Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

niemals seine Tochter, thut aber auch nicht mehr, als daß
er spricht: gwatei, hasche, greife sie, alsdann geht die Freierei
und Hochzeit zugleich an. Von der Zeit aber an, da der
Bräutigam in der Wohnung arbeitet und dient, hat er alle¬
zeit das Recht zu probieren, seiner Braut auf den Dienst zu
lauern, ob er sie nicht unversehens überrumpeln könne. Die
Braut hingegen sieht sich allezeit vor, daß sie nicht mit ihm
allein in- oder außerhalb der Wohnung zusammenkomme."

Indessen eines Tages glückt ihm der Sieg doch. Wir
sind in einer naiv-rohen Welt. Die Überrumpelung ist derb
gewaltsam gemeint. Sie muß wenigstens symbolisch bis zu
einer bestimmten Grenze kommen. Gewaltsam muß der Über¬
winder dem Weibe die Kleiderhülle lösen und mit der Hand
die Liebesstätte bezeichnen. Mißlingt ihm das, so wird er zum
Überfluß von den Verwandten jämmerlich verprügelt. "Aber",
setzt Steller hinzu, "war die Braut dem Bräutigam sehr ge¬
wogen, so ergab sie sich bald in seinen Willen, verschanzte sich
nicht so stark und gab ihm selbst Gelegenheit, daß er bald
dazu käme, doch aber mußte allezeit eine Weigerung um der
Ehre und der Ökonomie willen simuliert werden."

[Abbildung]

Nun merke wohl, wie hier ein zweites nebenher völlig
deutlich wird.

So lange man vom "Brautkauf" gehört hat, so lange ist
auch darüber des Schreckens kein Ende gewesen, daß hier ein
Weib einfach wie ein Stück Vieh, über seinen eigenen Wunsch
fort, könne vergeben werden. Und auch auf den Freier fiel ein
seltsames Licht, der so ohne alles Vorspiel kam und, kaum be¬
sehen, schon kaufte. Wo blieb da alle "Liebe", oder, um es
zoologisch zu sagen, wo blieb alle freie Auslese des Besten,

niemals ſeine Tochter, thut aber auch nicht mehr, als daß
er ſpricht: gwatei, haſche, greife ſie, alsdann geht die Freierei
und Hochzeit zugleich an. Von der Zeit aber an, da der
Bräutigam in der Wohnung arbeitet und dient, hat er alle¬
zeit das Recht zu probieren, ſeiner Braut auf den Dienſt zu
lauern, ob er ſie nicht unverſehens überrumpeln könne. Die
Braut hingegen ſieht ſich allezeit vor, daß ſie nicht mit ihm
allein in- oder außerhalb der Wohnung zuſammenkomme.“

Indeſſen eines Tages glückt ihm der Sieg doch. Wir
ſind in einer naiv-rohen Welt. Die Überrumpelung iſt derb
gewaltſam gemeint. Sie muß wenigſtens ſymboliſch bis zu
einer beſtimmten Grenze kommen. Gewaltſam muß der Über¬
winder dem Weibe die Kleiderhülle löſen und mit der Hand
die Liebesſtätte bezeichnen. Mißlingt ihm das, ſo wird er zum
Überfluß von den Verwandten jämmerlich verprügelt. „Aber“,
ſetzt Steller hinzu, „war die Braut dem Bräutigam ſehr ge¬
wogen, ſo ergab ſie ſich bald in ſeinen Willen, verſchanzte ſich
nicht ſo ſtark und gab ihm ſelbſt Gelegenheit, daß er bald
dazu käme, doch aber mußte allezeit eine Weigerung um der
Ehre und der Ökonomie willen ſimuliert werden.“

[Abbildung]

Nun merke wohl, wie hier ein zweites nebenher völlig
deutlich wird.

