Lehren des Arztes Susruta, taucht der Embryo durch den Kraftstoß des Mannessamens wie eine Lotosknospe unmittelbar aus dem Menstrualblut auf. Das kehrt wieder bei Aristoteles und geht von dem in die Weisheit der arabischen Ärzte ein.
Bei Aristoteles ist das weibliche Menstrualblut der "Stoff", der Mannessamen nur der Bewegungsanstoß. Das Verhältnis ist wie bei Milch und Lab: die Milch giebt den Stoff, das Lab den Stoß zum Gerinnen. Im Banne solcher Anschauungen wird die Logik in der Knotenzerhauung bei der Totemfrage durchaus scharf: das Kind galt nur mit der Mutter als wirk¬ lich blutsverwandt und damit gehörte es fraglos in ihr Totem.
Immerhin aber ergab sich dieses "Mutterrecht" nicht an sich notwendig schon aus dem Totemismus und seiner Anti- Inzucht selbst. Für diesen konnte rein sozial auch das um¬ gekehrte Prinzip ebensogut Geltung erlangen: also Übergang der Frau und der Kinder durch die Ehe in das Totem des Ehemanns. Wo trotz aller sozialen Übergliederung die Ehe in möglichst fester Form wirtschaftlich sich behauptete, da war es sogar aus rein praktischen Gründen doch näher liegend, daß die Familie sich dem Beschützer, dem Manne, auch im Blutsinne angliederte, also in sein Totem übertrat wie in seine Ehegewalt. Und so siehst du in der That, wenn auch nicht bei den kon¬ servativen Irokesen, so doch sonst das Mutterrecht sich wieder vielfältig vom Totemismus ablösen, das "Vaterrecht" ersetzt es wie in jener Stelle des Äschylus.
Gerade bei diesem Übergang haben wir aber noch einmal ein schlagendes Beispiel für die Richtigkeit der Annahme, daß das ganze "Mutterrecht" nicht auf einer besonderen sozialen Urstellung der Frau beruhte, sondern lediglich auf einer ein¬ seitig mutterfreundlichen Embryologie.
Diese Embryologie war offenbar noch lange Zeiten hin¬ durch sehr viel zäher als der Dichter mit seinen Götterurteilen erwarten läßt.
Lehren des Arztes Susruta, taucht der Embryo durch den Kraftſtoß des Mannesſamens wie eine Lotosknoſpe unmittelbar aus dem Menſtrualblut auf. Das kehrt wieder bei Ariſtoteles und geht von dem in die Weisheit der arabiſchen Ärzte ein.
Bei Ariſtoteles iſt das weibliche Menſtrualblut der „Stoff“, der Mannesſamen nur der Bewegungsanſtoß. Das Verhältnis iſt wie bei Milch und Lab: die Milch giebt den Stoff, das Lab den Stoß zum Gerinnen. Im Banne ſolcher Anſchauungen wird die Logik in der Knotenzerhauung bei der Totemfrage durchaus ſcharf: das Kind galt nur mit der Mutter als wirk¬ lich blutsverwandt und damit gehörte es fraglos in ihr Totem.
Immerhin aber ergab ſich dieſes „Mutterrecht“ nicht an ſich notwendig ſchon aus dem Totemismus und ſeiner Anti- Inzucht ſelbſt. Für dieſen konnte rein ſozial auch das um¬ gekehrte Prinzip ebenſogut Geltung erlangen: alſo Übergang der Frau und der Kinder durch die Ehe in das Totem des Ehemanns. Wo trotz aller ſozialen Übergliederung die Ehe in möglichſt feſter Form wirtſchaftlich ſich behauptete, da war es ſogar aus rein praktiſchen Gründen doch näher liegend, daß die Familie ſich dem Beſchützer, dem Manne, auch im Blutſinne angliederte, alſo in ſein Totem übertrat wie in ſeine Ehegewalt. Und ſo ſiehſt du in der That, wenn auch nicht bei den kon¬ ſervativen Irokeſen, ſo doch ſonſt das Mutterrecht ſich wieder vielfältig vom Totemismus ablöſen, das „Vaterrecht“ erſetzt es wie in jener Stelle des Äſchylus.
Gerade bei dieſem Übergang haben wir aber noch einmal ein ſchlagendes Beiſpiel für die Richtigkeit der Annahme, daß das ganze „Mutterrecht“ nicht auf einer beſonderen ſozialen Urſtellung der Frau beruhte, ſondern lediglich auf einer ein¬ ſeitig mutterfreundlichen Embryologie.
Dieſe Embryologie war offenbar noch lange Zeiten hin¬ durch ſehr viel zäher als der Dichter mit ſeinen Götterurteilen erwarten läßt.
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Lehren des Arztes Susruta, taucht der Embryo durch den
Kraftſtoß des Mannesſamens wie eine Lotosknoſpe unmittelbar
aus dem Menſtrualblut auf. Das kehrt wieder bei Ariſtoteles
und geht von dem in die Weisheit der arabiſchen Ärzte ein.
Bei Ariſtoteles iſt das weibliche Menſtrualblut der „Stoff“,
der Mannesſamen nur der Bewegungsanſtoß. Das Verhältnis
iſt wie bei Milch und Lab: die Milch giebt den Stoff, das
Lab den Stoß zum Gerinnen. Im Banne ſolcher Anſchauungen
wird die Logik in der Knotenzerhauung bei der Totemfrage
durchaus ſcharf: das Kind galt nur mit der Mutter als wirk¬
lich blutsverwandt und damit gehörte es fraglos in ihr
Totem.
Immerhin aber ergab ſich dieſes „Mutterrecht“ nicht an
ſich notwendig ſchon aus dem Totemismus und ſeiner Anti-
Inzucht ſelbſt. Für dieſen konnte rein ſozial auch das um¬
gekehrte Prinzip ebenſogut Geltung erlangen: alſo Übergang
der Frau und der Kinder durch die Ehe in das Totem des
Ehemanns. Wo trotz aller ſozialen Übergliederung die Ehe
in möglichſt feſter Form wirtſchaftlich ſich behauptete, da war
es ſogar aus rein praktiſchen Gründen doch näher liegend, daß
die Familie ſich dem Beſchützer, dem Manne, auch im Blutſinne
angliederte, alſo in ſein Totem übertrat wie in ſeine Ehegewalt.
Und ſo ſiehſt du in der That, wenn auch nicht bei den kon¬
ſervativen Irokeſen, ſo doch ſonſt das Mutterrecht ſich wieder
vielfältig vom Totemismus ablöſen, das „Vaterrecht“ erſetzt es
wie in jener Stelle des Äſchylus.
Gerade bei dieſem Übergang haben wir aber noch einmal
ein ſchlagendes Beiſpiel für die Richtigkeit der Annahme, daß
das ganze „Mutterrecht“ nicht auf einer beſonderen ſozialen
Urſtellung der Frau beruhte, ſondern lediglich auf einer ein¬
ſeitig mutterfreundlichen Embryologie.
Dieſe Embryologie war offenbar noch lange Zeiten hin¬
durch ſehr viel zäher als der Dichter mit ſeinen Götterurteilen
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/240>, abgerufen am 11.12.2024.
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