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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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dings sofort zu denken. In Taubach wie am Schussen findest
du Spuren vom Herdfeuer. In Taubach liegen die Rhino¬
zeros-, die Elefanten- und Bärenknochen verkohlt neben ge¬
röteten und hitzegehärteten Muschelkalkbrocken des Herdrandes
und Stückchen der Holzkohle selbst. Es strahlt einen ordentlich
noch an, was diese schlichte Thatsache des Feuer-Besitzes in
einer Eiszeit bedeutet haben muß. An dem gleichen Schussen
liegen aber auch jene Farbpasten herum, von denen ich dir
sagte. Die Kerle bemalten sich rot. Dann müssen sie doch
mindestens teilweise, wo nicht am wahrscheinlichsten ganz nackt
gewesen sein. Auf einem Stück Renntierknochen mit Kritzel¬
bildern aus einer französischen Höhle ist denn auch ein un¬
verkennbar nackter Mensch dargestellt. Man hat über die Echt¬
heit dieser prähistorischen Bilder einen langen Streit geführt.
Weil hier und da nachweislich dabei gemogelt worden ist,
geht aber doch nicht an, die immer erneute Fülle der Funde
für Mogelei zu erklären. Grade auf diesen Renntierknochen-
Kritzeleien der Dordogne-Höhle sind auch so unverkennbare
Typen echter Wildpferde erhalten (wie sie sicher damals im
Lande waren), daß die treffsichere Phantasie des modernen
Fälschers ein größeres Wunder wäre als die Realistik der
wirklichen Wildpferd-Jäger aus der Eiszeit.

Wie aber will dieser Nackfrosch in die Eishöhle taugen?
Du wühlst weiter in der prähistorischen Müllgrube und du
findest knöcherne und hölzerne Pfriemen und Nadeln, findest
unverkennbare Spuren, daß schon Fäden gedreht worden sind,
daß genäht, ja filetartiges Netzwerk gewebt worden ist. Du
siehst gleichzeitig auf Schlachtstätten großer und kleiner Pelz¬
tiere. Alles war ja dick verpelzt, selbst das Nashorn. Ab¬
gezogene Felle tauchen dir im Geiste auf. Was sollen die
Leute mit ihrem groben Handwerkszeug anders verwebt, ge¬
knüpft haben als Tiersehnen, was sollen sie genäht haben als
-- Tierfelle?

Und auf einmal leuchtet dir ein, was dem nackten Kerl

dings ſofort zu denken. In Taubach wie am Schuſſen findeſt
du Spuren vom Herdfeuer. In Taubach liegen die Rhino¬
zeros-, die Elefanten- und Bärenknochen verkohlt neben ge¬
röteten und hitzegehärteten Muſchelkalkbrocken des Herdrandes
und Stückchen der Holzkohle ſelbſt. Es ſtrahlt einen ordentlich
noch an, was dieſe ſchlichte Thatſache des Feuer-Beſitzes in
einer Eiszeit bedeutet haben muß. An dem gleichen Schuſſen
liegen aber auch jene Farbpaſten herum, von denen ich dir
ſagte. Die Kerle bemalten ſich rot. Dann müſſen ſie doch
mindeſtens teilweiſe, wo nicht am wahrſcheinlichſten ganz nackt
geweſen ſein. Auf einem Stück Renntierknochen mit Kritzel¬
bildern aus einer franzöſiſchen Höhle iſt denn auch ein un¬
verkennbar nackter Menſch dargeſtellt. Man hat über die Echt¬
heit dieſer prähiſtoriſchen Bilder einen langen Streit geführt.
Weil hier und da nachweislich dabei gemogelt worden iſt,
geht aber doch nicht an, die immer erneute Fülle der Funde
für Mogelei zu erklären. Grade auf dieſen Renntierknochen-
Kritzeleien der Dordogne-Höhle ſind auch ſo unverkennbare
Typen echter Wildpferde erhalten (wie ſie ſicher damals im
Lande waren), daß die treffſichere Phantaſie des modernen
Fälſchers ein größeres Wunder wäre als die Realiſtik der
wirklichen Wildpferd-Jäger aus der Eiszeit.

Wie aber will dieſer Nackfroſch in die Eishöhle taugen?
Du wühlſt weiter in der prähiſtoriſchen Müllgrube und du
findeſt knöcherne und hölzerne Pfriemen und Nadeln, findeſt
unverkennbare Spuren, daß ſchon Fäden gedreht worden ſind,
daß genäht, ja filetartiges Netzwerk gewebt worden iſt. Du
ſiehſt gleichzeitig auf Schlachtſtätten großer und kleiner Pelz¬
tiere. Alles war ja dick verpelzt, ſelbſt das Nashorn. Ab¬
gezogene Felle tauchen dir im Geiſte auf. Was ſollen die
Leute mit ihrem groben Handwerkszeug anders verwebt, ge¬
knüpft haben als Tierſehnen, was ſollen ſie genäht haben als
— Tierfelle?

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[53/0067] dings ſofort zu denken. In Taubach wie am Schuſſen findeſt du Spuren vom Herdfeuer. In Taubach liegen die Rhino¬ zeros-, die Elefanten- und Bärenknochen verkohlt neben ge¬ röteten und hitzegehärteten Muſchelkalkbrocken des Herdrandes und Stückchen der Holzkohle ſelbſt. Es ſtrahlt einen ordentlich noch an, was dieſe ſchlichte Thatſache des Feuer-Beſitzes in einer Eiszeit bedeutet haben muß. An dem gleichen Schuſſen liegen aber auch jene Farbpaſten herum, von denen ich dir ſagte. Die Kerle bemalten ſich rot. Dann müſſen ſie doch mindeſtens teilweiſe, wo nicht am wahrſcheinlichſten ganz nackt geweſen ſein. Auf einem Stück Renntierknochen mit Kritzel¬ bildern aus einer franzöſiſchen Höhle iſt denn auch ein un¬ verkennbar nackter Menſch dargeſtellt. Man hat über die Echt¬ heit dieſer prähiſtoriſchen Bilder einen langen Streit geführt. Weil hier und da nachweislich dabei gemogelt worden iſt, geht aber doch nicht an, die immer erneute Fülle der Funde für Mogelei zu erklären. Grade auf dieſen Renntierknochen- Kritzeleien der Dordogne-Höhle ſind auch ſo unverkennbare Typen echter Wildpferde erhalten (wie ſie ſicher damals im Lande waren), daß die treffſichere Phantaſie des modernen Fälſchers ein größeres Wunder wäre als die Realiſtik der wirklichen Wildpferd-Jäger aus der Eiszeit. Wie aber will dieſer Nackfroſch in die Eishöhle taugen? Du wühlſt weiter in der prähiſtoriſchen Müllgrube und du findeſt knöcherne und hölzerne Pfriemen und Nadeln, findeſt unverkennbare Spuren, daß ſchon Fäden gedreht worden ſind, daß genäht, ja filetartiges Netzwerk gewebt worden iſt. Du ſiehſt gleichzeitig auf Schlachtſtätten großer und kleiner Pelz¬ tiere. Alles war ja dick verpelzt, ſelbſt das Nashorn. Ab¬ gezogene Felle tauchen dir im Geiſte auf. Was ſollen die Leute mit ihrem groben Handwerkszeug anders verwebt, ge¬ knüpft haben als Tierſehnen, was ſollen ſie genäht haben als — Tierfelle? Und auf einmal leuchtet dir ein, was dem nackten Kerl

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/67>, abgerufen am 24.11.2024.