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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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dem "grünen Blätterkranz". Im Farbenbilde der Erde ver¬
schmilzt es geradezu mit dem Begriff Pflanze. Und doch ist
auch das Hydratier grün durch Einlagen solchen Pflanzen¬
grüns in seiner Körperhaut. Nachdem man sich lange um
die Frage gemüht, unter welchen aparten Umständen auch ein¬
mal ein Tier, dessen ganze Ernährungsart und chemische Lebens¬
grundlage doch so energisch verschieden von denen der Pflanze
ist, Pflanzengrün chemisch erzeugen könne, hat endlich die Lösung
doch noch etwas grundanderes, gewissermaßen drittes ergeben.
Weder ist der Polyp eine Pflanze, noch schafft hier ein Tier
gesetzwidrig Pflanzenprodukte. Sondern die "grüne Hydra"
ist im Punkte ihres Grüns einfach ein Mischprodukt: sie ist
an sich ein nicht grünes Tier, in dessen Haut sich aber grüne
Pflanzen eingenistet haben. Denke dir, deine Haare würden
plötzlich grün und unter dem Mikroskop würde festgestellt, daß
um jedes deiner Menschenhaare sich ein festes Gespinst grüner
Pflänzchen wuchernd gewickelt und dir so chlorophyll-grüne
Haare erzeugt hätte. Der Hydra-Polyp ist ein schon nicht
mehr so ganz niedriges Tier, sein Leib besteht aus einer
ganzen Masse einzelner Zellen, die allerdings zunächst genau
wie deine Haut- oder Darmzellen sämtlich tierische Zellen mit
tierischer Ernährungsweise sind. Da wo diese Zellen aber in
dem Polypenleibe grün erscheinen, haben sich in sie hinein
fremde Zellen eingeschmuggelt, die an sich mit dem Polypen
und mit einem Tiere überhaupt gar nichts zu thun haben.
Jede dieser Zellen stellt ein einzelnes winzig kleines, aber
ganz in sich abgeschlossenes Pflänzchen dar, eine Alge aus
jener niedrigsten Gruppe, wo der ganze Körper noch gar nicht
zur Stufe einer Zusammensetzung aus vielen Zellen über¬
gegangen ist, sondern nur aus einer einzigen einzelnen Zelle
besteht. Diese Einzelzelle ist aber dabei doch schon regelrecht
"Pflanze" und weiß also in ihrer Leibesküche auch bereits
regelrechtes pflanzliches Blattgrün zu erzeugen. Wie die Rose,
die sich selber schmückt und damit auch den Garten, färben

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dem „grünen Blätterkranz“. Im Farbenbilde der Erde ver¬
ſchmilzt es geradezu mit dem Begriff Pflanze. Und doch iſt
auch das Hydratier grün durch Einlagen ſolchen Pflanzen¬
grüns in ſeiner Körperhaut. Nachdem man ſich lange um
die Frage gemüht, unter welchen aparten Umſtänden auch ein¬
mal ein Tier, deſſen ganze Ernährungsart und chemiſche Lebens¬
grundlage doch ſo energiſch verſchieden von denen der Pflanze
iſt, Pflanzengrün chemiſch erzeugen könne, hat endlich die Löſung
doch noch etwas grundanderes, gewiſſermaßen drittes ergeben.
Weder iſt der Polyp eine Pflanze, noch ſchafft hier ein Tier
geſetzwidrig Pflanzenprodukte. Sondern die „grüne Hydra“
iſt im Punkte ihres Grüns einfach ein Miſchprodukt: ſie iſt
an ſich ein nicht grünes Tier, in deſſen Haut ſich aber grüne
Pflanzen eingeniſtet haben. Denke dir, deine Haare würden
plötzlich grün und unter dem Mikroſkop würde feſtgeſtellt, daß
um jedes deiner Menſchenhaare ſich ein feſtes Geſpinſt grüner
Pflänzchen wuchernd gewickelt und dir ſo chlorophyll-grüne
Haare erzeugt hätte. Der Hydra-Polyp iſt ein ſchon nicht
mehr ſo ganz niedriges Tier, ſein Leib beſteht aus einer
ganzen Maſſe einzelner Zellen, die allerdings zunächſt genau
wie deine Haut- oder Darmzellen ſämtlich tieriſche Zellen mit
tieriſcher Ernährungsweiſe ſind. Da wo dieſe Zellen aber in
dem Polypenleibe grün erſcheinen, haben ſich in ſie hinein
fremde Zellen eingeſchmuggelt, die an ſich mit dem Polypen
und mit einem Tiere überhaupt gar nichts zu thun haben.
Jede dieſer Zellen ſtellt ein einzelnes winzig kleines, aber
ganz in ſich abgeſchloſſenes Pflänzchen dar, eine Alge aus
jener niedrigſten Gruppe, wo der ganze Körper noch gar nicht
zur Stufe einer Zuſammenſetzung aus vielen Zellen über¬
gegangen iſt, ſondern nur aus einer einzigen einzelnen Zelle
beſteht. Dieſe Einzelzelle iſt aber dabei doch ſchon regelrecht
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regelrechtes pflanzliches Blattgrün zu erzeugen. Wie die Roſe,
die ſich ſelber ſchmückt und damit auch den Garten, färben

