Erst unsere allerneueste Forschung, seit wenigen Jahren, nähert sich wenigstens der Erkenntnis, um was es sich hier eigentlich handelt. Die Syphilis ist eine Bazillen-Krankheit. Noch ist ihr Bazillus selbst nicht gefunden, aber es besteht kaum noch irgend ein ernsthafter Zweifel, daß die Grund¬ deutung so stimmt. Damit aber ist ein gewisses Licht zum erstenmal aufgesteckt. Hinter diesem Schreckgespenst steht ein Kampf des Lebens in unserem Menschenkörper selbst. Es steckt darin die unselige Verhedderung zweier völlig voneinander un¬ abhängiger Liebeslinien des Lebens auf der Erde.
[Abbildung]
Hier der Mensch, wie jener Polyp ein vielzelliges Tier, bloß noch unvergleichlich viel höher entwickelt. Dort ein¬ zellige Urwesen von der untersten Grenze des Lebens, winzig vielleicht bis unter die Sehgrenze unserer besten Mikroskope von heute: die Syphilis-Bazillen. Diese Wesen begegnen sich eines Tages. Das große, hochstehende nimmt keine Notiz von den Winzigsten der Winzigen, er sieht sie ja gar nicht. Aber sie machen sich an ihn. Sie nisten sich ein in seinem Innern. Sie erzeugen dort eine gräuliche Mißwirtschaft, überschwemmen ihr Hotel mit solchen Riesenfluten zerstörenden Unrats, daß schließlich der Riese doch sich in die Sache hineingerissen sieht und mit Schrecken merkt, was in ihm waltet.
Aber inzwischen ist wie bei jenem Polypen auch schon das Raffinierteste geschehen. Diese Eindringlinge haben sich ganz ab¬ gewöhnt, draußen, außerhalb des Menschenleibes, noch ein Dasein für sich zu führen. Sie haben all ihre Sach im verwegensten Sinne auf dieses entdeckte Menschentier gestellt. Ihr ganzes, bei solchen Einzellern ja höchst simples Liebesleben haben sie in diesen Menschen verlegt. Dabei sind sie aber folgerichtig auf das gleiche Problem gedrängt worden, wie dort im Po¬
Erſt unſere allerneueſte Forſchung, ſeit wenigen Jahren, nähert ſich wenigſtens der Erkenntnis, um was es ſich hier eigentlich handelt. Die Syphilis iſt eine Bazillen-Krankheit. Noch iſt ihr Bazillus ſelbſt nicht gefunden, aber es beſteht kaum noch irgend ein ernſthafter Zweifel, daß die Grund¬ deutung ſo ſtimmt. Damit aber iſt ein gewiſſes Licht zum erſtenmal aufgeſteckt. Hinter dieſem Schreckgeſpenſt ſteht ein Kampf des Lebens in unſerem Menſchenkörper ſelbſt. Es ſteckt darin die unſelige Verhedderung zweier völlig voneinander un¬ abhängiger Liebeslinien des Lebens auf der Erde.
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Hier der Menſch, wie jener Polyp ein vielzelliges Tier, bloß noch unvergleichlich viel höher entwickelt. Dort ein¬ zellige Urweſen von der unterſten Grenze des Lebens, winzig vielleicht bis unter die Sehgrenze unſerer beſten Mikroſkope von heute: die Syphilis-Bazillen. Dieſe Weſen begegnen ſich eines Tages. Das große, hochſtehende nimmt keine Notiz von den Winzigſten der Winzigen, er ſieht ſie ja gar nicht. Aber ſie machen ſich an ihn. Sie niſten ſich ein in ſeinem Innern. Sie erzeugen dort eine gräuliche Mißwirtſchaft, überſchwemmen ihr Hotel mit ſolchen Rieſenfluten zerſtörenden Unrats, daß ſchließlich der Rieſe doch ſich in die Sache hineingeriſſen ſieht und mit Schrecken merkt, was in ihm waltet.
Aber inzwiſchen iſt wie bei jenem Polypen auch ſchon das Raffinierteſte geſchehen. Dieſe Eindringlinge haben ſich ganz ab¬ gewöhnt, draußen, außerhalb des Menſchenleibes, noch ein Daſein für ſich zu führen. Sie haben all ihre Sach im verwegenſten Sinne auf dieſes entdeckte Menſchentier geſtellt. Ihr ganzes, bei ſolchen Einzellern ja höchſt ſimples Liebesleben haben ſie in dieſen Menſchen verlegt. Dabei ſind ſie aber folgerichtig auf das gleiche Problem gedrängt worden, wie dort im Po¬
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Erſt unſere allerneueſte Forſchung, ſeit wenigen Jahren,
nähert ſich wenigſtens der Erkenntnis, um was es ſich hier
eigentlich handelt. Die Syphilis iſt eine Bazillen-Krankheit.
Noch iſt ihr Bazillus ſelbſt nicht gefunden, aber es beſteht
kaum noch irgend ein ernſthafter Zweifel, daß die Grund¬
deutung ſo ſtimmt. Damit aber iſt ein gewiſſes Licht zum
erſtenmal aufgeſteckt. Hinter dieſem Schreckgeſpenſt ſteht ein
Kampf des Lebens in unſerem Menſchenkörper ſelbſt. Es ſteckt
darin die unſelige Verhedderung zweier völlig voneinander un¬
abhängiger Liebeslinien des Lebens auf der Erde.
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Hier der Menſch, wie jener Polyp ein vielzelliges Tier,
bloß noch unvergleichlich viel höher entwickelt. Dort ein¬
zellige Urweſen von der unterſten Grenze des Lebens, winzig
vielleicht bis unter die Sehgrenze unſerer beſten Mikroſkope
von heute: die Syphilis-Bazillen. Dieſe Weſen begegnen ſich
eines Tages. Das große, hochſtehende nimmt keine Notiz von
den Winzigſten der Winzigen, er ſieht ſie ja gar nicht. Aber
ſie machen ſich an ihn. Sie niſten ſich ein in ſeinem Innern.
Sie erzeugen dort eine gräuliche Mißwirtſchaft, überſchwemmen
ihr Hotel mit ſolchen Rieſenfluten zerſtörenden Unrats, daß
ſchließlich der Rieſe doch ſich in die Sache hineingeriſſen ſieht
und mit Schrecken merkt, was in ihm waltet.
Aber inzwiſchen iſt wie bei jenem Polypen auch ſchon das
Raffinierteſte geſchehen. Dieſe Eindringlinge haben ſich ganz ab¬
gewöhnt, draußen, außerhalb des Menſchenleibes, noch ein Daſein
für ſich zu führen. Sie haben all ihre Sach im verwegenſten
Sinne auf dieſes entdeckte Menſchentier geſtellt. Ihr ganzes,
bei ſolchen Einzellern ja höchſt ſimples Liebesleben haben ſie
in dieſen Menſchen verlegt. Dabei ſind ſie aber folgerichtig
auf das gleiche Problem gedrängt worden, wie dort im Po¬
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/356>, abgerufen am 22.11.2024.
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