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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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eigensten Terrain faßte es sie: in dem Landring der Nord¬
halbkugel. Das hat sie nie mehr verwunden. Wohl finden
wir heute noch ihre echten Reste im tropischen Afrika und
Asien, ihre Elefanten, Nilpferde, Giraffen, Antilopen. Aber
selbst das sind nur Reste. In Amerika ist die Fauna damals
ganz verarmt. Selbst wo die Kälte sie nicht direkt gefaßt hat,
glaubt man überall ein Absinken der Kraft zu spüren, ein
Versagen vor zu schweren neuen Anforderungen, in denen
irgend eine Welle des großen Orkans sie doch auch berührt.
Und nur ein kleines Häufchen findet im Zwang gerade der
höchsten Bedrohung noch eine letzte Anpassungsenergie: es
trotzt dem Neuen fast oder ganz am alten Fleck. Aus diesem
Häuflein der Todesmutigsten entstehen jetzt die ersten echten
Polartiere. Der Elefant, der in seinen Stoßzähnen noch das
alte Instrument des typischen Waldtieres zum Zweigknacken
mitbringt, gewöhnt sich als Mammut an das kriechende
Pflanzengekrüppel der Tundra, wobei seine zwecklos gewordenen
Stoßzähne zu monströsen Krummstäben entarten. Der Moschus¬
ochse wird zu dem Polartier, das heute in Grönland noch be¬
währt, was es damals im Rheinthal gelernt hat. Gegen die
Flucht, den erbarmungslosen Zusammenbruch dort, hier bei den
Wenigen um so zäheres Anstemmen, Ausdauern.

Du starrst aus deiner Eisspalte zum Himmelspol, in
dem vielleicht grade die weiße Wega strahlenwerfend schwebt.
Tief unter diesem Eis in Sand verschüttet liegt der Paradies¬
wald des Tertiär. Oben an den Gletscher heran traben Renn¬
tiere, äsen im kargen Sommer Moschusochsen auf dem Flechten¬
boden. "Verflucht sei der Acker, -- mit Kummer sollst du
dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln
soll er dir tragen ..."

[Abbildung]

eigenſten Terrain faßte es ſie: in dem Landring der Nord¬
halbkugel. Das hat ſie nie mehr verwunden. Wohl finden
wir heute noch ihre echten Reſte im tropiſchen Afrika und
Aſien, ihre Elefanten, Nilpferde, Giraffen, Antilopen. Aber
ſelbſt das ſind nur Reſte. In Amerika iſt die Fauna damals
ganz verarmt. Selbſt wo die Kälte ſie nicht direkt gefaßt hat,
glaubt man überall ein Abſinken der Kraft zu ſpüren, ein
Verſagen vor zu ſchweren neuen Anforderungen, in denen
irgend eine Welle des großen Orkans ſie doch auch berührt.
Und nur ein kleines Häufchen findet im Zwang gerade der
höchſten Bedrohung noch eine letzte Anpaſſungsenergie: es
trotzt dem Neuen faſt oder ganz am alten Fleck. Aus dieſem
Häuflein der Todesmutigſten entſtehen jetzt die erſten echten
Polartiere. Der Elefant, der in ſeinen Stoßzähnen noch das
alte Inſtrument des typiſchen Waldtieres zum Zweigknacken
mitbringt, gewöhnt ſich als Mammut an das kriechende
Pflanzengekrüppel der Tundra, wobei ſeine zwecklos gewordenen
Stoßzähne zu monſtröſen Krummſtäben entarten. Der Moſchus¬
ochſe wird zu dem Polartier, das heute in Grönland noch be¬
währt, was es damals im Rheinthal gelernt hat. Gegen die
Flucht, den erbarmungsloſen Zuſammenbruch dort, hier bei den
Wenigen um ſo zäheres Anſtemmen, Ausdauern.

Du ſtarrſt aus deiner Eisſpalte zum Himmelspol, in
dem vielleicht grade die weiße Wega ſtrahlenwerfend ſchwebt.
Tief unter dieſem Eis in Sand verſchüttet liegt der Paradies¬
wald des Tertiär. Oben an den Gletſcher heran traben Renn¬
tiere, äſen im kargen Sommer Moſchusochſen auf dem Flechten¬
boden. „Verflucht ſei der Acker, — mit Kummer ſollſt du
dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Diſteln
ſoll er dir tragen ...“

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[46/0060] eigenſten Terrain faßte es ſie: in dem Landring der Nord¬ halbkugel. Das hat ſie nie mehr verwunden. Wohl finden wir heute noch ihre echten Reſte im tropiſchen Afrika und Aſien, ihre Elefanten, Nilpferde, Giraffen, Antilopen. Aber ſelbſt das ſind nur Reſte. In Amerika iſt die Fauna damals ganz verarmt. Selbſt wo die Kälte ſie nicht direkt gefaßt hat, glaubt man überall ein Abſinken der Kraft zu ſpüren, ein Verſagen vor zu ſchweren neuen Anforderungen, in denen irgend eine Welle des großen Orkans ſie doch auch berührt. Und nur ein kleines Häufchen findet im Zwang gerade der höchſten Bedrohung noch eine letzte Anpaſſungsenergie: es trotzt dem Neuen faſt oder ganz am alten Fleck. Aus dieſem Häuflein der Todesmutigſten entſtehen jetzt die erſten echten Polartiere. Der Elefant, der in ſeinen Stoßzähnen noch das alte Inſtrument des typiſchen Waldtieres zum Zweigknacken mitbringt, gewöhnt ſich als Mammut an das kriechende Pflanzengekrüppel der Tundra, wobei ſeine zwecklos gewordenen Stoßzähne zu monſtröſen Krummſtäben entarten. Der Moſchus¬ ochſe wird zu dem Polartier, das heute in Grönland noch be¬ währt, was es damals im Rheinthal gelernt hat. Gegen die Flucht, den erbarmungsloſen Zuſammenbruch dort, hier bei den Wenigen um ſo zäheres Anſtemmen, Ausdauern. Du ſtarrſt aus deiner Eisſpalte zum Himmelspol, in dem vielleicht grade die weiße Wega ſtrahlenwerfend ſchwebt. Tief unter dieſem Eis in Sand verſchüttet liegt der Paradies¬ wald des Tertiär. Oben an den Gletſcher heran traben Renn¬ tiere, äſen im kargen Sommer Moſchusochſen auf dem Flechten¬ boden. „Verflucht ſei der Acker, — mit Kummer ſollſt du dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Diſteln ſoll er dir tragen ...“ [Abbildung]

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/60>, abgerufen am 22.11.2024.