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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Der Übergang von einer Harmonie zu einer höheren
mag dabei, als Auflösung zunächst der niederen, fortgesetzt mit
Unlust verknüpft sein, aber selbst da sehe ich im Emporgang
der ganzen Linie fortschreitende Milderungen. Sie müssen ent¬
springen aus dem Intellekt, der anfängt, die Dinge zu be¬
herrschen, der sich bewußt müht, die Übergänge zu mildern,
und der (eben als überschauende Welterkenntnis) in den Schmerz
die Hoffnung pflanzt, alles Sterben bestehenden Glücks ver¬
söhnt durch den Aufblick auf den Keim des noch besseren
Lebens in diesem Tode. Wie durchsonnt sich uns schon
Schmerz und Entsagung und selbst die Hingabe des Lebens,
wenn uns die Kraft des Ideals durchglüht, der Glaube an
das eigene Opfer um der Erfüllung unserer Ideale willen.
Was sind aber Ideale anders als bewußt bereits im Geiste
vorgeschaute Stufen solcher höheren Harmonie. In dieser
Harmoniesehnsucht läßt sich ein Christus ans Kreuz schlagen,
besteigt ein Giordano Bruno getrost den Scheiterhaufen. Ich
kann mir einen Standpunkt des Durchschauens der Dinge
denken, wo jeder Schmerz bis in unser Alltägliches hinein mit
Mut so getragen würde als das notwendige Opfer des Fort¬
schrittes. Zugleich aber nähme helfende Liebe unendlichen Stachel
fort noch von diesem Schmerz, wie das auch heute in uns doch
schon so erkennbar angelegt ist. Mit diesen beiden, Idealhoff¬
nung und Liebe, möchte wohl auch dem Anwachsen des Über¬
gangsschmerzes beim Anwachsen der Harmonien zu begegnen sein.

Bei alledem ist aber das Wörtchen "zufällig" selbst ganz
belanglos, sobald man mit dem Einheitsbegriff der Natur
ernst macht.

Alles "Zufällige" spielt sich doch innerhalb der Natur
ab, es ist also auch ein Ausfluß einer Eigenschaft in ihr.
Wenn die Natur etwas Großes uns vor Augen stellt und es
heißt jetzt: das ist durch Zufall in ihr entstanden, so ist mir
das genau so viel wert, wie wenn einer mir sagt: es war ein
Zufall in Goethes Dichterpersönlichkeit, daß sich aus ihr der

Der Übergang von einer Harmonie zu einer höheren
mag dabei, als Auflöſung zunächſt der niederen, fortgeſetzt mit
Unluſt verknüpft ſein, aber ſelbſt da ſehe ich im Emporgang
der ganzen Linie fortſchreitende Milderungen. Sie müſſen ent¬
ſpringen aus dem Intellekt, der anfängt, die Dinge zu be¬
herrſchen, der ſich bewußt müht, die Übergänge zu mildern,
und der (eben als überſchauende Welterkenntnis) in den Schmerz
die Hoffnung pflanzt, alles Sterben beſtehenden Glücks ver¬
ſöhnt durch den Aufblick auf den Keim des noch beſſeren
Lebens in dieſem Tode. Wie durchſonnt ſich uns ſchon
Schmerz und Entſagung und ſelbſt die Hingabe des Lebens,
wenn uns die Kraft des Ideals durchglüht, der Glaube an
das eigene Opfer um der Erfüllung unſerer Ideale willen.
Was ſind aber Ideale anders als bewußt bereits im Geiſte
vorgeſchaute Stufen ſolcher höheren Harmonie. In dieſer
Harmonieſehnſucht läßt ſich ein Chriſtus ans Kreuz ſchlagen,
beſteigt ein Giordano Bruno getroſt den Scheiterhaufen. Ich
kann mir einen Standpunkt des Durchſchauens der Dinge
denken, wo jeder Schmerz bis in unſer Alltägliches hinein mit
Mut ſo getragen würde als das notwendige Opfer des Fort¬
ſchrittes. Zugleich aber nähme helfende Liebe unendlichen Stachel
fort noch von dieſem Schmerz, wie das auch heute in uns doch
ſchon ſo erkennbar angelegt iſt. Mit dieſen beiden, Idealhoff¬
nung und Liebe, möchte wohl auch dem Anwachſen des Über¬
gangsſchmerzes beim Anwachſen der Harmonien zu begegnen ſein.

Bei alledem iſt aber das Wörtchen „zufällig“ ſelbſt ganz
belanglos, ſobald man mit dem Einheitsbegriff der Natur
ernſt macht.

Alles „Zufällige“ ſpielt ſich doch innerhalb der Natur
ab, es iſt alſo auch ein Ausfluß einer Eigenſchaft in ihr.
Wenn die Natur etwas Großes uns vor Augen ſtellt und es
heißt jetzt: das iſt durch Zufall in ihr entſtanden, ſo iſt mir
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[367/0381] Der Übergang von einer Harmonie zu einer höheren mag dabei, als Auflöſung zunächſt der niederen, fortgeſetzt mit Unluſt verknüpft ſein, aber ſelbſt da ſehe ich im Emporgang der ganzen Linie fortſchreitende Milderungen. Sie müſſen ent¬ ſpringen aus dem Intellekt, der anfängt, die Dinge zu be¬ herrſchen, der ſich bewußt müht, die Übergänge zu mildern, und der (eben als überſchauende Welterkenntnis) in den Schmerz die Hoffnung pflanzt, alles Sterben beſtehenden Glücks ver¬ ſöhnt durch den Aufblick auf den Keim des noch beſſeren Lebens in dieſem Tode. Wie durchſonnt ſich uns ſchon Schmerz und Entſagung und ſelbſt die Hingabe des Lebens, wenn uns die Kraft des Ideals durchglüht, der Glaube an das eigene Opfer um der Erfüllung unſerer Ideale willen. Was ſind aber Ideale anders als bewußt bereits im Geiſte vorgeſchaute Stufen ſolcher höheren Harmonie. In dieſer Harmonieſehnſucht läßt ſich ein Chriſtus ans Kreuz ſchlagen, beſteigt ein Giordano Bruno getroſt den Scheiterhaufen. Ich kann mir einen Standpunkt des Durchſchauens der Dinge denken, wo jeder Schmerz bis in unſer Alltägliches hinein mit Mut ſo getragen würde als das notwendige Opfer des Fort¬ ſchrittes. Zugleich aber nähme helfende Liebe unendlichen Stachel fort noch von dieſem Schmerz, wie das auch heute in uns doch ſchon ſo erkennbar angelegt iſt. Mit dieſen beiden, Idealhoff¬ nung und Liebe, möchte wohl auch dem Anwachſen des Über¬ gangsſchmerzes beim Anwachſen der Harmonien zu begegnen ſein. Bei alledem iſt aber das Wörtchen „zufällig“ ſelbſt ganz belanglos, ſobald man mit dem Einheitsbegriff der Natur ernſt macht. Alles „Zufällige“ ſpielt ſich doch innerhalb der Natur ab, es iſt alſo auch ein Ausfluß einer Eigenſchaft in ihr. Wenn die Natur etwas Großes uns vor Augen ſtellt und es heißt jetzt: das iſt durch Zufall in ihr entſtanden, ſo iſt mir das genau ſo viel wert, wie wenn einer mir ſagt: es war ein Zufall in Goethes Dichterperſönlichkeit, daß ſich aus ihr der

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/381>, abgerufen am 22.11.2024.