- auch am Geruch.
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einer Art Not-Konzeſſion. Du haſt die Empfindung, als ſei es einer beſtimmten Züchtung in der That zunächſt geglückt, das Affenhaar am ganzen Leibe fortzukriegen. Bis auf den Embryo wurde es zurückgedrängt, der ja auch ſonſt noch mit Schwänzen und Kiemen und anderem Urväter-Hausrate ſein Spiel treibt. Und das Kind kam glücklich nackt zur Welt. Dann aber habe ſich ein Manko doch noch herausgeſtellt. Grade die Achſel- und Schamſtellen des alten Fells hätten in der Liebeszeit aus irgend einem Grunde doch nicht entbehrt werden können. Und hätten, wo denn ſonſt alles nackt blieb, doch ſelber wenigſtens mit Anbruch des Liebesfrühlings raſch nach¬ träglich wiederhergeſtellt werden müſſen. Was dann Brauch blieb bis heute und ſich in der Thatſache noch immer äußert, daß um die Liebesknoſpenzeit dieſe Haare plötzlich lang nachwachſen.
Fragt ſich jetzt bloß, was das für ein ſeparater haar¬ befördernder Liebesgrund geweſen ſein ſoll.
Hier geſtatte einen kleinen Exkurs. Der Sinn ſoll dir ſchon klar werden.
In den düſteren Gebirgswäldern Zentralaſiens, von der Tibetſeite des Himalaya bis weit nach China und Sibirien hinein, birgt ſich hinter flechtenbewachſenen Blöcken ein zierliches Wild: das Moſchustier.
Nicht Hirſch, nicht Antilope, nicht Wildziege, gehört es einem jener uralten Reſte vieldeutiger Miſchtiere an, in deren Nähe wahrſcheinlich einſt bedeutſame Straßen der Entwickelung ſich getrennt haben und die heute in unſere Zeit ragen wie ein Mal am Kreuzweg. Dieſes Moſchustier hat nun durch ſeine Liebe eigenartige Beziehungen zu uns. Die Chineſen haben ſie zuerſt angebändelt, bis dann die ganze Kulturwelt allmählich nachgekommen iſt. Das Wörtlein „Moſchus“ umfaßt ſie. Wenn der Jäger in ſeinem heimiſchen Tann auf das ſcheue Wild pürſcht, ſo kennt er es nicht bloß an der höchſt charakteriſtiſchen Spur, ſondern, falls es ein Bock in der Liebeszeit iſt, weit¬ hin — man ſagt, auf eine Viertelmeile — auch am Geruch.
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einer Art Not-Konzeſſion. Du haſt die Empfindung, als ſei
es einer beſtimmten Züchtung in der That zunächſt geglückt,
das Affenhaar am ganzen Leibe fortzukriegen. Bis auf den
Embryo wurde es zurückgedrängt, der ja auch ſonſt noch mit
Schwänzen und Kiemen und anderem Urväter-Hausrate ſein
Spiel treibt. Und das Kind kam glücklich nackt zur Welt.
Dann aber habe ſich ein Manko doch noch herausgeſtellt. Grade
die Achſel- und Schamſtellen des alten Fells hätten in der
Liebeszeit aus irgend einem Grunde doch nicht entbehrt werden
können. Und hätten, wo denn ſonſt alles nackt blieb, doch
ſelber wenigſtens mit Anbruch des Liebesfrühlings raſch nach¬
träglich wiederhergeſtellt werden müſſen. Was dann Brauch
blieb bis heute und ſich in der Thatſache noch immer äußert, daß
um die Liebesknoſpenzeit dieſe Haare plötzlich lang nachwachſen.
Fragt ſich jetzt bloß, was das für ein ſeparater haar¬
befördernder Liebesgrund geweſen ſein ſoll.
Hier geſtatte einen kleinen Exkurs. Der Sinn ſoll dir
ſchon klar werden.
In den düſteren Gebirgswäldern Zentralaſiens, von der
Tibetſeite des Himalaya bis weit nach China und Sibirien
hinein, birgt ſich hinter flechtenbewachſenen Blöcken ein zierliches
Wild: das Moſchustier.
Nicht Hirſch, nicht Antilope, nicht Wildziege, gehört es
einem jener uralten Reſte vieldeutiger Miſchtiere an, in deren
Nähe wahrſcheinlich einſt bedeutſame Straßen der Entwickelung
ſich getrennt haben und die heute in unſere Zeit ragen wie ein
Mal am Kreuzweg. Dieſes Moſchustier hat nun durch ſeine
Liebe eigenartige Beziehungen zu uns. Die Chineſen haben
ſie zuerſt angebändelt, bis dann die ganze Kulturwelt allmählich
nachgekommen iſt. Das Wörtlein „Moſchus“ umfaßt ſie. Wenn
der Jäger in ſeinem heimiſchen Tann auf das ſcheue Wild
pürſcht, ſo kennt er es nicht bloß an der höchſt charakteriſtiſchen
Spur, ſondern, falls es ein Bock in der Liebeszeit iſt, weit¬
hin — man ſagt, auf eine Viertelmeile — auch am Geruch.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/79>, abgerufen am 23.11.2024.
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