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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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eigenartigen Fall eines lebendig gebärenden Amphibiums fest¬
gestellt. Aber seine Kröte ist in Wahrheit ein Männchen, und
die mysteriöse Trommel ist nichts anderes als der erweiterte,
unter den ganzen Bauch herabgeschwollene Kehlsack, also nach
gewöhnlichem Krötenbrauch der schöne Resonanzboden für die
liebenswürdigen Gesangesleistungen dieser Sumpfnachtigallen.

Mit einiger Mühe wird endlich folgende Historie vom
Nasenvater klargelegt. Wenn die Frau Mutter ihre Eier glück¬
lich abgesetzt hat, so schluckt sie der Vater. Das heißt: er
schluckt sie nicht in den Magen hinein, sondern bloß (um nach
Menschenart das Bild auszudrücken) bis in den Kehlkopf. Hier
kugeln sie hinterwärts in den bewußten Kehlsack, der von der
Last fast zum Bersten schwillt wie ein überstopfter Tornister.
Aber er birst nicht und bald giebt es Leben da drinnen. Im
Ei entstehen Kaulquäppchen und aus diesen (das Wasser ist
hier ganz ausgeschaltet) endlich leibhaftige junge Kröten. Kein
Zweifel, daß das Mitführen dieser angenehmen Menagerie dem
Vater in diesem Falle eine wahre Leidenszeit bedeutet. Da die
Botanisiertrommel mit ihrem Lebensinhalt den Magen über sich
zu einem Minimum zusammenpreßt, ist Diät selbstverständlich:
sie entwickelt sich für eine gewisse Zeit allem Anschein nach zur
vollkommenen Askese -- der Vater hungert um seiner Liebe
willen und magert zum Gerippe ab, trotz der dicken Trommel.
Noch ist nicht beobachtet worden, wie er endlich die Geister, die
er sich durch seinen kühnen Schluck beschworen, wieder los wird,
-- es bleibt wohl kein Ausweg, als daß die Nestlinge, eines
Tages frech geworden, ihm zum Halse wieder herausspringen, --
immerhin keine besonders hübsche Situation. Aber die Natur
hat einmal wieder eine Art gerettet, und das ist die Hauptsache.

[Abbildung]

eigenartigen Fall eines lebendig gebärenden Amphibiums feſt¬
geſtellt. Aber ſeine Kröte iſt in Wahrheit ein Männchen, und
die myſteriöſe Trommel iſt nichts anderes als der erweiterte,
unter den ganzen Bauch herabgeſchwollene Kehlſack, alſo nach
gewöhnlichem Krötenbrauch der ſchöne Reſonanzboden für die
liebenswürdigen Geſangesleiſtungen dieſer Sumpfnachtigallen.

Mit einiger Mühe wird endlich folgende Hiſtorie vom
Naſenvater klargelegt. Wenn die Frau Mutter ihre Eier glück¬
lich abgeſetzt hat, ſo ſchluckt ſie der Vater. Das heißt: er
ſchluckt ſie nicht in den Magen hinein, ſondern bloß (um nach
Menſchenart das Bild auszudrücken) bis in den Kehlkopf. Hier
kugeln ſie hinterwärts in den bewußten Kehlſack, der von der
Laſt faſt zum Berſten ſchwillt wie ein überſtopfter Torniſter.
Aber er birſt nicht und bald giebt es Leben da drinnen. Im
Ei entſtehen Kaulquäppchen und aus dieſen (das Waſſer iſt
hier ganz ausgeſchaltet) endlich leibhaftige junge Kröten. Kein
Zweifel, daß das Mitführen dieſer angenehmen Menagerie dem
Vater in dieſem Falle eine wahre Leidenszeit bedeutet. Da die
Botaniſiertrommel mit ihrem Lebensinhalt den Magen über ſich
zu einem Minimum zuſammenpreßt, iſt Diät ſelbſtverſtändlich:
ſie entwickelt ſich für eine gewiſſe Zeit allem Anſchein nach zur
vollkommenen Askeſe — der Vater hungert um ſeiner Liebe
willen und magert zum Gerippe ab, trotz der dicken Trommel.
Noch iſt nicht beobachtet worden, wie er endlich die Geiſter, die
er ſich durch ſeinen kühnen Schluck beſchworen, wieder los wird,
— es bleibt wohl kein Ausweg, als daß die Neſtlinge, eines
Tages frech geworden, ihm zum Halſe wieder herausſpringen, —
immerhin keine beſonders hübſche Situation. Aber die Natur
hat einmal wieder eine Art gerettet, und das iſt die Hauptſache.

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[233/0247] eigenartigen Fall eines lebendig gebärenden Amphibiums feſt¬ geſtellt. Aber ſeine Kröte iſt in Wahrheit ein Männchen, und die myſteriöſe Trommel iſt nichts anderes als der erweiterte, unter den ganzen Bauch herabgeſchwollene Kehlſack, alſo nach gewöhnlichem Krötenbrauch der ſchöne Reſonanzboden für die liebenswürdigen Geſangesleiſtungen dieſer Sumpfnachtigallen. Mit einiger Mühe wird endlich folgende Hiſtorie vom Naſenvater klargelegt. Wenn die Frau Mutter ihre Eier glück¬ lich abgeſetzt hat, ſo ſchluckt ſie der Vater. Das heißt: er ſchluckt ſie nicht in den Magen hinein, ſondern bloß (um nach Menſchenart das Bild auszudrücken) bis in den Kehlkopf. Hier kugeln ſie hinterwärts in den bewußten Kehlſack, der von der Laſt faſt zum Berſten ſchwillt wie ein überſtopfter Torniſter. Aber er birſt nicht und bald giebt es Leben da drinnen. Im Ei entſtehen Kaulquäppchen und aus dieſen (das Waſſer iſt hier ganz ausgeſchaltet) endlich leibhaftige junge Kröten. Kein Zweifel, daß das Mitführen dieſer angenehmen Menagerie dem Vater in dieſem Falle eine wahre Leidenszeit bedeutet. Da die Botaniſiertrommel mit ihrem Lebensinhalt den Magen über ſich zu einem Minimum zuſammenpreßt, iſt Diät ſelbſtverſtändlich: ſie entwickelt ſich für eine gewiſſe Zeit allem Anſchein nach zur vollkommenen Askeſe — der Vater hungert um ſeiner Liebe willen und magert zum Gerippe ab, trotz der dicken Trommel. Noch iſt nicht beobachtet worden, wie er endlich die Geiſter, die er ſich durch ſeinen kühnen Schluck beſchworen, wieder los wird, — es bleibt wohl kein Ausweg, als daß die Neſtlinge, eines Tages frech geworden, ihm zum Halſe wieder herausſpringen, — immerhin keine beſonders hübſche Situation. Aber die Natur hat einmal wieder eine Art gerettet, und das iſt die Hauptſache. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/247>, abgerufen am 17.05.2024.