Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

Daß wir aber genaues von ihr wissen, danken wir dem anderen
Umstand, daß bei dieser Expedition ein großer beobachtender
Naturforscher war, -- Steller. Dieser Steller aber hat uns
nicht nur von Seebären und Seekühen und ihrem Leben und
Lieben berichtet. Er hat auch die Sitten der Kamtschadalen
da oben geschildert, der Itelmen oder Itelmänen, der Hyper¬
boreer an der Beringsstraße, in ihrem einförmigen Eskimo¬
dasein auf der Grenze der Polaröde. Auch hier taucht zu¬
nächst das schlichte Bild auf: der Freier, der sich die Braut
beim Schwiegervater abverdienen will.

"Wenn jemand von den Itelmänen heiraten will", hörst
du da, "so kann er auf keine andere Art zu einer Frau kommen,
als er muß sie dem Vater abdienen. Wo er sich nun eine
Jungfer ausgesehen, so geht er hin, spricht nicht ein Wort,
sondern stellt sich, als ob er noch so lange daselbst bekannt gewesen
wäre. Fängt an, alle Hausarbeiten gemeinschaftlich mit vor¬
zunehmen, und sich vor anderen durch Stärke und Leistung an¬
genehmer und schwerer Dienste den Schwiegereltern und seiner
Braut angenehmer zu machen. Ob nun gleich in den ersten
Tagen sowohl die Eltern, als die Braut wahrnimmt, auf wen
es abgesehen, dadurch, daß er sich alle Zeit besonders um die¬
jenige Person macht, mit allerlei Handreichung bemüht, und
sich des Nachts so nahe zu ihr schlafen legt, als er immer
kann, nichtsdestoweniger fragt ihn niemand, bis er nach ein-,
zwei-, drei-, vierjährigen Knechtsdiensten soweit kommt, daß er
nicht allein den Schwiegereltern, sondern auch der Braut ge¬
fällig werde. Gefällt er nicht, so sind alle seine Dienste ver¬
loren und vergebens und er muß sich wieder ohne alle Bezahlung
und Revanche wegpacken. Giebt ihm die letztere Zeichen von
ihrer Gunst, so spricht er den Vater alsdann erst um die
Tochter an und erklärt die Absicht seiner Dienste, oder die
Eltern sagen selbst zu ihm: nun bist du ein fertiger und
fleißiger Mensch, fahre also fort, und sieh zu, wie du deine
Braut bald betrügst und überkommst. Der Vater entsagt ihm

Daß wir aber genaues von ihr wiſſen, danken wir dem anderen
Umſtand, daß bei dieſer Expedition ein großer beobachtender
Naturforſcher war, — Steller. Dieſer Steller aber hat uns
nicht nur von Seebären und Seekühen und ihrem Leben und
Lieben berichtet. Er hat auch die Sitten der Kamtſchadalen
da oben geſchildert, der Itelmen oder Itelmänen, der Hyper¬
boreer an der Beringsſtraße, in ihrem einförmigen Eskimo¬
daſein auf der Grenze der Polaröde. Auch hier taucht zu¬
nächſt das ſchlichte Bild auf: der Freier, der ſich die Braut
beim Schwiegervater abverdienen will.

