Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

kein Fell brauchte, weil die Zenitsonne des Äquators es ewig
mit seinem Strahlenschleier umgoß.

Seit den ersten Honigwochen dieses Traumes ist wenigstens
ein Gedanke zäh geblieben bis in nüchternste Tage hinein: die
Idee, daß der Mensch in den Tropen entstanden sei.

Aus dem idealen Naturmenschen Rousseaus erwuchs zur
rechten Fortschrittsstunde der Affenabstammungsmensch Darwins.
Seine nächsten lebenden Verwandten waren Orang, Gibbon,
Gorilla und Schimpanse. Die Fügung der Dinge wollte, daß
alle vier menschenähnlichsten Affen unserer Erdepoche Tropen¬
bewohner sind. Das Affenvolk überhaupt braucht, durchweg
wenigstens, warme Sonne. So lag nichts näher, als sich den
Menschen auch aus der heißen Zone zu holen, etwa aus
Innerafrika oder von den Sundainseln. Und wenn der
Reisende dort die Neger oder Dajaks heute noch so hübsch
splitternackt herumlaufen sah, scheinbar ohne Sorge um jeden
Schutzpelz, so schien die Behauptung nur plausibel, es sei der
nackte Mensch eine rechte echte ursprüngliche Tropenanpassung.
Er hätte die Tierhaare abgeschafft, weil er sie in der ewigen
Sonne nicht brauchte. Nachher freilich, als er auch in kältere
Zonen völkerwandernd vordrang, taugte das schlecht, aber da
half eben die findige Technik schon: er hüllte sich in ein künst¬
liches Fell, -- in Kleider.

Aber das zuerst Plausible und um seiner Schlichtheit
willen Zähe ist noch nicht immer das Wahre. Der Orang
Utan, der in seinen brandroten Haaren verpackt liegt wie eine
struppige Kokosnuß, ist doch eben auch ein Tropentier und
hat trotzdem seinen Pelz. Und der Löwe hat ihn, und die
Giraffe hat ihn. Und wenn das Nilpferd ihn nicht hat, so hat
es ihn nicht etwa, weil es ihn vor Äquatorhitze nicht braucht,
sondern weil es im Wasser schwimmt. Man muß sich im
Zoologischen Garten den Ameisenbär oder das Faultier be¬
sehen, wie sie förmlich untergehen in ihrem dicken Haarwald,
-- und sich dann sagen, daß der Bakairi-Indianer dieses

kein Fell brauchte, weil die Zenitſonne des Äquators es ewig
mit ſeinem Strahlenſchleier umgoß.

Seit den erſten Honigwochen dieſes Traumes iſt wenigſtens
ein Gedanke zäh geblieben bis in nüchternſte Tage hinein: die
Idee, daß der Menſch in den Tropen entſtanden ſei.

Aus dem idealen Naturmenſchen Rouſſeaus erwuchs zur
rechten Fortſchrittsſtunde der Affenabſtammungsmenſch Darwins.
Seine nächſten lebenden Verwandten waren Orang, Gibbon,
Gorilla und Schimpanſe. Die Fügung der Dinge wollte, daß
alle vier menſchenähnlichſten Affen unſerer Erdepoche Tropen¬
bewohner ſind. Das Affenvolk überhaupt braucht, durchweg
wenigſtens, warme Sonne. So lag nichts näher, als ſich den
Menſchen auch aus der heißen Zone zu holen, etwa aus
Innerafrika oder von den Sundainſeln. Und wenn der
Reiſende dort die Neger oder Dajaks heute noch ſo hübſch
ſplitternackt herumlaufen ſah, ſcheinbar ohne Sorge um jeden
Schutzpelz, ſo ſchien die Behauptung nur plauſibel, es ſei der
nackte Menſch eine rechte echte urſprüngliche Tropenanpaſſung.
Er hätte die Tierhaare abgeſchafft, weil er ſie in der ewigen
Sonne nicht brauchte. Nachher freilich, als er auch in kältere
Zonen völkerwandernd vordrang, taugte das ſchlecht, aber da
half eben die findige Technik ſchon: er hüllte ſich in ein künſt¬
liches Fell, — in Kleider.