So lange man vom „Brautkauf“ gehört hat, ſo lange iſt
auch darüber des Schreckens kein Ende geweſen, daß hier ein
Weib einfach wie ein Stück Vieh, über ſeinen eigenen Wunſch
fort, könne vergeben werden. Und auch auf den Freier fiel ein
ſeltſames Licht, der ſo ohne alles Vorſpiel kam und, kaum be¬
ſehen, ſchon kaufte. Wo blieb da alle „Liebe“, oder, um es
zoologiſch zu ſagen, wo blieb alle freie Ausleſe des Beſten,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0260" n="246"/>
niemals &#x017F;eine Tochter, thut aber auch nicht mehr, als daß<lb/>
er &#x017F;pricht: gwatei, ha&#x017F;che, greife &#x017F;ie, alsdann geht die Freierei<lb/>
und Hochzeit zugleich an. Von der Zeit aber an, da der<lb/>
Bräutigam in der Wohnung arbeitet und dient, hat er alle¬<lb/>
zeit das Recht zu probieren, &#x017F;einer Braut auf den Dien&#x017F;t zu<lb/>
lauern, ob er &#x017F;ie nicht unver&#x017F;ehens überrumpeln könne. Die<lb/>
Braut hingegen &#x017F;ieht &#x017F;ich allezeit vor, daß &#x017F;ie nicht mit ihm<lb/>
allein in- oder außerhalb der Wohnung zu&#x017F;ammenkomme.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Inde&#x017F;&#x017F;en eines Tages glückt ihm der Sieg doch. Wir<lb/>
&#x017F;ind in einer naiv-rohen Welt. Die Überrumpelung i&#x017F;t derb<lb/>
gewalt&#x017F;am gemeint. Sie muß wenig&#x017F;tens &#x017F;ymboli&#x017F;ch bis zu<lb/>
einer be&#x017F;timmten Grenze kommen. Gewalt&#x017F;am muß der Über¬<lb/>
winder dem Weibe die Kleiderhülle lö&#x017F;en und mit der Hand<lb/>
die Liebes&#x017F;tätte bezeichnen. Mißlingt ihm das, &#x017F;o wird er zum<lb/>
Überfluß von den Verwandten jämmerlich verprügelt. &#x201E;Aber&#x201C;,<lb/>
&#x017F;etzt Steller hinzu, &#x201E;war die Braut dem Bräutigam &#x017F;ehr ge¬<lb/>
wogen, &#x017F;o ergab &#x017F;ie &#x017F;ich bald in &#x017F;einen Willen, ver&#x017F;chanzte &#x017F;ich<lb/>
nicht &#x017F;o &#x017F;tark und gab ihm &#x017F;elb&#x017F;t Gelegenheit, daß er bald<lb/>
dazu käme, doch aber mußte allezeit eine Weigerung um der<lb/>
Ehre und der Ökonomie willen &#x017F;imuliert werden.&#x201C;</p><lb/>
        <figure/>
        <p>Nun merke wohl, wie hier ein zweites nebenher völlig<lb/>
deutlich wird.</p><lb/>
        <p>So lange man vom &#x201E;Brautkauf&#x201C; gehört hat, &#x017F;o lange i&#x017F;t<lb/>
auch darüber des Schreckens kein Ende gewe&#x017F;en, daß hier ein<lb/>
Weib einfach wie ein Stück Vieh, über &#x017F;einen eigenen Wun&#x017F;ch<lb/>
fort, könne vergeben werden. Und auch auf den Freier fiel ein<lb/>
&#x017F;elt&#x017F;ames Licht, der &#x017F;o ohne alles Vor&#x017F;piel kam und, kaum be¬<lb/>
&#x017F;ehen, &#x017F;chon kaufte. Wo blieb da alle &#x201E;Liebe&#x201C;, oder, um es<lb/>
zoologi&#x017F;ch zu &#x017F;agen, wo blieb alle freie Ausle&#x017F;e des Be&#x017F;ten,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[246/0260] niemals ſeine Tochter, thut aber auch nicht mehr, als daß er ſpricht: gwatei, haſche, greife ſie, alsdann geht die Freierei und Hochzeit zugleich an. Von der Zeit aber an, da der Bräutigam in der Wohnung arbeitet und dient, hat er alle¬ zeit das Recht zu probieren, ſeiner Braut auf den Dienſt zu lauern, ob er ſie nicht unverſehens überrumpeln könne. Die Braut hingegen ſieht ſich allezeit vor, daß ſie nicht mit ihm allein in- oder außerhalb der Wohnung zuſammenkomme.“ Indeſſen eines Tages glückt ihm der Sieg doch. Wir ſind in einer naiv-rohen Welt. Die Überrumpelung iſt derb gewaltſam gemeint. Sie muß wenigſtens ſymboliſch bis zu einer beſtimmten Grenze kommen. Gewaltſam muß der Über¬ winder dem Weibe die Kleiderhülle löſen und mit der Hand die Liebesſtätte bezeichnen. Mißlingt ihm das, ſo wird er zum Überfluß von den Verwandten jämmerlich verprügelt. „Aber“, ſetzt Steller hinzu, „war die Braut dem Bräutigam ſehr ge¬ wogen, ſo ergab ſie ſich bald in ſeinen Willen, verſchanzte ſich nicht ſo ſtark und gab ihm ſelbſt Gelegenheit, daß er bald dazu käme, doch aber mußte allezeit eine Weigerung um der Ehre und der Ökonomie willen ſimuliert werden.“ [Abbildung] Nun merke wohl, wie hier ein zweites nebenher völlig deutlich wird. So lange man vom „Brautkauf“ gehört hat, ſo lange iſt auch darüber des Schreckens kein Ende geweſen, daß hier ein Weib einfach wie ein Stück Vieh, über ſeinen eigenen Wunſch fort, könne vergeben werden. Und auch auf den Freier fiel ein ſeltſames Licht, der ſo ohne alles Vorſpiel kam und, kaum be¬ ſehen, ſchon kaufte. Wo blieb da alle „Liebe“, oder, um es zoologiſch zu ſagen, wo blieb alle freie Ausleſe des Beſten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/260
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/260>, abgerufen am 11.06.2024.