Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

minder in der Degeneration sind und etwa die Polygamie ohne¬
hin das Weib bereits tief unter das Normalmaß erniedrigt hat,
da wirst du auch beim nackten Wilden sehen, daß diese Frage
gestellt wird und daß das Veto der Frau gilt. Es ist klar,
daß dem Mädchen von vornherein der reiche Freier imponiert,
warum nicht, Reichtum ist im Werkzeug-Sinne des Menschen,
ja im Grunde nur ein nach außen verlegtes Organ, ein Stück
außen niedergelegtes und also auch der Frau zugängliches
Nährblut, ein Stück Nervenkraft auf Reserve. Aber wenn der
Reichtum ersetzen soll, daß der Freier einen Buckel hat, so hat
sich vom nackten Wildenkinde bis zur feinsten Kulturdame
noch in jedem gesunden Mädchen der gesunde Natursinn
aufgelehnt. Umgekehrt ist immer wieder ein Plus an Geistes-
und Körperliebreiz von den Mädchen aller Jahrtausende aus¬
gespielt worden als Äquivalent für Armut an klingenden Schätzen.
Und immer in allen wirklichen und sagenhaften Liebesgeschichten
aller Völker findest du auch das Mädchen stark sich in diesem
gesunden Instinkte zu behaupten. Der schöne junge Schweine¬
hirt kriegt die Prinzessin und der Mümmelgreis, der mit der
Goldtruhe kommt, hat das Nachsehen. Aber bei alledem und
gerade deswegen erst recht fragt sich, wo und wie dem Freier,
wie dem Mädel Gelegenheit gegeben werden soll, sich kennen zu
lernen, ehe der Fall vor den Schwiegervater überhaupt kommt.

Hier wird nun wieder eine Linie im Liebesleben des
Naturmenschen klar.

[Abbildung]

Je fester die Ehe sich ausgestaltet, je höher sie steigt, je
mehr sie eine große, grundwichtige Angelegenheit zwischen zwei
Sippen mit bindenden Rechtsdingen wird, -- desto mehr wird
der Verkehr zwischen den jungen, noch unverheirateten
Leuten beiderlei Geschlechts freigegeben
.

minder in der Degeneration ſind und etwa die Polygamie ohne¬
hin das Weib bereits tief unter das Normalmaß erniedrigt hat,
da wirſt du auch beim nackten Wilden ſehen, daß dieſe Frage
geſtellt wird und daß das Veto der Frau gilt. Es iſt klar,
daß dem Mädchen von vornherein der reiche Freier imponiert,
warum nicht, Reichtum iſt im Werkzeug-Sinne des Menſchen,
ja im Grunde nur ein nach außen verlegtes Organ, ein Stück
außen niedergelegtes und alſo auch der Frau zugängliches
Nährblut, ein Stück Nervenkraft auf Reſerve. Aber wenn der
Reichtum erſetzen ſoll, daß der Freier einen Buckel hat, ſo hat
ſich vom nackten Wildenkinde bis zur feinſten Kulturdame
noch in jedem geſunden Mädchen der geſunde Naturſinn
aufgelehnt. Umgekehrt iſt immer wieder ein Plus an Geiſtes-
und Körperliebreiz von den Mädchen aller Jahrtauſende aus¬
geſpielt worden als Äquivalent für Armut an klingenden Schätzen.
Und immer in allen wirklichen und ſagenhaften Liebesgeſchichten
aller Völker findeſt du auch das Mädchen ſtark ſich in dieſem
geſunden Inſtinkte zu behaupten. Der ſchöne junge Schweine¬
hirt kriegt die Prinzeſſin und der Mümmelgreis, der mit der
Goldtruhe kommt, hat das Nachſehen. Aber bei alledem und
gerade deswegen erſt recht fragt ſich, wo und wie dem Freier,
wie dem Mädel Gelegenheit gegeben werden ſoll, ſich kennen zu
lernen, ehe der Fall vor den Schwiegervater überhaupt kommt.

Hier wird nun wieder eine Linie im Liebesleben des
Naturmenſchen klar.

[Abbildung]

