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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Naturforschung, ob das Weib, oder ob der Mann überhaupt
Anteil habe.

Die Präformationslehre glaubte alle Keime als mikro¬
skopisch winzige Modelle schon von Gott im ersten Menschen¬
leibe miterschaffen. Aber in wen waren diese Milliarden und
Abermilliarden künftiger Homunkuli nun hineinerschaffen: in
Adams Hoden oder in Evas Eierstöcke? Pflanzte jeder neue
Adamssohn bloß seinen Homunkulus in den Schoß des Weibes
wie ein Pflänzlein in ein warmes Mistbeet, -- oder umgekehrt,
stieß der Adamssohn bei der Evastochter jedesmal nur gleich¬
sam wieder die harte Erdscholle auf und befeuchtete sie, auf
daß der im Weibe ruhende Homunkulus wie ein Pflanzenkeim
im warmen Frühlingsregen sich recke und ausgestalte? Über
diese Fragen ist eine ganze Bibliothek damals zusammen¬
geschrieben worden. Was Wunder, wenn noch früher oder gar
bei ganz unwissenschaftlichen Naturvölkern die Meinungen noch
einseitig-paradoxer liefen.

Der schlichte Verstand, der neun Monate gegen eine
Minute abwägt, muß ja auf die Idee kommen, die Mutter sei
das Entscheidende. Das Blut, so dachte man sich allgemein,
ist das eigentliche Leben. "Blutsverwandt" war das große
Wort. Ihr Blut vermischten zwei noch nachträglich wenigstens
symbolisch, wenn sie Blutbrüderschaft schlossen. Aus der Todes¬
wunde stürzte das rote Blut, -- dann lag der Leichnam starr
und tot: das Blut war das Leben!

Nun denn: der Vater verlor bei der Zeugung kein echtes
rotes Blut. Wenn aber das Kind sich im Geburtsakt winselnd
von der Mutter losrang, dann schoß das köstliche rote Lebens¬
blut in ganzen Strömen mit. Dieses Mutterblut nährte das
Kind, so schien es, in den ganzen neun Monaten vorher.
Hatte das Weib aber kein Kind, so perlte ihm das Blut von
selbst allmonatlich nieder, als rufe es nach Verwertung. War
das Kind gezeugt, der kleine Blutsauger da drinnen, so ver¬
siegte jählings der äußere Quell. Im alten Indien, in den

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Naturforſchung, ob das Weib, oder ob der Mann überhaupt
Anteil habe.

Die Präformationslehre glaubte alle Keime als mikro¬
ſkopiſch winzige Modelle ſchon von Gott im erſten Menſchen¬
leibe miterſchaffen. Aber in wen waren dieſe Milliarden und
Abermilliarden künftiger Homunkuli nun hineinerſchaffen: in
Adams Hoden oder in Evas Eierſtöcke? Pflanzte jeder neue
Adamsſohn bloß ſeinen Homunkulus in den Schoß des Weibes
wie ein Pflänzlein in ein warmes Miſtbeet, — oder umgekehrt,
ſtieß der Adamsſohn bei der Evastochter jedesmal nur gleich¬
ſam wieder die harte Erdſcholle auf und befeuchtete ſie, auf
daß der im Weibe ruhende Homunkulus wie ein Pflanzenkeim
im warmen Frühlingsregen ſich recke und ausgeſtalte? Über
dieſe Fragen iſt eine ganze Bibliothek damals zuſammen¬
geſchrieben worden. Was Wunder, wenn noch früher oder gar
bei ganz unwiſſenſchaftlichen Naturvölkern die Meinungen noch
einſeitig-paradoxer liefen.

Der ſchlichte Verſtand, der neun Monate gegen eine
Minute abwägt, muß ja auf die Idee kommen, die Mutter ſei
das Entſcheidende. Das Blut, ſo dachte man ſich allgemein,
iſt das eigentliche Leben. „Blutsverwandt“ war das große
Wort. Ihr Blut vermiſchten zwei noch nachträglich wenigſtens
ſymboliſch, wenn ſie Blutbrüderſchaft ſchloſſen. Aus der Todes¬
wunde ſtürzte das rote Blut, — dann lag der Leichnam ſtarr
und tot: das Blut war das Leben!

Nun denn: der Vater verlor bei der Zeugung kein echtes
rotes Blut. Wenn aber das Kind ſich im Geburtsakt winſelnd
von der Mutter losrang, dann ſchoß das köſtliche rote Lebens¬
blut in ganzen Strömen mit. Dieſes Mutterblut nährte das
Kind, ſo ſchien es, in den ganzen neun Monaten vorher.
Hatte das Weib aber kein Kind, ſo perlte ihm das Blut von
ſelbſt allmonatlich nieder, als rufe es nach Verwertung. War
das Kind gezeugt, der kleine Blutſauger da drinnen, ſo ver¬
ſiegte jählings der äußere Quell. Im alten Indien, in den

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[225/0239] Naturforſchung, ob das Weib, oder ob der Mann überhaupt Anteil habe. Die Präformationslehre glaubte alle Keime als mikro¬ ſkopiſch winzige Modelle ſchon von Gott im erſten Menſchen¬ leibe miterſchaffen. Aber in wen waren dieſe Milliarden und Abermilliarden künftiger Homunkuli nun hineinerſchaffen: in Adams Hoden oder in Evas Eierſtöcke? Pflanzte jeder neue Adamsſohn bloß ſeinen Homunkulus in den Schoß des Weibes wie ein Pflänzlein in ein warmes Miſtbeet, — oder umgekehrt, ſtieß der Adamsſohn bei der Evastochter jedesmal nur gleich¬ ſam wieder die harte Erdſcholle auf und befeuchtete ſie, auf daß der im Weibe ruhende Homunkulus wie ein Pflanzenkeim im warmen Frühlingsregen ſich recke und ausgeſtalte? Über dieſe Fragen iſt eine ganze Bibliothek damals zuſammen¬ geſchrieben worden. Was Wunder, wenn noch früher oder gar bei ganz unwiſſenſchaftlichen Naturvölkern die Meinungen noch einſeitig-paradoxer liefen. Der ſchlichte Verſtand, der neun Monate gegen eine Minute abwägt, muß ja auf die Idee kommen, die Mutter ſei das Entſcheidende. Das Blut, ſo dachte man ſich allgemein, iſt das eigentliche Leben. „Blutsverwandt“ war das große Wort. Ihr Blut vermiſchten zwei noch nachträglich wenigſtens ſymboliſch, wenn ſie Blutbrüderſchaft ſchloſſen. Aus der Todes¬ wunde ſtürzte das rote Blut, — dann lag der Leichnam ſtarr und tot: das Blut war das Leben! Nun denn: der Vater verlor bei der Zeugung kein echtes rotes Blut. Wenn aber das Kind ſich im Geburtsakt winſelnd von der Mutter losrang, dann ſchoß das köſtliche rote Lebens¬ blut in ganzen Strömen mit. Dieſes Mutterblut nährte das Kind, ſo ſchien es, in den ganzen neun Monaten vorher. Hatte das Weib aber kein Kind, ſo perlte ihm das Blut von ſelbſt allmonatlich nieder, als rufe es nach Verwertung. War das Kind gezeugt, der kleine Blutſauger da drinnen, ſo ver¬ ſiegte jählings der äußere Quell. Im alten Indien, in den 15

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/239>, abgerufen am 11.12.2024.