und einem Erlösungsreiche hinter der Welt. Die Welt ist ein Jammerthal, sei sie nun ein Werk des Teufels, ein in Sünden verstrickter Abfall von Gott; oder sei sie eine Prüfung, eingesetzt von Gott; oder sei sie außerhalb aller Gott- und Teufelsvorstellungen die Ausgeburt eines dunklen "Willens", eines ungeheueren blinden Naturprinzips, das aber doch auf alle Fälle ein böses, zu lauter Wirrsal führendes Prinzip ist. Dieser Welt gegenüber steht aber ein anderes, zweites. Auch dafür giebt es verschiedene Definitionen. Der eine nennt es Gott, Himmel, Paradies, Seligkeit; der andere Nirwana, das "Nichts" im Gegensatz zu jenem schlechten "Sein". Jedenfalls aber ist dieses andere ein Seliges; auch wenn es als Nichts definiert wird, so ist es doch ein süßes Nichts. Nach dieser Seligkeit ringt unser elendes Dasein, aber es kann sie nur erreichen durch vollkommene Aufhebung seiner selbst. Welt¬ ertötung in uns ist der Weg dahin. Laß ab von aller Sinnen¬ lust, denn sie ist keine wahre Freude, sie lockt nur immer wieder jene schlechte Welt hervor. Thu ab vor allem die Liebe im Sinne eines zeugenden, weltschaffenden Prinzips, eines Un¬ sterblichkeitsprinzips innerhalb dieser Welt. Was soll diese Unsterblichkeit, -- sie ist nur Unsterblichkeit des Elends. Geh in die Wüste, bezwinge die Welt bis in deine Träume hinein, versenke dich in jenes andere. So kehrst du heim in die bessere Ordnung, wirst erlöst, versinkst ins selige Nirwana oder trittst über zu Gott und seinem Himmel.
Diese Lehre ist, wie gesagt, nur ein bedingter Pessimismus. Sie kennt eine Erlösung als Schluß. Eines Tages wird die ganze Welt so klug werden, sich zu verneinen, im süßen "Anders" wieder zu verschwinden. So bleibt immer ein Lichtblick des Optimismus, für den einzelnen wie für die Welt. Es bleibt eine "Entwickelung", wenn schon eine vom Weltstandpunkt rückwärtige.
Aber für unseren Fall bleibt doch entscheidend auch so die Stellung zur Liebe. Sie ist ein Todfeind jener Erlösung.
und einem Erlöſungsreiche hinter der Welt. Die Welt iſt ein Jammerthal, ſei ſie nun ein Werk des Teufels, ein in Sünden verſtrickter Abfall von Gott; oder ſei ſie eine Prüfung, eingeſetzt von Gott; oder ſei ſie außerhalb aller Gott- und Teufelsvorſtellungen die Ausgeburt eines dunklen „Willens“, eines ungeheueren blinden Naturprinzips, das aber doch auf alle Fälle ein böſes, zu lauter Wirrſal führendes Prinzip iſt. Dieſer Welt gegenüber ſteht aber ein anderes, zweites. Auch dafür giebt es verſchiedene Definitionen. Der eine nennt es Gott, Himmel, Paradies, Seligkeit; der andere Nirwana, das „Nichts“ im Gegenſatz zu jenem ſchlechten „Sein“. Jedenfalls aber iſt dieſes andere ein Seliges; auch wenn es als Nichts definiert wird, ſo iſt es doch ein ſüßes Nichts. Nach dieſer Seligkeit ringt unſer elendes Daſein, aber es kann ſie nur erreichen durch vollkommene Aufhebung ſeiner ſelbſt. Welt¬ ertötung in uns iſt der Weg dahin. Laß ab von aller Sinnen¬ luſt, denn ſie iſt keine wahre Freude, ſie lockt nur immer wieder jene ſchlechte Welt hervor. Thu ab vor allem die Liebe im Sinne eines zeugenden, weltſchaffenden Prinzips, eines Un¬ ſterblichkeitsprinzips innerhalb dieſer Welt. Was ſoll dieſe Unſterblichkeit, — ſie iſt nur Unſterblichkeit des Elends. Geh in die Wüſte, bezwinge die Welt bis in deine Träume hinein, verſenke dich in jenes andere. So kehrſt du heim in die beſſere Ordnung, wirſt erlöſt, verſinkſt ins ſelige Nirwana oder trittſt über zu Gott und ſeinem Himmel.