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[337/0351] dem „grünen Blätterkranz“. Im Farbenbilde der Erde ver¬ ſchmilzt es geradezu mit dem Begriff Pflanze. Und doch iſt auch das Hydratier grün durch Einlagen ſolchen Pflanzen¬ grüns in ſeiner Körperhaut. Nachdem man ſich lange um die Frage gemüht, unter welchen aparten Umſtänden auch ein¬ mal ein Tier, deſſen ganze Ernährungsart und chemiſche Lebens¬ grundlage doch ſo energiſch verſchieden von denen der Pflanze iſt, Pflanzengrün chemiſch erzeugen könne, hat endlich die Löſung doch noch etwas grundanderes, gewiſſermaßen drittes ergeben. Weder iſt der Polyp eine Pflanze, noch ſchafft hier ein Tier geſetzwidrig Pflanzenprodukte. Sondern die „grüne Hydra“ iſt im Punkte ihres Grüns einfach ein Miſchprodukt: ſie iſt an ſich ein nicht grünes Tier, in deſſen Haut ſich aber grüne Pflanzen eingeniſtet haben. Denke dir, deine Haare würden plötzlich grün und unter dem Mikroſkop würde feſtgeſtellt, daß um jedes deiner Menſchenhaare ſich ein feſtes Geſpinſt grüner Pflänzchen wuchernd gewickelt und dir ſo chlorophyll-grüne Haare erzeugt hätte. Der Hydra-Polyp iſt ein ſchon nicht mehr ſo ganz niedriges Tier, ſein Leib beſteht aus einer ganzen Maſſe einzelner Zellen, die allerdings zunächſt genau wie deine Haut- oder Darmzellen ſämtlich tieriſche Zellen mit tieriſcher Ernährungsweiſe ſind. Da wo dieſe Zellen aber in dem Polypenleibe grün erſcheinen, haben ſich in ſie hinein fremde Zellen eingeſchmuggelt, die an ſich mit dem Polypen und mit einem Tiere überhaupt gar nichts zu thun haben. Jede dieſer Zellen ſtellt ein einzelnes winzig kleines, aber ganz in ſich abgeſchloſſenes Pflänzchen dar, eine Alge aus jener niedrigſten Gruppe, wo der ganze Körper noch gar nicht zur Stufe einer Zuſammenſetzung aus vielen Zellen über¬ gegangen iſt, ſondern nur aus einer einzigen einzelnen Zelle beſteht. Dieſe Einzelzelle iſt aber dabei doch ſchon regelrecht „Pflanze“ und weiß alſo in ihrer Leibesküche auch bereits regelrechtes pflanzliches Blattgrün zu erzeugen. Wie die Roſe, die ſich ſelber ſchmückt und damit auch den Garten, färben 22

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/351>, abgerufen am 24.11.2024.