Da auf einmal tauchen wie in der skandinavischen Sturm¬ nacht von der Hochsee her anschwimmende Tiere auf, große Meersäugetiere, die wie die Ochsen brüllen: nämlich alte männliche Seebären.
Sie erscheinen als Vorboten einer geheimnisvollen Wander¬ schaft. Acht Monate jetzt hat sich dieses Robbenvolk frei in der Meeresweite herumgetrieben, -- in diesem ungeheueren Meer, das nach Süden abermals bis zum Pol flutet, an Koralleninseln mit wehenden Palmen und Bananen vorbei bis in die wilde Öde, wo nur die schwarzweißen Pinguine noch in langer Reihe auf einem kristallblauen Eisberge dahinsegeln. Dort wußten sie von Liebe nichts, von Ehe nichts. Höchstens von einer allgemeinen harmlosen Geselligkeit. Da aber, ge¬ nau wie bei den Heringen, regt sich in beiden Geschlechtern plötzlich ein unhemmbarer Drang.
Ans Land!
Es ist wie ein Besinnen auf die uralte Säugetierheimat, -- Melusine, die sich plötzlich erinnert, das sie einmal Mensch war .... Aber mehr. Zurück zur eigenen Jugendstätte! Jedes ist in ersten Tagen einmal am Lande gewesen, hat dort das Licht der Welt individuell erblickt. Das mag die Jüngeren besonders dunkel ziehen. In den Älteren, den Lebensreifen, arbeitet dagegen noch etwas ganz besonderes, etwas noch "lebendigeres."
Es ist bei Mann und Weib zunächst verschieden, grade darin aber hat es eine echte Heringsähnlichkeit,
Der Robbenmann fühlt Liebessehnsucht im Sinne des Heringsmännchens: seine Brunst ist erwacht, seine Zeugungs¬ zellen wollen auf die große Wanderschaft zur Unsterblichkeit der Art.
Das Robbenweib dagegen fühlt einen Drang, der aller¬ dings auch durchaus dem des weiblichen Herings entspricht und der dort, beim Heringsfrauchen, in der That ebenfalls mit dem Begriff der Liebe zusammenfiel, -- der aber hier, beim Säuge¬
Da auf einmal tauchen wie in der ſkandinaviſchen Sturm¬ nacht von der Hochſee her anſchwimmende Tiere auf, große Meerſäugetiere, die wie die Ochſen brüllen: nämlich alte männliche Seebären.
Sie erſcheinen als Vorboten einer geheimnisvollen Wander¬ ſchaft. Acht Monate jetzt hat ſich dieſes Robbenvolk frei in der Meeresweite herumgetrieben, — in dieſem ungeheueren Meer, das nach Süden abermals bis zum Pol flutet, an Koralleninſeln mit wehenden Palmen und Bananen vorbei bis in die wilde Öde, wo nur die ſchwarzweißen Pinguine noch in langer Reihe auf einem kriſtallblauen Eisberge dahinſegeln. Dort wußten ſie von Liebe nichts, von Ehe nichts. Höchſtens von einer allgemeinen harmloſen Geſelligkeit. Da aber, ge¬ nau wie bei den Heringen, regt ſich in beiden Geſchlechtern plötzlich ein unhemmbarer Drang.
Ans Land!
Es iſt wie ein Beſinnen auf die uralte Säugetierheimat, — Meluſine, die ſich plötzlich erinnert, das ſie einmal Menſch war .... Aber mehr. Zurück zur eigenen Jugendſtätte! Jedes iſt in erſten Tagen einmal am Lande geweſen, hat dort das Licht der Welt individuell erblickt. Das mag die Jüngeren beſonders dunkel ziehen. In den Älteren, den Lebensreifen, arbeitet dagegen noch etwas ganz beſonderes, etwas noch „lebendigeres.“
Es iſt bei Mann und Weib zunächſt verſchieden, grade darin aber hat es eine echte Heringsähnlichkeit,
Der Robbenmann fühlt Liebesſehnſucht im Sinne des Heringsmännchens: ſeine Brunſt iſt erwacht, ſeine Zeugungs¬ zellen wollen auf die große Wanderſchaft zur Unſterblichkeit der Art.
