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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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an Glied in der Kette fügt, gerate ich ja auf ein wirklich ein¬
heitliches Weltschicksal. Wie der alte Fechner so gut gesagt hat:
das einzige Argument für "Gott" ist die allenthalben geltende
Logik des Geschehens, und das einzige schlagende Argument
gegen ihn wäre die Existenz eines übernatürlichen "Wunders".
Und in diesem richtigen Sinne faßte dann Darwin die
Sache, als er an Stelle des zunächst vagen Allgemeinbegriffs
einer Intelligenz etwas viel konkreteres einzuführen versuchte:
nämlich sozusagen die Intelligenz des Urmenschen selbst. Hat
der Mensch sich nicht am Ende selber nackt gemacht auf Grund
ganz bestimmter Regungen seines Geisteslebens?

[Abbildung]

Wir haben uns von den netten Paradiesvögeln unter¬
halten. In ihrem Liebesroman tauchte ein neues Motiv auf.
Die andere Hälfte des Liebesindividuums wurde systematisch
ausgewählt auf Grund bestimmter Geschmacksveranlagungen.
In diesen Geschmack mischte sich "oberes Stockwerk" der Natur:
nämlich Gehirnfreude am "Schönen".

Du erinnerst dich, wie ich das deutete. Durch die ganze
Naturentwickelung kommt ein Zug herauf zum Harmonischen,
zum Rhythmischen. Im letzten Grunde ist es ein Urgesetz
alles Weltenwerdens, daß das Harmonische eine Chance mehr
hat als das Disharmonische. Es ist erhaltungsfähiger. Im
ziellosen, chaotischen Werden prägt es die erste "Dauer", das
erste über längere Zeitspannen verharrende echte Sein. Dieses
Sein aber steigert es unablässig wieder ins noch Harmonischere,
ins "Höhere" hinein. So ist dieses schlichte Gesetzchen der
wahre Demiurgos gewesen, der aus einem Chaos einen Kos¬
mos gemacht hat -- oder sagen wir noch etwas genauer:
dessen einfache Existenz in den Urbestimmungen der Welt das
scheinbare Chaos von Anfang an einen Keim, ein Ei, eine
Urzelle eines schließlichen harmonischen Kosmos sein ließ.

an Glied in der Kette fügt, gerate ich ja auf ein wirklich ein¬
heitliches Weltſchickſal. Wie der alte Fechner ſo gut geſagt hat:
das einzige Argument für „Gott“ iſt die allenthalben geltende
Logik des Geſchehens, und das einzige ſchlagende Argument
gegen ihn wäre die Exiſtenz eines übernatürlichen „Wunders“.
Und in dieſem richtigen Sinne faßte dann Darwin die
Sache, als er an Stelle des zunächſt vagen Allgemeinbegriffs
einer Intelligenz etwas viel konkreteres einzuführen verſuchte:
nämlich ſozuſagen die Intelligenz des Urmenſchen ſelbſt. Hat
der Menſch ſich nicht am Ende ſelber nackt gemacht auf Grund
ganz beſtimmter Regungen ſeines Geiſteslebens?

[Abbildung]

Wir haben uns von den netten Paradiesvögeln unter¬
halten. In ihrem Liebesroman tauchte ein neues Motiv auf.
Die andere Hälfte des Liebesindividuums wurde ſyſtematiſch
ausgewählt auf Grund beſtimmter Geſchmacksveranlagungen.
In dieſen Geſchmack miſchte ſich „oberes Stockwerk“ der Natur:
nämlich Gehirnfreude am „Schönen“.

Du erinnerſt dich, wie ich das deutete. Durch die ganze
Naturentwickelung kommt ein Zug herauf zum Harmoniſchen,
zum Rhythmiſchen. Im letzten Grunde iſt es ein Urgeſetz
alles Weltenwerdens, daß das Harmoniſche eine Chance mehr
hat als das Disharmoniſche. Es iſt erhaltungsfähiger. Im
zielloſen, chaotiſchen Werden prägt es die erſte „Dauer“, das
erſte über längere Zeitſpannen verharrende echte Sein. Dieſes
Sein aber ſteigert es unabläſſig wieder ins noch Harmoniſchere,
ins „Höhere“ hinein. So iſt dieſes ſchlichte Geſetzchen der
wahre Demiurgos geweſen, der aus einem Chaos einen Kos¬
mos gemacht hat — oder ſagen wir noch etwas genauer:
deſſen einfache Exiſtenz in den Urbeſtimmungen der Welt das
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[25/0039] an Glied in der Kette fügt, gerate ich ja auf ein wirklich ein¬ heitliches Weltſchickſal. Wie der alte Fechner ſo gut geſagt hat: das einzige Argument für „Gott“ iſt die allenthalben geltende Logik des Geſchehens, und das einzige ſchlagende Argument gegen ihn wäre die Exiſtenz eines übernatürlichen „Wunders“. Und in dieſem richtigen Sinne faßte dann Darwin die Sache, als er an Stelle des zunächſt vagen Allgemeinbegriffs einer Intelligenz etwas viel konkreteres einzuführen verſuchte: nämlich ſozuſagen die Intelligenz des Urmenſchen ſelbſt. Hat der Menſch ſich nicht am Ende ſelber nackt gemacht auf Grund ganz beſtimmter Regungen ſeines Geiſteslebens? [Abbildung] Wir haben uns von den netten Paradiesvögeln unter¬ halten. In ihrem Liebesroman tauchte ein neues Motiv auf. Die andere Hälfte des Liebesindividuums wurde ſyſtematiſch ausgewählt auf Grund beſtimmter Geſchmacksveranlagungen. In dieſen Geſchmack miſchte ſich „oberes Stockwerk“ der Natur: nämlich Gehirnfreude am „Schönen“. Du erinnerſt dich, wie ich das deutete. Durch die ganze Naturentwickelung kommt ein Zug herauf zum Harmoniſchen, zum Rhythmiſchen. Im letzten Grunde iſt es ein Urgeſetz alles Weltenwerdens, daß das Harmoniſche eine Chance mehr hat als das Disharmoniſche. Es iſt erhaltungsfähiger. Im zielloſen, chaotiſchen Werden prägt es die erſte „Dauer“, das erſte über längere Zeitſpannen verharrende echte Sein. Dieſes Sein aber ſteigert es unabläſſig wieder ins noch Harmoniſchere, ins „Höhere“ hinein. So iſt dieſes ſchlichte Geſetzchen der wahre Demiurgos geweſen, der aus einem Chaos einen Kos¬ mos gemacht hat — oder ſagen wir noch etwas genauer: deſſen einfache Exiſtenz in den Urbeſtimmungen der Welt das ſcheinbare Chaos von Anfang an einen Keim, ein Ei, eine Urzelle eines ſchließlichen harmoniſchen Kosmos ſein ließ.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/39>, abgerufen am 21.11.2024.