Aber das zuerſt Plauſible und um ſeiner Schlichtheit
willen Zähe iſt noch nicht immer das Wahre. Der Orang
Utan, der in ſeinen brandroten Haaren verpackt liegt wie eine
ſtruppige Kokosnuß, iſt doch eben auch ein Tropentier und
hat trotzdem ſeinen Pelz. Und der Löwe hat ihn, und die
Giraffe hat ihn. Und wenn das Nilpferd ihn nicht hat, ſo hat
es ihn nicht etwa, weil es ihn vor Äquatorhitze nicht braucht,
ſondern weil es im Waſſer ſchwimmt. Man muß ſich im
Zoologiſchen Garten den Ameiſenbär oder das Faultier be¬
ſehen, wie ſie förmlich untergehen in ihrem dicken Haarwald,
— und ſich dann ſagen, daß der Bakairi-Indianer dieſes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0037" n="23"/>
kein Fell brauchte, weil die Zenit&#x017F;onne des Äquators es ewig<lb/>
mit &#x017F;einem Strahlen&#x017F;chleier umgoß.</p><lb/>
        <p>Seit den er&#x017F;ten Honigwochen die&#x017F;es Traumes i&#x017F;t wenig&#x017F;tens<lb/>
ein Gedanke zäh geblieben bis in nüchtern&#x017F;te Tage hinein: die<lb/>
Idee, daß der Men&#x017F;ch in den Tropen ent&#x017F;tanden &#x017F;ei.</p><lb/>
        <p>Aus dem idealen Naturmen&#x017F;chen Rou&#x017F;&#x017F;eaus erwuchs zur<lb/>
rechten Fort&#x017F;chritts&#x017F;tunde der Affenab&#x017F;tammungsmen&#x017F;ch Darwins.<lb/>
Seine näch&#x017F;ten lebenden Verwandten waren Orang, Gibbon,<lb/>
Gorilla und Schimpan&#x017F;e. Die Fügung der Dinge wollte, daß<lb/>
alle vier men&#x017F;chenähnlich&#x017F;ten Affen un&#x017F;erer Erdepoche Tropen¬<lb/>
bewohner &#x017F;ind. Das Affenvolk überhaupt braucht, durchweg<lb/>
wenig&#x017F;tens, warme Sonne. So lag nichts näher, als &#x017F;ich den<lb/>
Men&#x017F;chen auch aus der heißen Zone zu holen, etwa aus<lb/>
Innerafrika oder von den Sundain&#x017F;eln. Und wenn der<lb/>
Rei&#x017F;ende dort die Neger oder Dajaks heute noch &#x017F;o hüb&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;plitternackt herumlaufen &#x017F;ah, &#x017F;cheinbar ohne Sorge um jeden<lb/>
Schutzpelz, &#x017F;o &#x017F;chien die Behauptung nur plau&#x017F;ibel, es &#x017F;ei der<lb/>
nackte Men&#x017F;ch eine rechte echte ur&#x017F;prüngliche Tropenanpa&#x017F;&#x017F;ung.<lb/>
Er hätte die Tierhaare abge&#x017F;chafft, weil er &#x017F;ie in der ewigen<lb/>
Sonne nicht brauchte. Nachher freilich, als er auch in kältere<lb/>
Zonen völkerwandernd vordrang, taugte das &#x017F;chlecht, aber da<lb/>
half eben die findige Technik &#x017F;chon: er hüllte &#x017F;ich in ein kün&#x017F;<lb/>
liches Fell, &#x2014; in Kleider.</p><lb/>
        <p>Aber das zuer&#x017F;t Plau&#x017F;ible und um &#x017F;einer Schlichtheit<lb/>
willen Zähe i&#x017F;t noch nicht immer das Wahre. Der Orang<lb/>
Utan, der in &#x017F;einen brandroten Haaren verpackt liegt wie eine<lb/>
&#x017F;truppige Kokosnuß, i&#x017F;t doch eben auch ein Tropentier und<lb/>
hat trotzdem &#x017F;einen Pelz. Und der Löwe hat ihn, und die<lb/>
Giraffe hat ihn. Und wenn das Nilpferd ihn nicht hat, &#x017F;o hat<lb/>
es ihn nicht etwa, weil es ihn vor Äquatorhitze nicht braucht,<lb/>
&#x017F;ondern weil es im Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chwimmt. Man muß &#x017F;ich im<lb/>
Zoologi&#x017F;chen Garten den Amei&#x017F;enbär oder das Faultier be¬<lb/>
&#x017F;ehen, wie &#x017F;ie förmlich untergehen in ihrem dicken Haarwald,<lb/>
&#x2014; und &#x017F;ich dann &#x017F;agen, daß der Bakairi-Indianer die&#x017F;es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0037] kein Fell brauchte, weil die Zenitſonne des Äquators es ewig mit ſeinem Strahlenſchleier umgoß. Seit den erſten Honigwochen dieſes Traumes iſt wenigſtens ein Gedanke zäh geblieben bis in nüchternſte Tage hinein: die Idee, daß der Menſch in den Tropen entſtanden ſei. Aus dem idealen Naturmenſchen Rouſſeaus erwuchs zur rechten Fortſchrittsſtunde der Affenabſtammungsmenſch Darwins. Seine nächſten lebenden Verwandten waren Orang, Gibbon, Gorilla und Schimpanſe. Die Fügung der Dinge wollte, daß alle vier menſchenähnlichſten Affen unſerer Erdepoche Tropen¬ bewohner ſind. Das Affenvolk überhaupt braucht, durchweg wenigſtens, warme Sonne. So lag nichts näher, als ſich den Menſchen auch aus der heißen Zone zu holen, etwa aus Innerafrika oder von den Sundainſeln. Und wenn der Reiſende dort die Neger oder Dajaks heute noch ſo hübſch ſplitternackt herumlaufen ſah, ſcheinbar ohne Sorge um jeden Schutzpelz, ſo ſchien die Behauptung nur plauſibel, es ſei der nackte Menſch eine rechte echte urſprüngliche Tropenanpaſſung. Er hätte die Tierhaare abgeſchafft, weil er ſie in der ewigen Sonne nicht brauchte. Nachher freilich, als er auch in kältere Zonen völkerwandernd vordrang, taugte das ſchlecht, aber da half eben die findige Technik ſchon: er hüllte ſich in ein künſt¬ liches Fell, — in Kleider. Aber das zuerſt Plauſible und um ſeiner Schlichtheit willen Zähe iſt noch nicht immer das Wahre. Der Orang Utan, der in ſeinen brandroten Haaren verpackt liegt wie eine ſtruppige Kokosnuß, iſt doch eben auch ein Tropentier und hat trotzdem ſeinen Pelz. Und der Löwe hat ihn, und die Giraffe hat ihn. Und wenn das Nilpferd ihn nicht hat, ſo hat es ihn nicht etwa, weil es ihn vor Äquatorhitze nicht braucht, ſondern weil es im Waſſer ſchwimmt. Man muß ſich im Zoologiſchen Garten den Ameiſenbär oder das Faultier be¬ ſehen, wie ſie förmlich untergehen in ihrem dicken Haarwald, — und ſich dann ſagen, daß der Bakairi-Indianer dieſes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/37
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/37>, abgerufen am 02.05.2024.