Das Robbenweib dagegen fühlt einen Drang, der aller¬ dings auch durchaus dem des weiblichen Herings entſpricht und der dort, beim Heringsfrauchen, in der That ebenfalls mit dem Begriff der Liebe zuſammenfiel, — der aber hier, beim Säuge¬
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0188"n="174"/><p>Da auf einmal tauchen wie in der ſkandinaviſchen Sturm¬<lb/>
nacht von der Hochſee her anſchwimmende Tiere auf, große<lb/>
Meerſäugetiere, die wie die Ochſen brüllen: nämlich alte<lb/>
männliche Seebären.</p><lb/><p>Sie erſcheinen als Vorboten einer geheimnisvollen Wander¬<lb/>ſchaft. Acht Monate jetzt hat ſich dieſes Robbenvolk frei in<lb/>
der Meeresweite herumgetrieben, — in dieſem ungeheueren<lb/>
Meer, das nach Süden abermals bis zum Pol flutet, an<lb/>
Koralleninſeln mit wehenden Palmen und Bananen vorbei bis<lb/>
in die wilde Öde, wo nur die ſchwarzweißen Pinguine noch in<lb/>
langer Reihe auf einem kriſtallblauen Eisberge dahinſegeln.<lb/>
Dort wußten ſie von Liebe nichts, von Ehe nichts. Höchſtens<lb/>
von einer allgemeinen harmloſen Geſelligkeit. Da aber, ge¬<lb/>
nau wie bei den Heringen, regt ſich in beiden Geſchlechtern<lb/>
plötzlich ein unhemmbarer Drang.<lb/></p><p>Ans Land!</p><lb/><p>Es iſt wie ein Beſinnen auf die uralte Säugetierheimat,<lb/>— Meluſine, die ſich plötzlich erinnert, das ſie einmal Menſch<lb/>
war .... Aber mehr. Zurück zur eigenen Jugendſtätte! Jedes<lb/>
iſt in erſten Tagen einmal am Lande geweſen, hat dort das<lb/>
Licht der Welt individuell erblickt. Das mag die Jüngeren<lb/>
beſonders dunkel ziehen. In den Älteren, den Lebensreifen,<lb/>
arbeitet dagegen noch etwas ganz beſonderes, etwas noch<lb/>„lebendigeres.“</p><lb/><p>Es iſt bei Mann und Weib zunächſt verſchieden, grade<lb/>
darin aber hat es eine echte Heringsähnlichkeit,</p><lb/><p>Der Robbenmann fühlt Liebesſehnſucht im Sinne des<lb/>
Heringsmännchens: ſeine Brunſt iſt erwacht, ſeine Zeugungs¬<lb/>
zellen wollen auf die große Wanderſchaft zur Unſterblichkeit<lb/>
der Art.</p><lb/><p>Das Robbenweib dagegen fühlt einen Drang, der aller¬<lb/>
dings auch durchaus dem des weiblichen Herings entſpricht und<lb/>
der dort, beim Heringsfrauchen, in der That ebenfalls mit dem<lb/>
Begriff der Liebe zuſammenfiel, — der aber hier, beim Säuge¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[174/0188]
Da auf einmal tauchen wie in der ſkandinaviſchen Sturm¬
nacht von der Hochſee her anſchwimmende Tiere auf, große
Meerſäugetiere, die wie die Ochſen brüllen: nämlich alte
männliche Seebären.
Sie erſcheinen als Vorboten einer geheimnisvollen Wander¬
ſchaft. Acht Monate jetzt hat ſich dieſes Robbenvolk frei in
der Meeresweite herumgetrieben, — in dieſem ungeheueren
Meer, das nach Süden abermals bis zum Pol flutet, an
Koralleninſeln mit wehenden Palmen und Bananen vorbei bis
in die wilde Öde, wo nur die ſchwarzweißen Pinguine noch in
langer Reihe auf einem kriſtallblauen Eisberge dahinſegeln.
Dort wußten ſie von Liebe nichts, von Ehe nichts. Höchſtens
von einer allgemeinen harmloſen Geſelligkeit. Da aber, ge¬
nau wie bei den Heringen, regt ſich in beiden Geſchlechtern
plötzlich ein unhemmbarer Drang.
Ans Land!
Es iſt wie ein Beſinnen auf die uralte Säugetierheimat,
— Meluſine, die ſich plötzlich erinnert, das ſie einmal Menſch
war .... Aber mehr. Zurück zur eigenen Jugendſtätte! Jedes
iſt in erſten Tagen einmal am Lande geweſen, hat dort das
Licht der Welt individuell erblickt. Das mag die Jüngeren
beſonders dunkel ziehen. In den Älteren, den Lebensreifen,
arbeitet dagegen noch etwas ganz beſonderes, etwas noch
„lebendigeres.“
Es iſt bei Mann und Weib zunächſt verſchieden, grade
darin aber hat es eine echte Heringsähnlichkeit,
Der Robbenmann fühlt Liebesſehnſucht im Sinne des
Heringsmännchens: ſeine Brunſt iſt erwacht, ſeine Zeugungs¬
zellen wollen auf die große Wanderſchaft zur Unſterblichkeit
der Art.
Das Robbenweib dagegen fühlt einen Drang, der aller¬
dings auch durchaus dem des weiblichen Herings entſpricht und
der dort, beim Heringsfrauchen, in der That ebenfalls mit dem
Begriff der Liebe zuſammenfiel, — der aber hier, beim Säuge¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/188>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.