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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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das Jagen in der Eiszeit-Kälte möglich machte: der Pelz, den
er dem Bären abgestreift und sich als Rock um den Leib ge¬
wickelt, als rohe Hose um die Beine geschnürt hatte. Der be¬
kleidete
Mensch steht vor dir!

Nun mußt du dir sagen, daß diese ältesten Kulturstätten,
die wir kennen, alle schon aus späteren Perioden der Eiszeit
stammen. Die Taubacher macht den Eindruck, als liege sie
etwa zwischen einer ersten und zweiten Haupt-Vereisung. Die
Schussenrieder stammt bestimmt aus der zweiten Vereisung,
möglich ist sogar, daß sie an deren Schluß gehört. Und auf
diesem Fleck laß das Spinnenfädlein des Gedankens nun aber¬
mals schießen.

In die Eiszeit ein tritt der noch affenhaft an sich selbst
bepelzte Mensch. Dieser Mensch bringt schon mit oder erfindet
mindestens jetzt die erste Werkzeug-Technik. Zu den Konse¬
quenzen dieser Technik gehört als Möglichkeit auch das Ab¬
ziehen und wenigstens oberflächliche Bearbeiten von Tierfellen.
Diese Möglichkeit wird aber eine Existenzfrage geradezu mit
dem immer grausamer hereinstürmenden Kälte-Gespenst. Denn
das überlieferte Affenhaar genügt da nur mehr ganz mangel¬
haft. Wie (ich sagte es schon) der dick behaarte Orang unserer
Zoologischen Gärten sich beim geringsten Temperaturfall zähne¬
klappernd in die wollene Decke wickelt, die ihm der Wärter
-- der Mensch! -- reicht, so greift der Eiszeit-Anfangs-Mensch
zum Bärenfell und wickelt es sich noch über seinen angewachsenen
Affenpelz. Vergiß nicht: für diese Tertiär-Wesen war schon
ein Klima wie unser heutiges in Nord-Europa ein starker,
scheußlich zähneklapperiger Abfall. Und das sollte damals all¬
mählich noch im Mittel um etwa fünf bis sechs Grad darüber
hinaus abwärts sinken!

Hiermit war zunächst etwas Wichtiges aber wieder als
folgenreiche Station erreicht. Das natürliche, organische Körper¬
haar war überboten durch das künstliche, sozusagen das "Werk¬
zeug-Haar". Du siehst nun durchweg, wo in dieser Weise

das Jagen in der Eiszeit-Kälte möglich machte: der Pelz, den
er dem Bären abgeſtreift und ſich als Rock um den Leib ge¬
wickelt, als rohe Hoſe um die Beine geſchnürt hatte. Der be¬
kleidete
Menſch ſteht vor dir!

Nun mußt du dir ſagen, daß dieſe älteſten Kulturſtätten,
die wir kennen, alle ſchon aus ſpäteren Perioden der Eiszeit
ſtammen. Die Taubacher macht den Eindruck, als liege ſie
etwa zwiſchen einer erſten und zweiten Haupt-Vereiſung. Die
Schuſſenrieder ſtammt beſtimmt aus der zweiten Vereiſung,
möglich iſt ſogar, daß ſie an deren Schluß gehört. Und auf
dieſem Fleck laß das Spinnenfädlein des Gedankens nun aber¬
mals ſchießen.

