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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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tier, vielmehr auf ein weit höheres Kapitel deutet: nämlich
die Ehenotwendigkeit. Das Heringsweiblein sehnte sich, seine
Eier fallen zu lassen, noch vor der Befruchtung und erst zum
Zweck, daß diese erfolge. Frau Robbe aber trägt längst ein
befruchtetes Ei in sich, aus dem hat sich in ihrem warmen
Nestbauche ganz allmählich in den acht Monaten ein großes
junges Seebärlein entwickelt, das jetzt anpocht und heraus
will. Es will geboren sein, will dann gesäugt sein, beschützt
sein. Das fordert eine Wochenstube, eine Wiege, ein sorgendes
Elternpaar. Und dazu zunächst strebt die hochschwangere
Seebärin ans Land, nachdem sie die vielen Monate ohne Be¬
schwer ihre langsam zunehmende Schwangerschaft durch die
Wellen der Hochsee getragen hat. Was dann weiter noch, zu
fernerem Liebesleben, am Lande sich zutragen mag, das tritt
einstweilen noch dunkel für sie in den Hintergrund vor diesem
Zweck. Unsere Robbin befindet sich eben genau in der Lage
des armen Mädchens, das dicht vor der Niederkunft sagt: es
muß jetzt geheiratet werden um jeden Preis. Bloß daß das
im Robbenvolk keine anstößige, sondern die hergebrachte, sozu¬
sagen heilige Sache ist. Die Schwangerschaft, nach Säugerart
endlos über dreiviertel Jahr ausgedehnt, brauchte keine Ehe.
Aber jetzt wird's Zeit dazu, also heim ans Land.

Fest vorgeschrieben ist der Weg.

Denn das "Land" ist unter allen Umständen das Geburts¬
land, -- für jedes Individium der ganz bestimmte Fleck, das
Inselchen, der Felsblock, wo es geboren worden ist. Jahr um
Jahr geht es dahin "heim." Auf der St. Pauls-Insel im
Beringsmeer fiel ein Seebär den Leuten auf: es fehlte ihm
nämlich eine Vorderflosse. Im nächsten Jahr zur rechten Zeit
lag er auf dem gleichen Block. Und das siebzehn Jahre so
hindurch! Unwillkürlich schweift der Blick wieder über die
blaue Wasserseite des Globus. Das ist das Revier -- und
dann doch siebzehn Jahre lang im April der gleiche Block!

Die Ankunft der Robben vollzieht sich in derselben feier¬

tier, vielmehr auf ein weit höheres Kapitel deutet: nämlich
die Ehenotwendigkeit. Das Heringsweiblein ſehnte ſich, ſeine
Eier fallen zu laſſen, noch vor der Befruchtung und erſt zum
Zweck, daß dieſe erfolge. Frau Robbe aber trägt längſt ein
befruchtetes Ei in ſich, aus dem hat ſich in ihrem warmen
Neſtbauche ganz allmählich in den acht Monaten ein großes
junges Seebärlein entwickelt, das jetzt anpocht und heraus
will. Es will geboren ſein, will dann geſäugt ſein, beſchützt
ſein. Das fordert eine Wochenſtube, eine Wiege, ein ſorgendes
Elternpaar. Und dazu zunächſt ſtrebt die hochſchwangere
Seebärin ans Land, nachdem ſie die vielen Monate ohne Be¬
ſchwer ihre langſam zunehmende Schwangerſchaft durch die
Wellen der Hochſee getragen hat. Was dann weiter noch, zu
fernerem Liebesleben, am Lande ſich zutragen mag, das tritt
einſtweilen noch dunkel für ſie in den Hintergrund vor dieſem
Zweck. Unſere Robbin befindet ſich eben genau in der Lage
des armen Mädchens, das dicht vor der Niederkunft ſagt: es
muß jetzt geheiratet werden um jeden Preis. Bloß daß das
im Robbenvolk keine anſtößige, ſondern die hergebrachte, ſozu¬
ſagen heilige Sache iſt. Die Schwangerſchaft, nach Säugerart
endlos über dreiviertel Jahr ausgedehnt, brauchte keine Ehe.
Aber jetzt wird's Zeit dazu, alſo heim ans Land.

Feſt vorgeſchrieben iſt der Weg.

Denn das „Land“ iſt unter allen Umſtänden das Geburts¬
land, — für jedes Individium der ganz beſtimmte Fleck, das
Inſelchen, der Felsblock, wo es geboren worden iſt. Jahr um
Jahr geht es dahin „heim.“ Auf der St. Pauls-Inſel im
Beringsmeer fiel ein Seebär den Leuten auf: es fehlte ihm
nämlich eine Vorderfloſſe. Im nächſten Jahr zur rechten Zeit
lag er auf dem gleichen Block. Und das ſiebzehn Jahre ſo
hindurch! Unwillkürlich ſchweift der Blick wieder über die
blaue Waſſerſeite des Globus. Das iſt das Revier — und
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[175/0189] tier, vielmehr auf ein weit höheres Kapitel deutet: nämlich die Ehenotwendigkeit. Das Heringsweiblein ſehnte ſich, ſeine Eier fallen zu laſſen, noch vor der Befruchtung und erſt zum Zweck, daß dieſe erfolge. Frau Robbe aber trägt längſt ein befruchtetes Ei in ſich, aus dem hat ſich in ihrem warmen Neſtbauche ganz allmählich in den acht Monaten ein großes junges Seebärlein entwickelt, das jetzt anpocht und heraus will. Es will geboren ſein, will dann geſäugt ſein, beſchützt ſein. Das fordert eine Wochenſtube, eine Wiege, ein ſorgendes Elternpaar. Und dazu zunächſt ſtrebt die hochſchwangere Seebärin ans Land, nachdem ſie die vielen Monate ohne Be¬ ſchwer ihre langſam zunehmende Schwangerſchaft durch die Wellen der Hochſee getragen hat. Was dann weiter noch, zu fernerem Liebesleben, am Lande ſich zutragen mag, das tritt einſtweilen noch dunkel für ſie in den Hintergrund vor dieſem Zweck. Unſere Robbin befindet ſich eben genau in der Lage des armen Mädchens, das dicht vor der Niederkunft ſagt: es muß jetzt geheiratet werden um jeden Preis. Bloß daß das im Robbenvolk keine anſtößige, ſondern die hergebrachte, ſozu¬ ſagen heilige Sache iſt. Die Schwangerſchaft, nach Säugerart endlos über dreiviertel Jahr ausgedehnt, brauchte keine Ehe. Aber jetzt wird's Zeit dazu, alſo heim ans Land. Feſt vorgeſchrieben iſt der Weg. Denn das „Land“ iſt unter allen Umſtänden das Geburts¬ land, — für jedes Individium der ganz beſtimmte Fleck, das Inſelchen, der Felsblock, wo es geboren worden iſt. Jahr um Jahr geht es dahin „heim.“ Auf der St. Pauls-Inſel im Beringsmeer fiel ein Seebär den Leuten auf: es fehlte ihm nämlich eine Vorderfloſſe. Im nächſten Jahr zur rechten Zeit lag er auf dem gleichen Block. Und das ſiebzehn Jahre ſo hindurch! Unwillkürlich ſchweift der Blick wieder über die blaue Waſſerſeite des Globus. Das iſt das Revier — und dann doch ſiebzehn Jahre lang im April der gleiche Block! Die Ankunft der Robben vollzieht ſich in derſelben feier¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/189>, abgerufen am 23.11.2024.