Je feſter die Ehe ſich ausgeſtaltet, je höher ſie ſteigt, je
mehr ſie eine große, grundwichtige Angelegenheit zwiſchen zwei
Sippen mit bindenden Rechtsdingen wird, — deſto mehr wird
der Verkehr zwiſchen den jungen, noch unverheirateten
Leuten beiderlei Geſchlechts freigegeben
.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0262" n="248"/>
minder in der Degeneration &#x017F;ind und etwa die Polygamie ohne¬<lb/>
hin das Weib bereits tief unter das Normalmaß erniedrigt hat,<lb/>
da wir&#x017F;t du auch beim nackten Wilden &#x017F;ehen, daß die&#x017F;e Frage<lb/>
ge&#x017F;tellt wird und daß das Veto der Frau gilt. Es i&#x017F;t klar,<lb/>
daß dem Mädchen von vornherein der reiche Freier imponiert,<lb/>
warum nicht, Reichtum i&#x017F;t im Werkzeug-Sinne des Men&#x017F;chen,<lb/>
ja im Grunde nur ein nach außen verlegtes Organ, ein Stück<lb/>
außen niedergelegtes und al&#x017F;o auch der Frau zugängliches<lb/>
Nährblut, ein Stück Nervenkraft auf Re&#x017F;erve. Aber wenn der<lb/>
Reichtum er&#x017F;etzen &#x017F;oll, daß der Freier einen Buckel hat, &#x017F;o hat<lb/>
&#x017F;ich vom nackten Wildenkinde bis zur fein&#x017F;ten Kulturdame<lb/>
noch in jedem ge&#x017F;unden Mädchen der ge&#x017F;unde Natur&#x017F;inn<lb/>
aufgelehnt. Umgekehrt i&#x017F;t immer wieder ein Plus an Gei&#x017F;tes-<lb/>
und Körperliebreiz von den Mädchen aller Jahrtau&#x017F;ende aus¬<lb/>
ge&#x017F;pielt worden als Äquivalent für Armut an klingenden Schätzen.<lb/>
Und immer in allen wirklichen und &#x017F;agenhaften Liebesge&#x017F;chichten<lb/>
aller Völker finde&#x017F;t du auch das Mädchen &#x017F;tark &#x017F;ich in die&#x017F;em<lb/>
ge&#x017F;unden In&#x017F;tinkte zu behaupten. Der &#x017F;chöne junge Schweine¬<lb/>
hirt kriegt die Prinze&#x017F;&#x017F;in und der Mümmelgreis, der mit der<lb/>
Goldtruhe kommt, hat das Nach&#x017F;ehen. Aber bei alledem und<lb/>
gerade deswegen er&#x017F;t recht fragt &#x017F;ich, wo und wie dem Freier,<lb/>
wie dem Mädel Gelegenheit gegeben werden &#x017F;oll, &#x017F;ich kennen zu<lb/>
lernen, ehe der Fall vor den Schwiegervater überhaupt kommt.</p><lb/>
        <p>Hier wird nun wieder eine Linie im Liebesleben des<lb/>
Naturmen&#x017F;chen klar.</p><lb/>
        <figure/>
        <p>Je fe&#x017F;ter die Ehe &#x017F;ich ausge&#x017F;taltet, je höher &#x017F;ie &#x017F;teigt, je<lb/>
mehr &#x017F;ie eine große, grundwichtige Angelegenheit zwi&#x017F;chen zwei<lb/>
Sippen mit bindenden Rechtsdingen wird, &#x2014; de&#x017F;to mehr wird<lb/>
der <hi rendition="#g">Verkehr zwi&#x017F;chen den jungen</hi>, <hi rendition="#g">noch unverheirateten<lb/>
Leuten beiderlei Ge&#x017F;chlechts freigegeben</hi>.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0262] minder in der Degeneration ſind und etwa die Polygamie ohne¬ hin das Weib bereits tief unter das Normalmaß erniedrigt hat, da wirſt du auch beim nackten Wilden ſehen, daß dieſe Frage geſtellt wird und daß das Veto der Frau gilt. Es iſt klar, daß dem Mädchen von vornherein der reiche Freier imponiert, warum nicht, Reichtum iſt im Werkzeug-Sinne des Menſchen, ja im Grunde nur ein nach außen verlegtes Organ, ein Stück außen niedergelegtes und alſo auch der Frau zugängliches Nährblut, ein Stück Nervenkraft auf Reſerve. Aber wenn der Reichtum erſetzen ſoll, daß der Freier einen Buckel hat, ſo hat ſich vom nackten Wildenkinde bis zur feinſten Kulturdame noch in jedem geſunden Mädchen der geſunde Naturſinn aufgelehnt. Umgekehrt iſt immer wieder ein Plus an Geiſtes- und Körperliebreiz von den Mädchen aller Jahrtauſende aus¬ geſpielt worden als Äquivalent für Armut an klingenden Schätzen. Und immer in allen wirklichen und ſagenhaften Liebesgeſchichten aller Völker findeſt du auch das Mädchen ſtark ſich in dieſem geſunden Inſtinkte zu behaupten. Der ſchöne junge Schweine¬ hirt kriegt die Prinzeſſin und der Mümmelgreis, der mit der Goldtruhe kommt, hat das Nachſehen. Aber bei alledem und gerade deswegen erſt recht fragt ſich, wo und wie dem Freier, wie dem Mädel Gelegenheit gegeben werden ſoll, ſich kennen zu lernen, ehe der Fall vor den Schwiegervater überhaupt kommt. Hier wird nun wieder eine Linie im Liebesleben des Naturmenſchen klar. [Abbildung] Je feſter die Ehe ſich ausgeſtaltet, je höher ſie ſteigt, je mehr ſie eine große, grundwichtige Angelegenheit zwiſchen zwei Sippen mit bindenden Rechtsdingen wird, — deſto mehr wird der Verkehr zwiſchen den jungen, noch unverheirateten Leuten beiderlei Geſchlechts freigegeben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/262
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/262>, abgerufen am 25.11.2024.