„Wenn jemand von den Itelmänen heiraten will“, hörſt
du da, „ſo kann er auf keine andere Art zu einer Frau kommen,
als er muß ſie dem Vater abdienen. Wo er ſich nun eine
Jungfer ausgeſehen, ſo geht er hin, ſpricht nicht ein Wort,
ſondern ſtellt ſich, als ob er noch ſo lange daſelbſt bekannt geweſen
wäre. Fängt an, alle Hausarbeiten gemeinſchaftlich mit vor¬
zunehmen, und ſich vor anderen durch Stärke und Leiſtung an¬
genehmer und ſchwerer Dienſte den Schwiegereltern und ſeiner
Braut angenehmer zu machen. Ob nun gleich in den erſten
Tagen ſowohl die Eltern, als die Braut wahrnimmt, auf wen
es abgeſehen, dadurch, daß er ſich alle Zeit beſonders um die¬
jenige Perſon macht, mit allerlei Handreichung bemüht, und
ſich des Nachts ſo nahe zu ihr ſchlafen legt, als er immer
kann, nichtsdeſtoweniger fragt ihn niemand, bis er nach ein-,
zwei-, drei-, vierjährigen Knechtsdienſten ſoweit kommt, daß er
nicht allein den Schwiegereltern, ſondern auch der Braut ge¬
fällig werde. Gefällt er nicht, ſo ſind alle ſeine Dienſte ver¬
loren und vergebens und er muß ſich wieder ohne alle Bezahlung
und Revanche wegpacken. Giebt ihm die letztere Zeichen von
ihrer Gunſt, ſo ſpricht er den Vater alsdann erſt um die
Tochter an und erklärt die Abſicht ſeiner Dienſte, oder die
Eltern ſagen ſelbſt zu ihm: nun biſt du ein fertiger und
fleißiger Menſch, fahre alſo fort, und ſieh zu, wie du deine
Braut bald betrügſt und überkommſt. Der Vater entſagt ihm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0259" n="245"/>
Daß wir aber genaues von ihr wi&#x017F;&#x017F;en, danken wir dem anderen<lb/>
Um&#x017F;tand, daß bei die&#x017F;er Expedition ein großer beobachtender<lb/>
Naturfor&#x017F;cher war, &#x2014; Steller. Die&#x017F;er Steller aber hat uns<lb/>
nicht nur von Seebären und Seekühen und ihrem Leben und<lb/>
Lieben berichtet. Er hat auch die Sitten der Kamt&#x017F;chadalen<lb/>
da oben ge&#x017F;childert, der Itelmen oder Itelmänen, der Hyper¬<lb/>
boreer an der Berings&#x017F;traße, in ihrem einförmigen Eskimo¬<lb/>
da&#x017F;ein auf der Grenze der Polaröde. Auch hier taucht zu¬<lb/>
näch&#x017F;t das &#x017F;chlichte Bild auf: der Freier, der &#x017F;ich die Braut<lb/>
beim Schwiegervater abverdienen will.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wenn jemand von den Itelmänen heiraten will&#x201C;, hör&#x017F;t<lb/>
du da, &#x201E;&#x017F;o kann er auf keine andere Art zu einer Frau kommen,<lb/>
als er muß &#x017F;ie dem Vater abdienen. Wo er &#x017F;ich nun eine<lb/>
Jungfer ausge&#x017F;ehen, &#x017F;o geht er hin, &#x017F;pricht nicht ein Wort,<lb/>
&#x017F;ondern &#x017F;tellt &#x017F;ich, als ob er noch &#x017F;o lange da&#x017F;elb&#x017F;t bekannt gewe&#x017F;en<lb/>
wäre. Fängt an, alle Hausarbeiten gemein&#x017F;chaftlich mit vor¬<lb/>
zunehmen, und &#x017F;ich vor anderen durch Stärke und Lei&#x017F;tung an¬<lb/>
genehmer und &#x017F;chwerer Dien&#x017F;te den Schwiegereltern und &#x017F;einer<lb/>
Braut angenehmer zu machen. Ob nun gleich in den er&#x017F;ten<lb/>
Tagen &#x017F;owohl die Eltern, als die Braut wahrnimmt, auf wen<lb/>
es abge&#x017F;ehen, dadurch, daß er &#x017F;ich alle Zeit be&#x017F;onders um die¬<lb/>
jenige Per&#x017F;on macht, mit allerlei Handreichung bemüht, und<lb/>
