stößt. Die paar Männer teilen sich in die Weiber, jeder be¬ kommt so viele, wie ihn mögen und er verteidigen kann.
Die denkbar sicherste Linie hierher aber muß jener Brauch ergeben, wo ein starker Mann schon in der Nichtbrunstzeit einen Weibertrupp anführt. Hier ist gar keine Unterbrechung nötig: der männliche Führer, der in die Brunst kommt, macht einfach die Weiberschar, die sich zu ihm gefunden hat, zu seiner Kollektivfrau.
Die polygamische Ehe ist hier überall ein Produkt der außerehelichen Sozialgliederung, -- am schärfsten im letzten Falle, wo sie einfach mit dieser verschwimmt. In der Polygamie siehst du hier zum erstenmal den Einfluß der Sozialverbände jenseits der Ehe in diese Ehe hinein.
Und auch diesen Weg kannst du noch mit den sinnfälligsten Beispielen belegen, ja sie sind weitaus reichlicher als die ein¬ fachen Bisonfälle. Unsere Seebären waren ja schon ein poly¬ gamisches Exempel. Die meisten Wiederkäuergeschichten aber laufen auf die gleiche Melodie.
Wenn die Brunst sie packt, so erscheinen die einsiedlerischen Gemsböcke plötzlich bei den Trupps der Geisen. Um den Be¬ sitz eines solchen Trupps, nicht einer Einzelgeis, geht der Wunsch des Bockes und geht, wenn zwei Böcke sich vor dem gleichen Trupp begegnen, der erbitterte Kampf. Der Sieger zieht mit dem ganzen Trupp ab.
Bei den Mufflons zerfällt mit der Brunst die große, doppelgeschlechtige Schar in so viel kleinere Trupps, als er¬ wachsene Widder da sind; jeder reserviert sich sein Teil Schafe, wobei der bisherige Leitwidder der ganzen Genossenschaft jedenfalls den Löwenanteil sich erzwingt.
Bei den Guanakos (Lamas) sorgt der Leithengst immer dafür, daß die jung anwachsenden männlichen Tiere in seiner Herde verjagt werden, sobald sie mannbar werden, -- ein deut¬ licher Beweis, daß er die Weiberschar, die er leitet, nicht bloß sozial, sondern ehelich, mit der Eifersucht des Ehemanns, auffaßt.
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ſtößt. Die paar Männer teilen ſich in die Weiber, jeder be¬ kommt ſo viele, wie ihn mögen und er verteidigen kann.
Die denkbar ſicherſte Linie hierher aber muß jener Brauch ergeben, wo ein ſtarker Mann ſchon in der Nichtbrunſtzeit einen Weibertrupp anführt. Hier iſt gar keine Unterbrechung nötig: der männliche Führer, der in die Brunſt kommt, macht einfach die Weiberſchar, die ſich zu ihm gefunden hat, zu ſeiner Kollektivfrau.
Die polygamiſche Ehe iſt hier überall ein Produkt der außerehelichen Sozialgliederung, — am ſchärfſten im letzten Falle, wo ſie einfach mit dieſer verſchwimmt. In der Polygamie ſiehſt du hier zum erſtenmal den Einfluß der Sozialverbände jenſeits der Ehe in dieſe Ehe hinein.
Und auch dieſen Weg kannſt du noch mit den ſinnfälligſten Beiſpielen belegen, ja ſie ſind weitaus reichlicher als die ein¬ fachen Biſonfälle. Unſere Seebären waren ja ſchon ein poly¬ gamiſches Exempel. Die meiſten Wiederkäuergeſchichten aber laufen auf die gleiche Melodie.
Wenn die Brunſt ſie packt, ſo erſcheinen die einſiedleriſchen Gemsböcke plötzlich bei den Trupps der Geiſen. Um den Be¬ ſitz eines ſolchen Trupps, nicht einer Einzelgeis, geht der Wunſch des Bockes und geht, wenn zwei Böcke ſich vor dem gleichen Trupp begegnen, der erbitterte Kampf. Der Sieger zieht mit dem ganzen Trupp ab.
Bei den Mufflons zerfällt mit der Brunſt die große, doppelgeſchlechtige Schar in ſo viel kleinere Trupps, als er¬ wachſene Widder da ſind; jeder reſerviert ſich ſein Teil Schafe, wobei der bisherige Leitwidder der ganzen Genoſſenſchaft jedenfalls den Löwenanteil ſich erzwingt.
Bei den Guanakos (Lamas) ſorgt der Leithengſt immer dafür, daß die jung anwachſenden männlichen Tiere in ſeiner Herde verjagt werden, ſobald ſie mannbar werden, — ein deut¬ licher Beweis, daß er die Weiberſchar, die er leitet, nicht bloß ſozial, ſondern ehelich, mit der Eiferſucht des Ehemanns, auffaßt.
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ſtößt. Die paar Männer teilen ſich in die Weiber, jeder be¬
kommt ſo viele, wie ihn mögen und er verteidigen kann.
Die denkbar ſicherſte Linie hierher aber muß jener Brauch
ergeben, wo ein ſtarker Mann ſchon in der Nichtbrunſtzeit
einen Weibertrupp anführt. Hier iſt gar keine Unterbrechung
nötig: der männliche Führer, der in die Brunſt kommt, macht
einfach die Weiberſchar, die ſich zu ihm gefunden hat, zu ſeiner
Kollektivfrau.
Die polygamiſche Ehe iſt hier überall ein Produkt der
außerehelichen Sozialgliederung, — am ſchärfſten im letzten
Falle, wo ſie einfach mit dieſer verſchwimmt. In der Polygamie
ſiehſt du hier zum erſtenmal den Einfluß der Sozialverbände
jenſeits der Ehe in dieſe Ehe hinein.
Und auch dieſen Weg kannſt du noch mit den ſinnfälligſten
Beiſpielen belegen, ja ſie ſind weitaus reichlicher als die ein¬
fachen Biſonfälle. Unſere Seebären waren ja ſchon ein poly¬
gamiſches Exempel. Die meiſten Wiederkäuergeſchichten aber
laufen auf die gleiche Melodie.
Wenn die Brunſt ſie packt, ſo erſcheinen die einſiedleriſchen
Gemsböcke plötzlich bei den Trupps der Geiſen. Um den Be¬
ſitz eines ſolchen Trupps, nicht einer Einzelgeis, geht der
Wunſch des Bockes und geht, wenn zwei Böcke ſich vor dem
gleichen Trupp begegnen, der erbitterte Kampf. Der Sieger
zieht mit dem ganzen Trupp ab.
Bei den Mufflons zerfällt mit der Brunſt die große,
doppelgeſchlechtige Schar in ſo viel kleinere Trupps, als er¬
wachſene Widder da ſind; jeder reſerviert ſich ſein Teil Schafe,
wobei der bisherige Leitwidder der ganzen Genoſſenſchaft
jedenfalls den Löwenanteil ſich erzwingt.
Bei den Guanakos (Lamas) ſorgt der Leithengſt immer
dafür, daß die jung anwachſenden männlichen Tiere in ſeiner
Herde verjagt werden, ſobald ſie mannbar werden, — ein deut¬
licher Beweis, daß er die Weiberſchar, die er leitet, nicht bloß
ſozial, ſondern ehelich, mit der Eiferſucht des Ehemanns, auffaßt.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/209>, abgerufen am 05.07.2024.
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