Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

tum, wie Germanentum. Eine uns noch sehr geläufige ist
der schottische Clan. Totemistische Reminiscenzen stecken ferner
in unseren heute noch kulturfähigen, fast hätte ich gesagt, noch
lebendigen Wappentieren. Sie stecken in unseren deutschen Per¬
sonennamen wie Wolfgang (Wolf), Bernhard (Bär). Sie liegen
zur Mumie und Religion erstarrt in den heiligen Tieren, den
Katzen, Sperbern, Nilpferden und Krokodilen, der alten Ägypter.
Mit dem Totembegriff wandert aber auch der des "Mutter¬
rechts" um die Menschenerde und durch die Menschenzeit.

An der afrikanischen Goldküste gehört das Kind von Ge¬
burt an dem Stande der Mutter an: ist sie frei, so ist es
frei, -- ist sie Sklavin, so ist es Sklave von Geburt. Klasse
und Namen erben beim Australneger, beim Bewohner der
Fidschi-Inseln, beim Maori auf Neu Seeland von der Mutter,
nicht vom Vater auf das Kind. Bei den Dajaks auf Borneo
wie bei den Bororo-Indianern Central-Brasiliens zieht der
junge Ehemann geradezu in das Haus der Schwiegereltern,
tritt also selber in die Familie der Mutter ein. Hoch im
Norden geht's ähnlich wie am Äquator: auch bei den Itel¬
mänen in Kamtschatka gehören Mann wie Kinder zum Totem
der Frau.

Bei unseren zusammenhängenden Kulturvölkern war etwa
in der Zeit, da Strabo (sagen wir rund um Christi Geburt)
seine schöne Geographie schrieb, eines der feinsinnigsten Werke
der späteren Antike, solches Recht allerdings schon durchweg
anstößig, ja undenkbar geworden. Herodot aber weiß noch
von den alten Lyciern, daß sie das Kind nach der Mutter ge¬
nannt und im Stande eingeschätzt hätten, -- es erschien ihm
wie eine tolle Arabeske närrischen Barbarentums. Thatsäch¬
lich muß auch im Griechentum selber die Sitte lange Zeit die
herrschende gewesen sein und sich erst allmählich zu Gunsten des
Vaters umgestaltet haben.

Denn geheimnisvoll tönt in die tiefste Tragödie des
hellenischen Geistes, wie sie des Äschylus Dichterkraft aus der

tum, wie Germanentum. Eine uns noch ſehr geläufige iſt
der ſchottiſche Clan. Totemiſtiſche Reminiscenzen ſtecken ferner
in unſeren heute noch kulturfähigen, faſt hätte ich geſagt, noch
lebendigen Wappentieren. Sie ſtecken in unſeren deutſchen Per¬
ſonennamen wie Wolfgang (Wolf), Bernhard (Bär). Sie liegen
zur Mumie und Religion erſtarrt in den heiligen Tieren, den
Katzen, Sperbern, Nilpferden und Krokodilen, der alten Ägypter.
Mit dem Totembegriff wandert aber auch der des „Mutter¬
rechts“ um die Menſchenerde und durch die Menſchenzeit.

An der afrikaniſchen Goldküſte gehört das Kind von Ge¬
burt an dem Stande der Mutter an: iſt ſie frei, ſo iſt es
frei, — iſt ſie Sklavin, ſo iſt es Sklave von Geburt. Klaſſe
und Namen erben beim Auſtralneger, beim Bewohner der
Fidſchi-Inſeln, beim Maori auf Neu Seeland von der Mutter,
nicht vom Vater auf das Kind. Bei den Dajaks auf Borneo
wie bei den Bororo-Indianern Central-Braſiliens zieht der
junge Ehemann geradezu in das Haus der Schwiegereltern,
tritt alſo ſelber in die Familie der Mutter ein. Hoch im
Norden geht's ähnlich wie am Äquator: auch bei den Itel¬
mänen in Kamtſchatka gehören Mann wie Kinder zum Totem
der Frau.

Bei unſeren zuſammenhängenden Kulturvölkern war etwa
in der Zeit, da Strabo (ſagen wir rund um Chriſti Geburt)
ſeine ſchöne Geographie ſchrieb, eines der feinſinnigſten Werke
der ſpäteren Antike, ſolches Recht allerdings ſchon durchweg
anſtößig, ja undenkbar geworden. Herodot aber weiß noch
von den alten Lyciern, daß ſie das Kind nach der Mutter ge¬
nannt und im Stande eingeſchätzt hätten, — es erſchien ihm
wie eine tolle Arabeske närriſchen Barbarentums. Thatſäch¬
lich muß auch im Griechentum ſelber die Sitte lange Zeit die
herrſchende geweſen ſein und ſich erſt allmählich zu Gunſten des
Vaters umgeſtaltet haben.

