Skandinaviens und Finnlands. Nord- und Ostseegebiet begräbt sie unter sich, ihr Sockel quetscht tausend Meter hoch auf die norddeutsche Ebene. Jenseits Irlands ragt sie als dräuendes schneeweißes Kap, von dem Eisberge kalben, in den atlantischen Ozean hinaus. Vor dem deutschen Mittelgebirge bäumt sie sich knirschend auf, der Eisriese, der widerwillig doch schlie߬ lich vor einem noch Gewappneteren, dem Granitriesen, Halt machen muß. Aber wo das Gebirge sich irgendwo selber hoch reckt, als Riesengebirge, als Alpen gar: da recken sich auch aus ihm eigene Krystalltatzen, die mit Eiseshauch vernichtend zu Thal kriechen, Verderben tragend auch dorthin, wo der eigentliche Nordriese nicht mehr hinlangt. So sind damals die Gletscher bis nach München und nach Oberschwaben ge¬ krochen. Ein Bild jagt da das andere. Und immer ist etwas darin von einem Weltuntergang. Die Sintflut, die in's Paradies bricht, -- eine Sintflut von elastischem, leise sich schiebendem, pressenden Eis. Die immergrünen Wälder der Tertiär-Zeit knacken dahin wie Streu. An ihre Stelle tritt mit anrückendem Eis die Tundra, die Moossteppe, tief ins Herz von Deutschland hinein. Dann schmelzen die Eismauern wieder und vor ihrer Taufläche ergießen sich ungeheure Ströme. Damals sind an der Krystallwand vorbei die Wasser der Weichsel und der Oder in die Elbe geflossen, verstärkt durch die Sintfluten der Eisschmelze selbst. Von dem Gletscher ist Gestein in unendlichen Massen zu Sand zermahlen worden, die gestauten Flüsse häuften eigenen dazu. So ist das norddeutsche Hügelland berghoch mit einheitlichem Sand übergossen worden bis eine platte Ebene da lag, in der fast jede Ungleichheit aus¬ gefüllt war. Und als diese Sandflächen frei wurden, boten sie lange Zeit die Verhältnisse der Steppe. Furchtbare Sandstürme jagten die Flußthäler hinauf, häuften vor dem Gebirge den gelben Staub in Löß-Terrassen an, das karge Leben immer neu erstickend.
In diesen Zeiten ist es reißend bergab gegangen mit der stolzen Säugetier-Welt der Tertiär-Periode. Auf ihrem
Skandinaviens und Finnlands. Nord- und Oſtſeegebiet begräbt ſie unter ſich, ihr Sockel quetſcht tauſend Meter hoch auf die norddeutſche Ebene. Jenſeits Irlands ragt ſie als dräuendes ſchneeweißes Kap, von dem Eisberge kalben, in den atlantiſchen Ozean hinaus. Vor dem deutſchen Mittelgebirge bäumt ſie ſich knirſchend auf, der Eisrieſe, der widerwillig doch ſchlie߬ lich vor einem noch Gewappneteren, dem Granitrieſen, Halt machen muß. Aber wo das Gebirge ſich irgendwo ſelber hoch reckt, als Rieſengebirge, als Alpen gar: da recken ſich auch aus ihm eigene Kryſtalltatzen, die mit Eiſeshauch vernichtend zu Thal kriechen, Verderben tragend auch dorthin, wo der eigentliche Nordrieſe nicht mehr hinlangt. So ſind damals die Gletſcher bis nach München und nach Oberſchwaben ge¬ krochen. Ein Bild jagt da das andere. Und immer iſt etwas darin von einem Weltuntergang. Die Sintflut, die in's Paradies bricht, — eine Sintflut von elaſtiſchem, leiſe ſich ſchiebendem, preſſenden Eis. Die immergrünen Wälder der Tertiär-Zeit knacken dahin wie Streu. An ihre Stelle tritt mit anrückendem Eis die Tundra, die Moosſteppe, tief ins Herz von Deutſchland hinein. Dann ſchmelzen die Eismauern wieder und vor ihrer Taufläche ergießen ſich ungeheure Ströme. Damals ſind an der Kryſtallwand vorbei die Waſſer der Weichſel und der Oder in die Elbe gefloſſen, verſtärkt durch die Sintfluten der Eisſchmelze ſelbſt. Von dem Gletſcher iſt Geſtein in unendlichen Maſſen zu Sand zermahlen worden, die geſtauten Flüſſe häuften eigenen dazu. So iſt das norddeutſche Hügelland berghoch mit einheitlichem Sand übergoſſen worden bis eine platte Ebene da lag, in der faſt jede Ungleichheit aus¬ gefüllt war. Und als dieſe Sandflächen frei wurden, boten ſie lange Zeit die Verhältniſſe der Steppe. Furchtbare Sandſtürme jagten die Flußthäler hinauf, häuften vor dem Gebirge den gelben Staub in Löß-Terraſſen an, das karge Leben immer neu erſtickend.
