Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.alten Sage gestaltet, noch der Kampf hinein zwischen "Vater¬ Klytemnästra, des Agamemnon untreue Gattin, hat Mit¬ Die Erinnyen sagen Nein! Sie verfolgen den Orestes wegen eines furchtbaren Über¬ Wir heute würden ganz anders urteilen. Uns ständen Hochinteressant aber ist nun wieder, daß sie selber in der Willst du das Mutterrecht in seinen letzten Kulturschlupf¬ alten Sage geſtaltet, noch der Kampf hinein zwiſchen „Vater¬ Klytemnäſtra, des Agamemnon untreue Gattin, hat Mit¬ Die Erinnyen ſagen Nein! Sie verfolgen den Oreſtes wegen eines furchtbaren Über¬ Wir heute würden ganz anders urteilen. Uns ſtänden Hochintereſſant aber iſt nun wieder, daß ſie ſelber in der Willſt du das Mutterrecht in ſeinen letzten Kulturſchlupf¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0236" n="222"/> alten Sage geſtaltet, noch der Kampf hinein zwiſchen „Vater¬<lb/> recht“ und „Mutterrecht“: in die Tragödie des Oreſtes in<lb/> Äſchylus „Eumeniden“.</p><lb/> <p>Klytemnäſtra, des Agamemnon untreue Gattin, hat Mit¬<lb/> ſchuld am Morde ihres Gatten. Oreſtes aber, der Sohn der<lb/> beiden, hat die eigene Mutter erſchlagen, um den Vater zu<lb/> rächen. Iſt das „Auge um Auge“ im Sinne alter Gerechtigkeit?</p><lb/> <p>Die Erinnyen ſagen Nein!</p><lb/> <p>Sie verfolgen den Oreſtes wegen eines furchtbaren Über¬<lb/> ſchuſſes in ſeinem Muttermord. Die Frau war dem Manne<lb/> nicht ſtammverwandt, trotz der Ehe. Der Sohn aber ſteht zur<lb/> Mutter im Verhältnis der abſoluten Blutsverwandtſchaft. Sein<lb/> Mord war alſo unendlich mehr als jener: er ſchnitt ins eigene Blut.</p><lb/> <p>Wir heute würden ganz anders urteilen. Uns ſtänden<lb/> Vater und Mutter zum Sohne völlig gleich. Die Erinnyen<lb/> des Dramas aber urteilen vom Standpunkt des Totemismus<lb/> mit Mutterrecht!</p><lb/> <p>Hochintereſſant aber iſt nun wieder, daß ſie ſelber in der<lb/> Dichtung des Äſchylus <hi rendition="#g">nicht</hi> Recht behalten. Apollo und Athene<lb/> legen ſich ins Mittel zu Gunſten des Oreſtes. Die Mutter<lb/> ſei keineswegs mehr als der Vater! Und der Schluß iſt, daß<lb/> Oreſtes wirklich entſühnt wird: das „Vaterrecht“ ſiegt. Es<lb/> iſt die neue Zeit, die Kultur, der Fortſchritt im großem Völker¬<lb/> märchen ſelber, die ihren Stimmſtein in die Wage werfen.</p><lb/> <p>Willſt du das Mutterrecht in ſeinen letzten Kulturſchlupf¬<lb/> winkel noch bei uns heute verfolgen, ſo findeſt du es noch<lb/> in dem konventionellen Bilde oder Zerrbilde der „Schwieger¬<lb/> mutter“, die den Mann als Eindringling in ihre Familie auf¬<lb/> faßt und ſich auch in die Ehe der Tochter hinein ein engeres<lb/> Verhältnis zu dieſer Tochter und ihren Kindern anmaßen<lb/> möchte, als der Ehemann ſelber beſitzen ſoll. Es iſt die äußerſte,<lb/> kleine, ſchwache, mehr gluckſende, als donnernde Welle des<lb/> Totemismus mit Mutterrecht, die hier an unſeren ſonſt überall<lb/> veränderten Kulturſtrand brandet.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [222/0236]
alten Sage geſtaltet, noch der Kampf hinein zwiſchen „Vater¬
recht“ und „Mutterrecht“: in die Tragödie des Oreſtes in
Äſchylus „Eumeniden“.
Klytemnäſtra, des Agamemnon untreue Gattin, hat Mit¬
ſchuld am Morde ihres Gatten. Oreſtes aber, der Sohn der
beiden, hat die eigene Mutter erſchlagen, um den Vater zu
rächen. Iſt das „Auge um Auge“ im Sinne alter Gerechtigkeit?
Die Erinnyen ſagen Nein!
Sie verfolgen den Oreſtes wegen eines furchtbaren Über¬
ſchuſſes in ſeinem Muttermord. Die Frau war dem Manne
nicht ſtammverwandt, trotz der Ehe. Der Sohn aber ſteht zur
Mutter im Verhältnis der abſoluten Blutsverwandtſchaft. Sein
Mord war alſo unendlich mehr als jener: er ſchnitt ins eigene Blut.
Wir heute würden ganz anders urteilen. Uns ſtänden
Vater und Mutter zum Sohne völlig gleich. Die Erinnyen
des Dramas aber urteilen vom Standpunkt des Totemismus
mit Mutterrecht!
Hochintereſſant aber iſt nun wieder, daß ſie ſelber in der
Dichtung des Äſchylus nicht Recht behalten. Apollo und Athene
legen ſich ins Mittel zu Gunſten des Oreſtes. Die Mutter
ſei keineswegs mehr als der Vater! Und der Schluß iſt, daß
Oreſtes wirklich entſühnt wird: das „Vaterrecht“ ſiegt. Es
iſt die neue Zeit, die Kultur, der Fortſchritt im großem Völker¬
märchen ſelber, die ihren Stimmſtein in die Wage werfen.
Willſt du das Mutterrecht in ſeinen letzten Kulturſchlupf¬
winkel noch bei uns heute verfolgen, ſo findeſt du es noch
in dem konventionellen Bilde oder Zerrbilde der „Schwieger¬
mutter“, die den Mann als Eindringling in ihre Familie auf¬
faßt und ſich auch in die Ehe der Tochter hinein ein engeres
Verhältnis zu dieſer Tochter und ihren Kindern anmaßen
möchte, als der Ehemann ſelber beſitzen ſoll. Es iſt die äußerſte,
kleine, ſchwache, mehr gluckſende, als donnernde Welle des
Totemismus mit Mutterrecht, die hier an unſeren ſonſt überall
veränderten Kulturſtrand brandet.
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