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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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dazu entwickeln werden, eine Weltanschauung wirklich zu haben,
-- also jenen Paradiesesschritt wirklich zu thun. Du mußt
ferner zugeben, daß bei allen Menschen diese Weltanschauung
schließlich zu der Macht werde, die sie bisher in den Besten
doch schon gewesen ist: nämlich zu einem absoluten Imperativ
des Menschen bis zur Entscheidung über Leben und Tod. Damit
ist gegeben, daß der Mensch, wenn nicht Weltherr, so doch
Herr seiner Menschenexistenz einst sein werde, freier Ent¬
scheider. Und nun denn: wenn die dermaleinst so herrschende
Weltanschauung nur eine Weltverneinung sein könnte, so wäre
an dem Tage dieser Herrschaft der Mensch zweifellos stark
genug, sich selber wenigstens vom Weltenbaum abzusägen. An
dem Tage wäre die Liebe des Menschen, also die höchste uns
bekannte Liebesblüte -- tot. Unser Liebesroman hätte einen
Schluß wie Werther.

Diese Kraft mußt du den Dingen schlechterdings zu¬
gestehen, die Kraft der Idealerfüllung, falls es sich um ein
echtes Ideal handelt, -- auch im rein negativen Sinne.

Fragt sich aber, ob eben die Weltverneinung Siegerin
innerhalb der Weltanschauung werden muß oder nicht.

[Abbildung]

Der Pessimismus als Weltanschauung ist in der Mensch¬
heit immer wieder wie eine wilde Normannenschar auf ihrem
Wikingerschiff vorgebrochen seit Jahrtausenden. Aber er hat
dabei zwei Gestalten angenommen, grundverschieden noch einmal
sie beide in ihm. Die eine ist dualistisch, die andere ist monistisch
in ihrer Grundlage. Die eine ist nur ein bedingter Pessimismus,
die andere ist absolut.

Die erste Form, die ältere, aber doch auch heute noch
lebendige, geht aus von einem Doppel-Ding: der Welt --

dazu entwickeln werden, eine Weltanſchauung wirklich zu haben,
— alſo jenen Paradieſesſchritt wirklich zu thun. Du mußt
ferner zugeben, daß bei allen Menſchen dieſe Weltanſchauung
ſchließlich zu der Macht werde, die ſie bisher in den Beſten
doch ſchon geweſen iſt: nämlich zu einem abſoluten Imperativ
des Menſchen bis zur Entſcheidung über Leben und Tod. Damit
iſt gegeben, daß der Menſch, wenn nicht Weltherr, ſo doch
Herr ſeiner Menſchenexiſtenz einſt ſein werde, freier Ent¬
ſcheider. Und nun denn: wenn die dermaleinſt ſo herrſchende
Weltanſchauung nur eine Weltverneinung ſein könnte, ſo wäre
an dem Tage dieſer Herrſchaft der Menſch zweifellos ſtark
genug, ſich ſelber wenigſtens vom Weltenbaum abzuſägen. An
dem Tage wäre die Liebe des Menſchen, alſo die höchſte uns
bekannte Liebesblüte — tot. Unſer Liebesroman hätte einen
Schluß wie Werther.

Dieſe Kraft mußt du den Dingen ſchlechterdings zu¬
geſtehen, die Kraft der Idealerfüllung, falls es ſich um ein
echtes Ideal handelt, — auch im rein negativen Sinne.

Fragt ſich aber, ob eben die Weltverneinung Siegerin
innerhalb der Weltanſchauung werden muß oder nicht.

[Abbildung]

Der Peſſimismus als Weltanſchauung iſt in der Menſch¬
heit immer wieder wie eine wilde Normannenſchar auf ihrem
Wikingerſchiff vorgebrochen ſeit Jahrtauſenden. Aber er hat
dabei zwei Geſtalten angenommen, grundverſchieden noch einmal
ſie beide in ihm. Die eine iſt dualiſtiſch, die andere iſt moniſtiſch
in ihrer Grundlage. Die eine iſt nur ein bedingter Peſſimismus,
die andere iſt abſolut.

Die erſte Form, die ältere, aber doch auch heute noch
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[358/0372] dazu entwickeln werden, eine Weltanſchauung wirklich zu haben, — alſo jenen Paradieſesſchritt wirklich zu thun. Du mußt ferner zugeben, daß bei allen Menſchen dieſe Weltanſchauung ſchließlich zu der Macht werde, die ſie bisher in den Beſten doch ſchon geweſen iſt: nämlich zu einem abſoluten Imperativ des Menſchen bis zur Entſcheidung über Leben und Tod. Damit iſt gegeben, daß der Menſch, wenn nicht Weltherr, ſo doch Herr ſeiner Menſchenexiſtenz einſt ſein werde, freier Ent¬ ſcheider. Und nun denn: wenn die dermaleinſt ſo herrſchende Weltanſchauung nur eine Weltverneinung ſein könnte, ſo wäre an dem Tage dieſer Herrſchaft der Menſch zweifellos ſtark genug, ſich ſelber wenigſtens vom Weltenbaum abzuſägen. An dem Tage wäre die Liebe des Menſchen, alſo die höchſte uns bekannte Liebesblüte — tot. Unſer Liebesroman hätte einen Schluß wie Werther. Dieſe Kraft mußt du den Dingen ſchlechterdings zu¬ geſtehen, die Kraft der Idealerfüllung, falls es ſich um ein echtes Ideal handelt, — auch im rein negativen Sinne. Fragt ſich aber, ob eben die Weltverneinung Siegerin innerhalb der Weltanſchauung werden muß oder nicht. [Abbildung] Der Peſſimismus als Weltanſchauung iſt in der Menſch¬ heit immer wieder wie eine wilde Normannenſchar auf ihrem Wikingerſchiff vorgebrochen ſeit Jahrtauſenden. Aber er hat dabei zwei Geſtalten angenommen, grundverſchieden noch einmal ſie beide in ihm. Die eine iſt dualiſtiſch, die andere iſt moniſtiſch in ihrer Grundlage. Die eine iſt nur ein bedingter Peſſimismus, die andere iſt abſolut. Die erſte Form, die ältere, aber doch auch heute noch lebendige, geht aus von einem Doppel-Ding: der Welt —

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/372>, abgerufen am 17.05.2024.