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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Bei den Vikunjas, einer anderen Lama-Art, erobert das
Männchen sich in der Brunstzeit sein Rudel, bleibt aber dann
treuer und umsichtiger Leiter auch über diese Zeit hinaus:
polygamische Ehe und Weibergenossenschaft mit einem männlichen
Leittier ist hier und in vielen ähnlichen Fällen überhaupt nicht
mehr klar auseinander zu halten.

Als Schlußbild mag der Affe gelten. Brehm soll hier
reden, weil jede Umschreibung die Kraft der prachtvollen Stelle
schwächte. "Das stärkste und älteste, also befähigste männliche
Mitglied der Herde schwingt sich zum Zugführer oder Leitaffen
auf. Diese Würde wird ihm nicht durch das allgemeine
Stimmrecht übertragen, sondern erst nach sehr hartnäckigem
Kampfe und Streite mit anderen Bewerbern, d. h. mit sämtlichen
übrigen alten Männchen, zuerteilt. Die längsten Zähne und
die stärksten Arme entscheiden. Wer sich nicht gutwillig unter¬
ordnen will, wird durch Bisse und Püffe gemaßregelt, bis er
Vernunft annimmt. Dem Starken gebührt die Krone: in
seinen Zähnen liegt Weisheit. Der Leitaffe verlangt und ge¬
nießt unbedingten Gehorsam und zwar in jeder Hinsicht.
Ritterliche Artigkeit gegen das schwächere Geschlecht übt er
nicht: im Sturme erringt er der Minne Sold. Das jus
primae noctis
gilt ihm heute noch. Er wird Stammvater
eines Volkes, und sein Geschlecht mehrt sich gleich dem Abra¬
hams, Isaaks und Jakobs wie der Sand am Meere. Kein
weibliches Glied der Bande darf sich einer albernen Liebschaft
mit irgend welchem Grünschnabel hingeben. Seine Augen
sind scharf, und seine Zucht ist streng; er versteht in Liebes¬
sachen keinen Spaß. Auch die Äffinnen, welche sich oder besser
ihn vergessen sollten, werden gemaulschellt und zerzaust, daß
ihnen der Umgang mit anderen Helden der Bande gewiß ver¬
leidet wird; der betreffende Affenjüngling, welcher die Harems¬
gesetze des auf sein Recht stolzen Sultans verletzt, kommt noch
schlimmer weg. Die Eifersucht macht diesen furchtbar. Es ist
auch thöricht von einer Äffin, solche Eifersucht heraufzubeschwören;

Bei den Vikunjas, einer anderen Lama-Art, erobert das
Männchen ſich in der Brunſtzeit ſein Rudel, bleibt aber dann
treuer und umſichtiger Leiter auch über dieſe Zeit hinaus:
polygamiſche Ehe und Weibergenoſſenſchaft mit einem männlichen
Leittier iſt hier und in vielen ähnlichen Fällen überhaupt nicht
mehr klar auseinander zu halten.

