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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Das waren Amphibien-Experimente. Das Säugetier weiß
davon nichts mehr. Der Beutel des Känguruh, der die Jungen
hegt, sitzt am Mutterbauche, vollends das Kind im Bauche trägt
nur die Mutter. Da aber naht wieder von ganz neuer Ecke
-- der Mensch.

Komm noch einmal zu unseren nackten Bakairis in den
brasilianischen Urwald.

Als echte Indianer, wenn auch von der Südseite, stehen
auch sie einigermaßen noch im Totemismus, wenn schon nicht
mehr scharf. Noch hat jedes Dorf sein Wappentier, das wo¬
möglich in einem lebendigen Exemplar gehalten wird, wie Bern
seine Bären, Rom seine kapitolinischen Wölfe hegt. Mitten
auf solchem Dorfplatz fanden die Reisenden einen Käfig von
mehr als Haushöhe aus langen, wie ein Zelt spitz aufein¬
ander mündenden Stangen. In diesem Zelt saß ein Harpyen¬
adler als Surrogat für den Sperber, nach dem die Kolonie
eigentlich "Sperber-Dorf" hieß. In dieser inselhaft abge¬
schiedenen Welt, wo so viel Menschenaltertümer fortleben in
der Hülle schöner nackter Menschenkörper von heute, da stößt
du nun auf einen Brauch, der vom ersten Tage an den Be¬
obachtern nicht wenig das Zwerchfell gekitzelt hat.

Ein Indianerkindlein ist geboren worden. Du weißt, wie
wenig dieser Aktus durchweg dort der gesunden Mutter aus¬
macht. Die Frau kniet auf den Boden nieder und klammert
sich an einen Pfosten an. So kommt sie nieder. Das eigent¬
liche Lager, die Hängematte, ist zu schade für diese doch nicht
ganz reinliche Geschichte. Nun wird die Nabelschnur durch¬
schnitten, und nicht allzu lange danach ist die Indianerin
wieder wohlauf und geht an ihre Arbeit. Und doch giebt's
in der Hütte ein umständliches Wochenbett.

Der Mann nämlich muß sich in die Hängematte legen,
muß fasten oder doch strengste Diät mit "Wochenbettssüpplein"
halten. Er wird gepflegt wie ein Schwerkranker, gepflegt
unter Umständen von der Frau selbst. Neben ihm liegt das

Das waren Amphibien-Experimente. Das Säugetier weiß
davon nichts mehr. Der Beutel des Känguruh, der die Jungen
hegt, ſitzt am Mutterbauche, vollends das Kind im Bauche trägt
nur die Mutter. Da aber naht wieder von ganz neuer Ecke
— der Menſch.

Komm noch einmal zu unſeren nackten Bakaïris in den
braſilianiſchen Urwald.

Als echte Indianer, wenn auch von der Südſeite, ſtehen
auch ſie einigermaßen noch im Totemismus, wenn ſchon nicht
mehr ſcharf. Noch hat jedes Dorf ſein Wappentier, das wo¬
möglich in einem lebendigen Exemplar gehalten wird, wie Bern
ſeine Bären, Rom ſeine kapitoliniſchen Wölfe hegt. Mitten
auf ſolchem Dorfplatz fanden die Reiſenden einen Käfig von
mehr als Haushöhe aus langen, wie ein Zelt ſpitz aufein¬
ander mündenden Stangen. In dieſem Zelt ſaß ein Harpyen¬
adler als Surrogat für den Sperber, nach dem die Kolonie
eigentlich „Sperber-Dorf“ hieß. In dieſer inſelhaft abge¬
ſchiedenen Welt, wo ſo viel Menſchenaltertümer fortleben in
der Hülle ſchöner nackter Menſchenkörper von heute, da ſtößt
du nun auf einen Brauch, der vom erſten Tage an den Be¬
obachtern nicht wenig das Zwerchfell gekitzelt hat.

Ein Indianerkindlein iſt geboren worden. Du weißt, wie
wenig dieſer Aktus durchweg dort der geſunden Mutter aus¬
macht. Die Frau kniet auf den Boden nieder und klammert
ſich an einen Pfoſten an. So kommt ſie nieder. Das eigent¬
liche Lager, die Hängematte, iſt zu ſchade für dieſe doch nicht
ganz reinliche Geſchichte. Nun wird die Nabelſchnur durch¬
ſchnitten, und nicht allzu lange danach iſt die Indianerin
wieder wohlauf und geht an ihre Arbeit. Und doch giebt's
in der Hütte ein umſtändliches Wochenbett.

Der Mann nämlich muß ſich in die Hängematte legen,
muß faſten oder doch ſtrengſte Diät mit „Wochenbettsſüpplein“
halten. Er wird gepflegt wie ein Schwerkranker, gepflegt
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[234/0248] Das waren Amphibien-Experimente. Das Säugetier weiß davon nichts mehr. Der Beutel des Känguruh, der die Jungen hegt, ſitzt am Mutterbauche, vollends das Kind im Bauche trägt nur die Mutter. Da aber naht wieder von ganz neuer Ecke — der Menſch. Komm noch einmal zu unſeren nackten Bakaïris in den braſilianiſchen Urwald. Als echte Indianer, wenn auch von der Südſeite, ſtehen auch ſie einigermaßen noch im Totemismus, wenn ſchon nicht mehr ſcharf. Noch hat jedes Dorf ſein Wappentier, das wo¬ möglich in einem lebendigen Exemplar gehalten wird, wie Bern ſeine Bären, Rom ſeine kapitoliniſchen Wölfe hegt. Mitten auf ſolchem Dorfplatz fanden die Reiſenden einen Käfig von mehr als Haushöhe aus langen, wie ein Zelt ſpitz aufein¬ ander mündenden Stangen. In dieſem Zelt ſaß ein Harpyen¬ adler als Surrogat für den Sperber, nach dem die Kolonie eigentlich „Sperber-Dorf“ hieß. In dieſer inſelhaft abge¬ ſchiedenen Welt, wo ſo viel Menſchenaltertümer fortleben in der Hülle ſchöner nackter Menſchenkörper von heute, da ſtößt du nun auf einen Brauch, der vom erſten Tage an den Be¬ obachtern nicht wenig das Zwerchfell gekitzelt hat. Ein Indianerkindlein iſt geboren worden. Du weißt, wie wenig dieſer Aktus durchweg dort der geſunden Mutter aus¬ macht. Die Frau kniet auf den Boden nieder und klammert ſich an einen Pfoſten an. So kommt ſie nieder. Das eigent¬ liche Lager, die Hängematte, iſt zu ſchade für dieſe doch nicht ganz reinliche Geſchichte. Nun wird die Nabelſchnur durch¬ ſchnitten, und nicht allzu lange danach iſt die Indianerin wieder wohlauf und geht an ihre Arbeit. Und doch giebt's in der Hütte ein umſtändliches Wochenbett. Der Mann nämlich muß ſich in die Hängematte legen, muß faſten oder doch ſtrengſte Diät mit „Wochenbettsſüpplein“ halten. Er wird gepflegt wie ein Schwerkranker, gepflegt unter Umſtänden von der Frau ſelbſt. Neben ihm liegt das

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/248>, abgerufen am 22.11.2024.