&#x017F;ich des Nachts &#x017F;o nahe zu ihr &#x017F;chlafen legt, als er immer<lb/>
kann, nichtsde&#x017F;toweniger fragt ihn niemand, bis er nach ein-,<lb/>
zwei-, drei-, vierjährigen Knechtsdien&#x017F;ten &#x017F;oweit kommt, daß er<lb/>
nicht allein den Schwiegereltern, &#x017F;ondern auch der Braut ge¬<lb/>
fällig werde. Gefällt er nicht, &#x017F;o &#x017F;ind alle &#x017F;eine Dien&#x017F;te ver¬<lb/>
loren und vergebens und er muß &#x017F;ich wieder ohne alle Bezahlung<lb/>
und Revanche wegpacken. Giebt ihm die letztere Zeichen von<lb/>
ihrer Gun&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;pricht er den Vater alsdann er&#x017F;t um die<lb/>
Tochter an und erklärt die Ab&#x017F;icht &#x017F;einer Dien&#x017F;te, oder die<lb/>
Eltern &#x017F;agen &#x017F;elb&#x017F;t zu ihm: nun bi&#x017F;t du ein fertiger und<lb/>
fleißiger Men&#x017F;ch, fahre al&#x017F;o fort, und &#x017F;ieh zu, wie du deine<lb/>
Braut bald betrüg&#x017F;t und überkomm&#x017F;t. Der Vater ent&#x017F;agt ihm<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245/0259] Daß wir aber genaues von ihr wiſſen, danken wir dem anderen Umſtand, daß bei dieſer Expedition ein großer beobachtender Naturforſcher war, — Steller. Dieſer Steller aber hat uns nicht nur von Seebären und Seekühen und ihrem Leben und Lieben berichtet. Er hat auch die Sitten der Kamtſchadalen da oben geſchildert, der Itelmen oder Itelmänen, der Hyper¬ boreer an der Beringsſtraße, in ihrem einförmigen Eskimo¬ daſein auf der Grenze der Polaröde. Auch hier taucht zu¬ nächſt das ſchlichte Bild auf: der Freier, der ſich die Braut beim Schwiegervater abverdienen will. „Wenn jemand von den Itelmänen heiraten will“, hörſt du da, „ſo kann er auf keine andere Art zu einer Frau kommen, als er muß ſie dem Vater abdienen. Wo er ſich nun eine Jungfer ausgeſehen, ſo geht er hin, ſpricht nicht ein Wort, ſondern ſtellt ſich, als ob er noch ſo lange daſelbſt bekannt geweſen wäre. Fängt an, alle Hausarbeiten gemeinſchaftlich mit vor¬ zunehmen, und ſich vor anderen durch Stärke und Leiſtung an¬ genehmer und ſchwerer Dienſte den Schwiegereltern und ſeiner Braut angenehmer zu machen. Ob nun gleich in den erſten Tagen ſowohl die Eltern, als die Braut wahrnimmt, auf wen es abgeſehen, dadurch, daß er ſich alle Zeit beſonders um die¬ jenige Perſon macht, mit allerlei Handreichung bemüht, und ſich des Nachts ſo nahe zu ihr ſchlafen legt, als er immer kann, nichtsdeſtoweniger fragt ihn niemand, bis er nach ein-, zwei-, drei-, vierjährigen Knechtsdienſten ſoweit kommt, daß er nicht allein den Schwiegereltern, ſondern auch der Braut ge¬ fällig werde. Gefällt er nicht, ſo ſind alle ſeine Dienſte ver¬ loren und vergebens und er muß ſich wieder ohne alle Bezahlung und Revanche wegpacken. Giebt ihm die letztere Zeichen von ihrer Gunſt, ſo ſpricht er den Vater alsdann erſt um die Tochter an und erklärt die Abſicht ſeiner Dienſte, oder die Eltern ſagen ſelbſt zu ihm: nun biſt du ein fertiger und fleißiger Menſch, fahre alſo fort, und ſieh zu, wie du deine Braut bald betrügſt und überkommſt. Der Vater entſagt ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/259
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/259>, abgerufen am 22.11.2024.