Denn geheimnisvoll tönt in die tiefſte Tragödie des
helleniſchen Geiſtes, wie ſie des Äſchylus Dichterkraft aus der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0235" n="221"/>
tum, wie Germanentum. Eine uns noch &#x017F;ehr geläufige i&#x017F;t<lb/>
der &#x017F;chotti&#x017F;che Clan. Totemi&#x017F;ti&#x017F;che Reminiscenzen &#x017F;tecken ferner<lb/>
in un&#x017F;eren heute noch kulturfähigen, fa&#x017F;t hätte ich ge&#x017F;agt, noch<lb/>
lebendigen Wappentieren. Sie &#x017F;tecken in un&#x017F;eren deut&#x017F;chen Per¬<lb/>
&#x017F;onennamen wie Wolfgang (Wolf), Bernhard (Bär). Sie liegen<lb/>
zur Mumie und Religion er&#x017F;tarrt in den heiligen Tieren, den<lb/>
Katzen, Sperbern, Nilpferden und Krokodilen, der alten Ägypter.<lb/>
Mit dem Totembegriff wandert aber auch der des &#x201E;Mutter¬<lb/>
rechts&#x201C; um die Men&#x017F;chenerde und durch die Men&#x017F;chenzeit.</p><lb/>
        <p>An der afrikani&#x017F;chen Goldkü&#x017F;te gehört das Kind von Ge¬<lb/>
burt an dem Stande der Mutter an: i&#x017F;t &#x017F;ie frei, &#x017F;o i&#x017F;t es<lb/>
frei, &#x2014; i&#x017F;t &#x017F;ie Sklavin, &#x017F;o i&#x017F;t es Sklave von Geburt. Kla&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und Namen erben beim Au&#x017F;tralneger, beim Bewohner der<lb/>
Fid&#x017F;chi-In&#x017F;eln, beim Maori auf Neu Seeland von der Mutter,<lb/>
nicht vom Vater auf das Kind. Bei den Dajaks auf Borneo<lb/>
wie bei den Bororo-Indianern Central-Bra&#x017F;iliens zieht der<lb/>
junge Ehemann geradezu in das Haus der Schwiegereltern,<lb/>
tritt al&#x017F;o &#x017F;elber in die Familie der Mutter ein. Hoch im<lb/>
Norden geht's ähnlich wie am Äquator: auch bei den Itel¬<lb/>
mänen in Kamt&#x017F;chatka gehören Mann wie Kinder zum Totem<lb/>
der Frau.</p><lb/>
        <p>Bei un&#x017F;eren zu&#x017F;ammenhängenden Kulturvölkern war etwa<lb/>
in der Zeit, da Strabo (&#x017F;agen wir rund um Chri&#x017F;ti Geburt)<lb/>
&#x017F;eine &#x017F;chöne Geographie &#x017F;chrieb, eines der fein&#x017F;innig&#x017F;ten Werke<lb/>
der &#x017F;päteren Antike, &#x017F;olches Recht allerdings &#x017F;chon durchweg<lb/>
an&#x017F;tößig, ja undenkbar geworden. Herodot aber weiß noch<lb/>
von den alten Lyciern, daß &#x017F;ie das Kind nach der Mutter ge¬<lb/>
nannt und im Stande einge&#x017F;chätzt hätten, &#x2014; es er&#x017F;chien ihm<lb/>
wie eine tolle Arabeske närri&#x017F;chen Barbarentums. That&#x017F;äch¬<lb/>
lich muß auch im Griechentum &#x017F;elber die Sitte lange Zeit die<lb/>
herr&#x017F;chende gewe&#x017F;en &#x017F;ein und &#x017F;ich er&#x017F;t allmählich zu Gun&#x017F;ten des<lb/>
Vaters umge&#x017F;taltet haben.</p><lb/>
        <p>Denn geheimnisvoll tönt in die tief&#x017F;te Tragödie des<lb/>
helleni&#x017F;chen Gei&#x017F;tes, wie &#x017F;ie des Ä&#x017F;chylus Dichterkraft aus der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0235] tum, wie Germanentum. Eine uns noch ſehr geläufige iſt der ſchottiſche Clan. Totemiſtiſche Reminiscenzen ſtecken ferner in unſeren heute noch kulturfähigen, faſt hätte ich geſagt, noch lebendigen Wappentieren. Sie ſtecken in unſeren deutſchen Per¬ ſonennamen wie Wolfgang (Wolf), Bernhard (Bär). Sie liegen zur Mumie und Religion erſtarrt in den heiligen Tieren, den Katzen, Sperbern, Nilpferden und Krokodilen, der alten Ägypter. Mit dem Totembegriff wandert aber auch der des „Mutter¬ rechts“ um die Menſchenerde und durch die Menſchenzeit. An der afrikaniſchen Goldküſte gehört das Kind von Ge¬ burt an dem Stande der Mutter an: iſt ſie frei, ſo iſt es frei, — iſt ſie Sklavin, ſo iſt es Sklave von Geburt. Klaſſe und Namen erben beim Auſtralneger, beim Bewohner der Fidſchi-Inſeln, beim Maori auf Neu Seeland von der Mutter, nicht vom Vater auf das Kind. Bei den Dajaks auf Borneo wie bei den Bororo-Indianern Central-Braſiliens zieht der junge Ehemann geradezu in das Haus der Schwiegereltern, tritt alſo ſelber in die Familie der Mutter ein. Hoch im Norden geht's ähnlich wie am Äquator: auch bei den Itel¬ mänen in Kamtſchatka gehören Mann wie Kinder zum Totem der Frau. Bei unſeren zuſammenhängenden Kulturvölkern war etwa in der Zeit, da Strabo (ſagen wir rund um Chriſti Geburt) ſeine ſchöne Geographie ſchrieb, eines der feinſinnigſten Werke der ſpäteren Antike, ſolches Recht allerdings ſchon durchweg anſtößig, ja undenkbar geworden. Herodot aber weiß noch von den alten Lyciern, daß ſie das Kind nach der Mutter ge¬ nannt und im Stande eingeſchätzt hätten, — es erſchien ihm wie eine tolle Arabeske närriſchen Barbarentums. Thatſäch¬ lich muß auch im Griechentum ſelber die Sitte lange Zeit die herrſchende geweſen ſein und ſich erſt allmählich zu Gunſten des Vaters umgeſtaltet haben. Denn geheimnisvoll tönt in die tiefſte Tragödie des helleniſchen Geiſtes, wie ſie des Äſchylus Dichterkraft aus der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/235
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/235>, abgerufen am 17.05.2024.