In die Eiszeit ein tritt der noch affenhaft an ſich ſelbſt
bepelzte Menſch. Dieſer Menſch bringt ſchon mit oder erfindet
mindeſtens jetzt die erſte Werkzeug-Technik. Zu den Konſe¬
quenzen dieſer Technik gehört als Möglichkeit auch das Ab¬
ziehen und wenigſtens oberflächliche Bearbeiten von Tierfellen.
Dieſe Möglichkeit wird aber eine Exiſtenzfrage geradezu mit
dem immer grauſamer hereinſtürmenden Kälte-Geſpenſt. Denn
das überlieferte Affenhaar genügt da nur mehr ganz mangel¬
haft. Wie (ich ſagte es ſchon) der dick behaarte Orang unſerer
Zoologiſchen Gärten ſich beim geringſten Temperaturfall zähne¬
klappernd in die wollene Decke wickelt, die ihm der Wärter
— der Menſch! — reicht, ſo greift der Eiszeit-Anfangs-Menſch
zum Bärenfell und wickelt es ſich noch über ſeinen angewachſenen
Affenpelz. Vergiß nicht: für dieſe Tertiär-Weſen war ſchon
ein Klima wie unſer heutiges in Nord-Europa ein ſtarker,
ſcheußlich zähneklapperiger Abfall. Und das ſollte damals all¬
mählich noch im Mittel um etwa fünf bis ſechs Grad darüber
hinaus abwärts ſinken!

Hiermit war zunächſt etwas Wichtiges aber wieder als
folgenreiche Station erreicht. Das natürliche, organiſche Körper¬
haar war überboten durch das künſtliche, ſozuſagen das „Werk¬
zeug-Haar“. Du ſiehſt nun durchweg, wo in dieſer Weiſe

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[54/0068] das Jagen in der Eiszeit-Kälte möglich machte: der Pelz, den er dem Bären abgeſtreift und ſich als Rock um den Leib ge¬ wickelt, als rohe Hoſe um die Beine geſchnürt hatte. Der be¬ kleidete Menſch ſteht vor dir! Nun mußt du dir ſagen, daß dieſe älteſten Kulturſtätten, die wir kennen, alle ſchon aus ſpäteren Perioden der Eiszeit ſtammen. Die Taubacher macht den Eindruck, als liege ſie etwa zwiſchen einer erſten und zweiten Haupt-Vereiſung. Die Schuſſenrieder ſtammt beſtimmt aus der zweiten Vereiſung, möglich iſt ſogar, daß ſie an deren Schluß gehört. Und auf dieſem Fleck laß das Spinnenfädlein des Gedankens nun aber¬ mals ſchießen. In die Eiszeit ein tritt der noch affenhaft an ſich ſelbſt bepelzte Menſch. Dieſer Menſch bringt ſchon mit oder erfindet mindeſtens jetzt die erſte Werkzeug-Technik. Zu den Konſe¬ quenzen dieſer Technik gehört als Möglichkeit auch das Ab¬ ziehen und wenigſtens oberflächliche Bearbeiten von Tierfellen. Dieſe Möglichkeit wird aber eine Exiſtenzfrage geradezu mit dem immer grauſamer hereinſtürmenden Kälte-Geſpenſt. Denn das überlieferte Affenhaar genügt da nur mehr ganz mangel¬ haft. Wie (ich ſagte es ſchon) der dick behaarte Orang unſerer Zoologiſchen Gärten ſich beim geringſten Temperaturfall zähne¬ klappernd in die wollene Decke wickelt, die ihm der Wärter — der Menſch! — reicht, ſo greift der Eiszeit-Anfangs-Menſch zum Bärenfell und wickelt es ſich noch über ſeinen angewachſenen Affenpelz. Vergiß nicht: für dieſe Tertiär-Weſen war ſchon ein Klima wie unſer heutiges in Nord-Europa ein ſtarker, ſcheußlich zähneklapperiger Abfall. Und das ſollte damals all¬ mählich noch im Mittel um etwa fünf bis ſechs Grad darüber hinaus abwärts ſinken! Hiermit war zunächſt etwas Wichtiges aber wieder als folgenreiche Station erreicht. Das natürliche, organiſche Körper¬ haar war überboten durch das künſtliche, ſozuſagen das „Werk¬ zeug-Haar“. Du ſiehſt nun durchweg, wo in dieſer Weiſe

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/68>, abgerufen am 18.05.2024.