In dieſen Zeiten iſt es reißend bergab gegangen mit der ſtolzen Säugetier-Welt der Tertiär-Periode. Auf ihrem
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0059"n="45"/>
Skandinaviens und Finnlands. Nord- und Oſtſeegebiet begräbt<lb/>ſie unter ſich, ihr Sockel quetſcht tauſend Meter hoch auf die<lb/>
norddeutſche Ebene. Jenſeits Irlands ragt ſie als dräuendes<lb/>ſchneeweißes Kap, von dem Eisberge kalben, in den atlantiſchen<lb/>
Ozean hinaus. Vor dem deutſchen Mittelgebirge bäumt ſie<lb/>ſich knirſchend auf, der Eisrieſe, der widerwillig doch ſchlie߬<lb/>
lich vor einem noch Gewappneteren, dem Granitrieſen, Halt<lb/>
machen muß. Aber wo das Gebirge ſich irgendwo ſelber hoch<lb/>
reckt, als Rieſengebirge, als Alpen gar: da recken ſich auch<lb/>
aus ihm eigene Kryſtalltatzen, die mit Eiſeshauch vernichtend<lb/>
zu Thal kriechen, Verderben tragend auch dorthin, wo der<lb/>
eigentliche Nordrieſe nicht mehr hinlangt. So ſind damals<lb/>
die Gletſcher bis nach München und nach Oberſchwaben ge¬<lb/>
krochen. Ein Bild jagt da das andere. Und immer iſt etwas<lb/>
darin von einem Weltuntergang. Die Sintflut, die in's<lb/>
Paradies bricht, — eine Sintflut von elaſtiſchem, leiſe ſich<lb/>ſchiebendem, preſſenden Eis. Die immergrünen Wälder der<lb/>
Tertiär-Zeit knacken dahin wie Streu. An ihre Stelle tritt<lb/>
mit anrückendem Eis die Tundra, die Moosſteppe, tief ins<lb/>
Herz von Deutſchland hinein. Dann ſchmelzen die Eismauern<lb/>
wieder und vor ihrer Taufläche ergießen ſich ungeheure Ströme.<lb/>
Damals ſind an der Kryſtallwand vorbei die Waſſer der<lb/>
Weichſel und der Oder in die Elbe gefloſſen, verſtärkt durch<lb/>
die Sintfluten der Eisſchmelze ſelbſt. Von dem Gletſcher iſt<lb/>
Geſtein in unendlichen Maſſen zu Sand zermahlen worden, die<lb/>
geſtauten Flüſſe häuften eigenen dazu. So iſt das norddeutſche<lb/>
Hügelland berghoch mit einheitlichem Sand übergoſſen worden<lb/>
bis eine platte Ebene da lag, in der faſt jede Ungleichheit aus¬<lb/>
gefüllt war. Und als dieſe Sandflächen frei wurden, boten ſie<lb/>
lange Zeit die Verhältniſſe der Steppe. Furchtbare Sandſtürme<lb/>
jagten die Flußthäler hinauf, häuften vor dem Gebirge den gelben<lb/>
Staub in Löß-Terraſſen an, das karge Leben immer neu erſtickend.<lb/></p><p>In dieſen Zeiten iſt es reißend bergab gegangen mit<lb/>
der ſtolzen Säugetier-Welt der Tertiär-Periode. Auf ihrem<lb/></p></div></body></text></TEI>
[45/0059]
Skandinaviens und Finnlands. Nord- und Oſtſeegebiet begräbt
ſie unter ſich, ihr Sockel quetſcht tauſend Meter hoch auf die
norddeutſche Ebene. Jenſeits Irlands ragt ſie als dräuendes
ſchneeweißes Kap, von dem Eisberge kalben, in den atlantiſchen
Ozean hinaus. Vor dem deutſchen Mittelgebirge bäumt ſie
ſich knirſchend auf, der Eisrieſe, der widerwillig doch ſchlie߬
lich vor einem noch Gewappneteren, dem Granitrieſen, Halt
machen muß. Aber wo das Gebirge ſich irgendwo ſelber hoch
reckt, als Rieſengebirge, als Alpen gar: da recken ſich auch
aus ihm eigene Kryſtalltatzen, die mit Eiſeshauch vernichtend
zu Thal kriechen, Verderben tragend auch dorthin, wo der
eigentliche Nordrieſe nicht mehr hinlangt. So ſind damals
die Gletſcher bis nach München und nach Oberſchwaben ge¬
krochen. Ein Bild jagt da das andere. Und immer iſt etwas
darin von einem Weltuntergang. Die Sintflut, die in's
Paradies bricht, — eine Sintflut von elaſtiſchem, leiſe ſich
ſchiebendem, preſſenden Eis. Die immergrünen Wälder der
Tertiär-Zeit knacken dahin wie Streu. An ihre Stelle tritt
mit anrückendem Eis die Tundra, die Moosſteppe, tief ins
Herz von Deutſchland hinein. Dann ſchmelzen die Eismauern
wieder und vor ihrer Taufläche ergießen ſich ungeheure Ströme.
Damals ſind an der Kryſtallwand vorbei die Waſſer der
Weichſel und der Oder in die Elbe gefloſſen, verſtärkt durch
die Sintfluten der Eisſchmelze ſelbſt. Von dem Gletſcher iſt
Geſtein in unendlichen Maſſen zu Sand zermahlen worden, die
geſtauten Flüſſe häuften eigenen dazu. So iſt das norddeutſche
Hügelland berghoch mit einheitlichem Sand übergoſſen worden
bis eine platte Ebene da lag, in der faſt jede Ungleichheit aus¬
gefüllt war. Und als dieſe Sandflächen frei wurden, boten ſie
lange Zeit die Verhältniſſe der Steppe. Furchtbare Sandſtürme
jagten die Flußthäler hinauf, häuften vor dem Gebirge den gelben
Staub in Löß-Terraſſen an, das karge Leben immer neu erſtickend.
In dieſen Zeiten iſt es reißend bergab gegangen mit
der ſtolzen Säugetier-Welt der Tertiär-Periode. Auf ihrem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/59>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.