Dieſe Lehre iſt, wie geſagt, nur ein bedingter Peſſimismus. Sie kennt eine Erlöſung als Schluß. Eines Tages wird die ganze Welt ſo klug werden, ſich zu verneinen, im ſüßen „Anders“ wieder zu verſchwinden. So bleibt immer ein Lichtblick des Optimismus, für den einzelnen wie für die Welt. Es bleibt eine „Entwickelung“, wenn ſchon eine vom Weltſtandpunkt rückwärtige.
Aber für unſeren Fall bleibt doch entſcheidend auch ſo die Stellung zur Liebe. Sie iſt ein Todfeind jener Erlöſung.
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und einem Erlöſungsreiche hinter der Welt. Die Welt iſt
ein Jammerthal, ſei ſie nun ein Werk des Teufels, ein in
Sünden verſtrickter Abfall von Gott; oder ſei ſie eine Prüfung,
eingeſetzt von Gott; oder ſei ſie außerhalb aller Gott- und
Teufelsvorſtellungen die Ausgeburt eines dunklen „Willens“,
eines ungeheueren blinden Naturprinzips, das aber doch auf
alle Fälle ein böſes, zu lauter Wirrſal führendes Prinzip iſt.
Dieſer Welt gegenüber ſteht aber ein anderes, zweites. Auch
dafür giebt es verſchiedene Definitionen. Der eine nennt es
Gott, Himmel, Paradies, Seligkeit; der andere Nirwana, das
„Nichts“ im Gegenſatz zu jenem ſchlechten „Sein“. Jedenfalls
aber iſt dieſes andere ein Seliges; auch wenn es als Nichts
definiert wird, ſo iſt es doch ein ſüßes Nichts. Nach dieſer
Seligkeit ringt unſer elendes Daſein, aber es kann ſie nur
erreichen durch vollkommene Aufhebung ſeiner ſelbſt. Welt¬
ertötung in uns iſt der Weg dahin. Laß ab von aller Sinnen¬
luſt, denn ſie iſt keine wahre Freude, ſie lockt nur immer wieder
jene ſchlechte Welt hervor. Thu ab vor allem die Liebe im
Sinne eines zeugenden, weltſchaffenden Prinzips, eines Un¬
ſterblichkeitsprinzips innerhalb dieſer Welt. Was ſoll dieſe
Unſterblichkeit, — ſie iſt nur Unſterblichkeit des Elends. Geh
in die Wüſte, bezwinge die Welt bis in deine Träume hinein,
verſenke dich in jenes andere. So kehrſt du heim in die beſſere
Ordnung, wirſt erlöſt, verſinkſt ins ſelige Nirwana oder trittſt
über zu Gott und ſeinem Himmel.
Dieſe Lehre iſt, wie geſagt, nur ein bedingter Peſſimismus.
Sie kennt eine Erlöſung als Schluß. Eines Tages wird die
ganze Welt ſo klug werden, ſich zu verneinen, im ſüßen „Anders“
wieder zu verſchwinden. So bleibt immer ein Lichtblick des
Optimismus, für den einzelnen wie für die Welt. Es bleibt
eine „Entwickelung“, wenn ſchon eine vom Weltſtandpunkt
rückwärtige.
Aber für unſeren Fall bleibt doch entſcheidend auch ſo die
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/373>, abgerufen am 24.11.2024.
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