Als Schlußbild mag der Affe gelten. Brehm ſoll hier
reden, weil jede Umſchreibung die Kraft der prachtvollen Stelle
ſchwächte. „Das ſtärkſte und älteſte, alſo befähigſte männliche
Mitglied der Herde ſchwingt ſich zum Zugführer oder Leitaffen
auf. Dieſe Würde wird ihm nicht durch das allgemeine
Stimmrecht übertragen, ſondern erſt nach ſehr hartnäckigem
Kampfe und Streite mit anderen Bewerbern, d. h. mit ſämtlichen
übrigen alten Männchen, zuerteilt. Die längſten Zähne und
die ſtärkſten Arme entſcheiden. Wer ſich nicht gutwillig unter¬
ordnen will, wird durch Biſſe und Püffe gemaßregelt, bis er
Vernunft annimmt. Dem Starken gebührt die Krone: in
ſeinen Zähnen liegt Weisheit. Der Leitaffe verlangt und ge¬
nießt unbedingten Gehorſam und zwar in jeder Hinſicht.
Ritterliche Artigkeit gegen das ſchwächere Geſchlecht übt er
nicht: im Sturme erringt er der Minne Sold. Das jus
primae noctis
gilt ihm heute noch. Er wird Stammvater
eines Volkes, und ſein Geſchlecht mehrt ſich gleich dem Abra¬
hams, Iſaaks und Jakobs wie der Sand am Meere. Kein
weibliches Glied der Bande darf ſich einer albernen Liebſchaft
mit irgend welchem Grünſchnabel hingeben. Seine Augen
ſind ſcharf, und ſeine Zucht iſt ſtreng; er verſteht in Liebes¬
ſachen keinen Spaß. Auch die Äffinnen, welche ſich oder beſſer
ihn vergeſſen ſollten, werden gemaulſchellt und zerzauſt, daß
ihnen der Umgang mit anderen Helden der Bande gewiß ver¬
leidet wird; der betreffende Affenjüngling, welcher die Harems¬
geſetze des auf ſein Recht ſtolzen Sultans verletzt, kommt noch
ſchlimmer weg. Die Eiferſucht macht dieſen furchtbar. Es iſt
auch thöricht von einer Äffin, ſolche Eiferſucht heraufzubeſchwören;

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[196/0210] Bei den Vikunjas, einer anderen Lama-Art, erobert das Männchen ſich in der Brunſtzeit ſein Rudel, bleibt aber dann treuer und umſichtiger Leiter auch über dieſe Zeit hinaus: polygamiſche Ehe und Weibergenoſſenſchaft mit einem männlichen Leittier iſt hier und in vielen ähnlichen Fällen überhaupt nicht mehr klar auseinander zu halten. Als Schlußbild mag der Affe gelten. Brehm ſoll hier reden, weil jede Umſchreibung die Kraft der prachtvollen Stelle ſchwächte. „Das ſtärkſte und älteſte, alſo befähigſte männliche Mitglied der Herde ſchwingt ſich zum Zugführer oder Leitaffen auf. Dieſe Würde wird ihm nicht durch das allgemeine Stimmrecht übertragen, ſondern erſt nach ſehr hartnäckigem Kampfe und Streite mit anderen Bewerbern, d. h. mit ſämtlichen übrigen alten Männchen, zuerteilt. Die längſten Zähne und die ſtärkſten Arme entſcheiden. Wer ſich nicht gutwillig unter¬ ordnen will, wird durch Biſſe und Püffe gemaßregelt, bis er Vernunft annimmt. Dem Starken gebührt die Krone: in ſeinen Zähnen liegt Weisheit. Der Leitaffe verlangt und ge¬ nießt unbedingten Gehorſam und zwar in jeder Hinſicht. Ritterliche Artigkeit gegen das ſchwächere Geſchlecht übt er nicht: im Sturme erringt er der Minne Sold. Das jus primae noctis gilt ihm heute noch. Er wird Stammvater eines Volkes, und ſein Geſchlecht mehrt ſich gleich dem Abra¬ hams, Iſaaks und Jakobs wie der Sand am Meere. Kein weibliches Glied der Bande darf ſich einer albernen Liebſchaft mit irgend welchem Grünſchnabel hingeben. Seine Augen ſind ſcharf, und ſeine Zucht iſt ſtreng; er verſteht in Liebes¬ ſachen keinen Spaß. Auch die Äffinnen, welche ſich oder beſſer ihn vergeſſen ſollten, werden gemaulſchellt und zerzauſt, daß ihnen der Umgang mit anderen Helden der Bande gewiß ver¬ leidet wird; der betreffende Affenjüngling, welcher die Harems¬ geſetze des auf ſein Recht ſtolzen Sultans verletzt, kommt noch ſchlimmer weg. Die Eiferſucht macht dieſen furchtbar. Es iſt auch thöricht von einer Äffin, ſolche Eiferſucht heraufzubeſchwören;

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/210>, abgerufen am 28.11.2024.