gleichen brasilianischen Tropenwaldes der nackteste Mensch der ganzen Erde ist. Hat die Sonnenhitze dort keine Zofendienste zum Auskleiden geleistet, warum hier?
Wer die Tropen wirklich kennt, weiß auch, daß ein Haar¬ fell thatsächlich mancherlei Vorteile bietet auch im Sonnenlande. Es mildert den Kontrast des brennend heißen Tages und jäh einfallender Nachtkühle, bei dem den nackten Neger Heulen und Zähneklappern packen kann. Es schützt gegen den furchtbaren Brand selber. Es panzert gegen die Mückenplage. In Gegenden, wo diese Angriffe tierischer Blutsauger am heftigsten sind, dringt nicht ohne Grund auch bei den Nackten mit dem Europäer heute die "Mode" des Kleidertragens ein; die Spekulation findiger Hosenfabrikanten macht es nicht allein und die vom Missionär empfohlene Verschämtheit auch nicht: das künstliche Fell kommt wirklich einem Bedürfnis selbst dort entgegen. Man muß sich ja die Erwärmung durch das bißchen längere Leibeshaare nur nicht zu groß vorstellen. Ein Affe in unserem deutschen Klima friert trotz seines Pelzes und ist sehr froh, wenn er noch eine Jacke darüber ziehen kann. Ein Tier wie der Mammutelefant, das von vorne herein schon die enorm dicke Haut hatte, mochte im Norden gut und gern seinen Wollpelz auf dieser Haut als solche übergestülpte Schutzjacke noch mit benutzen. Aber auf dünnerer Unterlage wäre ihm mit dem Pelz allein auch nicht so gedient gewesen.
Als sich dem trefflichen Naturbeobachter Wallace vor Jahren diese Argumente während eines eigenen Tropenaufenthaltes so recht ins Herz einpaukten, fand er keinen anderen Ausweg als den: es habe eben eine leitende Weltintelligenz den Menschen an einer gewissen Wende seines Affenpelzes entledigt, damit er "Mensch" werde. Das genügt mir aber so wenig, wie wenn mir ein Arzt sagt, sein Patient sei am Tod gestorben. Auch ich glaube, daß es das Weltschicksal des Menschen wollte, daß er nackt wurde. Aber ich will den Weg dieses Schicksals in der Logik sehen. Erst mit dieser Logik, wo Glied sich restlos
gleichen braſilianiſchen Tropenwaldes der nackteſte Menſch der ganzen Erde iſt. Hat die Sonnenhitze dort keine Zofendienſte zum Auskleiden geleiſtet, warum hier?
Wer die Tropen wirklich kennt, weiß auch, daß ein Haar¬ fell thatſächlich mancherlei Vorteile bietet auch im Sonnenlande. Es mildert den Kontraſt des brennend heißen Tages und jäh einfallender Nachtkühle, bei dem den nackten Neger Heulen und Zähneklappern packen kann. Es ſchützt gegen den furchtbaren Brand ſelber. Es panzert gegen die Mückenplage. In Gegenden, wo dieſe Angriffe tieriſcher Blutſauger am heftigſten ſind, dringt nicht ohne Grund auch bei den Nackten mit dem Europäer heute die „Mode“ des Kleidertragens ein; die Spekulation findiger Hoſenfabrikanten macht es nicht allein und die vom Miſſionär empfohlene Verſchämtheit auch nicht: das künſtliche Fell kommt wirklich einem Bedürfnis ſelbſt dort entgegen. Man muß ſich ja die Erwärmung durch das bißchen längere Leibeshaare nur nicht zu groß vorſtellen. Ein Affe in unſerem deutſchen Klima friert trotz ſeines Pelzes und iſt ſehr froh, wenn er noch eine Jacke darüber ziehen kann. Ein Tier wie der Mammutelefant, das von vorne herein ſchon die enorm dicke Haut hatte, mochte im Norden gut und gern ſeinen Wollpelz auf dieſer Haut als ſolche übergeſtülpte Schutzjacke noch mit benutzen. Aber auf dünnerer Unterlage wäre ihm mit dem Pelz allein auch nicht ſo gedient geweſen.
Als ſich dem trefflichen Naturbeobachter Wallace vor Jahren dieſe Argumente während eines eigenen Tropenaufenthaltes ſo recht ins Herz einpaukten, fand er keinen anderen Ausweg als den: es habe eben eine leitende Weltintelligenz den Menſchen an einer gewiſſen Wende ſeines Affenpelzes entledigt, damit er „Menſch“ werde. Das genügt mir aber ſo wenig, wie wenn mir ein Arzt ſagt, ſein Patient ſei am Tod geſtorben. Auch ich glaube, daß es das Weltſchickſal des Menſchen wollte, daß er nackt wurde. Aber ich will den Weg dieſes Schickſals in der Logik ſehen. Erſt mit dieſer Logik, wo Glied ſich reſtlos
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gleichen braſilianiſchen Tropenwaldes der nackteſte Menſch der
ganzen Erde iſt. Hat die Sonnenhitze dort keine Zofendienſte
zum Auskleiden geleiſtet, warum hier?
Wer die Tropen wirklich kennt, weiß auch, daß ein Haar¬
fell thatſächlich mancherlei Vorteile bietet auch im Sonnenlande.
Es mildert den Kontraſt des brennend heißen Tages und jäh
einfallender Nachtkühle, bei dem den nackten Neger Heulen und
Zähneklappern packen kann. Es ſchützt gegen den furchtbaren
Brand ſelber. Es panzert gegen die Mückenplage. In Gegenden,
wo dieſe Angriffe tieriſcher Blutſauger am heftigſten ſind, dringt
nicht ohne Grund auch bei den Nackten mit dem Europäer heute
die „Mode“ des Kleidertragens ein; die Spekulation findiger
Hoſenfabrikanten macht es nicht allein und die vom Miſſionär
empfohlene Verſchämtheit auch nicht: das künſtliche Fell kommt
wirklich einem Bedürfnis ſelbſt dort entgegen. Man muß ſich
ja die Erwärmung durch das bißchen längere Leibeshaare nur
nicht zu groß vorſtellen. Ein Affe in unſerem deutſchen Klima
friert trotz ſeines Pelzes und iſt ſehr froh, wenn er noch eine
Jacke darüber ziehen kann. Ein Tier wie der Mammutelefant,
das von vorne herein ſchon die enorm dicke Haut hatte, mochte
im Norden gut und gern ſeinen Wollpelz auf dieſer Haut als
ſolche übergeſtülpte Schutzjacke noch mit benutzen. Aber auf
dünnerer Unterlage wäre ihm mit dem Pelz allein auch nicht
ſo gedient geweſen.
Als ſich dem trefflichen Naturbeobachter Wallace vor Jahren
dieſe Argumente während eines eigenen Tropenaufenthaltes ſo
recht ins Herz einpaukten, fand er keinen anderen Ausweg als
den: es habe eben eine leitende Weltintelligenz den Menſchen
an einer gewiſſen Wende ſeines Affenpelzes entledigt, damit er
„Menſch“ werde. Das genügt mir aber ſo wenig, wie wenn
mir ein Arzt ſagt, ſein Patient ſei am Tod geſtorben. Auch
ich glaube, daß es das Weltſchickſal des Menſchen wollte, daß
er nackt wurde. Aber ich will den Weg dieſes Schickſals in
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/38>, abgerufen am 21.11.2024.
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