Lunge blieb anstatt Fischkieme. Auch bei ihnen, wie beim Maulwurf, wie beim Menschen selbst, war das erste Nest, wo die Eier befruchtet, gelegt, ausgebrütet wurden, das tiefversteckte Innere des Mutterleibes. Mit diesem Nestlein in der Gebärmutter mußte das Fischsäugetier seine Wasserstiefen durchschwimmen. Noch mehr aber: wenn das Junge kam oder, je nachdem, die Jungen, so wollten sie am Euter des Weibes mit warmer Muttermilch gesäugt sein. Und schon die Begattung selber: sie wollte vollzogen sein nach der ganzen komplizierten Art, wie wir sie durch Pforte, Glied und Innenanschluß entstehen sahen bis zum höheren Säugetier herauf.
Das äußerste Wunder hat da der Walfisch und sein Ge¬ schlecht vollbracht: ihm fällt nicht nur die Zeugung, sondern auch die Säugung in sein Bereich, den Ozean. Wo aber das Seesäugetier noch ein klein wenig mehr am Lande haftete, wenigstens zeitweise noch freiwillig mit unbehilflicher Flosse einen Inselfels oder Strand zu erklettern verstand, da machte sich das Liebesleben noch das Hilfsprinzip zu Nutze. Und hier ist es, wo der Liebesroman der Robbe einsetzt, des Seehundes.
Wenn du gegen einen großen Erdglobus so schaust, daß der Stille Ozean sich dir gerade entgegenwölbt, dann er¬ scheint diese Erde wie eine blaue Kugel, ein einheitlicher Wasserplanet. Über dieses ganze Wasserantlitz aber dehnt sich die Heimat der Robbe, die man "Seebär" nennt. Sie ist eng verwandt mit dem Seelöwen, den heute jeder Zoologische Garten zeigt, etwas kleiner, immerhin im alten Manne aber auch noch ihre drei Meter lang.
In seinem ersten Aufgang ist es wirklich fast, als wieder¬ hole das Liebesleben des Seebären den tollen Heringsspuk.
Da ist droben im Beringsmeer, wo Amerika und Asien aufeinander zueilen, der Frühling erwacht. Auf den Inseln ist der Schnee getaut und die See liegt eisfrei. Um die Mitte des April mag es sein.
Lunge blieb anſtatt Fiſchkieme. Auch bei ihnen, wie beim Maulwurf, wie beim Menſchen ſelbſt, war das erſte Neſt, wo die Eier befruchtet, gelegt, ausgebrütet wurden, das tiefverſteckte Innere des Mutterleibes. Mit dieſem Neſtlein in der Gebärmutter mußte das Fiſchſäugetier ſeine Waſſerstiefen durchſchwimmen. Noch mehr aber: wenn das Junge kam oder, je nachdem, die Jungen, ſo wollten ſie am Euter des Weibes mit warmer Muttermilch geſäugt ſein. Und ſchon die Begattung ſelber: ſie wollte vollzogen ſein nach der ganzen komplizierten Art, wie wir ſie durch Pforte, Glied und Innenanſchluß entſtehen ſahen bis zum höheren Säugetier herauf.
Das äußerſte Wunder hat da der Walfiſch und ſein Ge¬ ſchlecht vollbracht: ihm fällt nicht nur die Zeugung, ſondern auch die Säugung in ſein Bereich, den Ozean. Wo aber das Seeſäugetier noch ein klein wenig mehr am Lande haftete, wenigſtens zeitweiſe noch freiwillig mit unbehilflicher Floſſe einen Inſelfels oder Strand zu erklettern verſtand, da machte ſich das Liebesleben noch das Hilfsprinzip zu Nutze. Und hier iſt es, wo der Liebesroman der Robbe einſetzt, des Seehundes.
Wenn du gegen einen großen Erdglobus ſo ſchauſt, daß der Stille Ozean ſich dir gerade entgegenwölbt, dann er¬ ſcheint dieſe Erde wie eine blaue Kugel, ein einheitlicher Waſſerplanet. Über dieſes ganze Waſſerantlitz aber dehnt ſich die Heimat der Robbe, die man „Seebär“ nennt. Sie iſt eng verwandt mit dem Seelöwen, den heute jeder Zoologiſche Garten zeigt, etwas kleiner, immerhin im alten Manne aber auch noch ihre drei Meter lang.
In ſeinem erſten Aufgang iſt es wirklich faſt, als wieder¬ hole das Liebesleben des Seebären den tollen Heringsſpuk.
Da iſt droben im Beringsmeer, wo Amerika und Aſien aufeinander zueilen, der Frühling erwacht. Auf den Inſeln iſt der Schnee getaut und die See liegt eisfrei. Um die Mitte des April mag es ſein.
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Lunge blieb anſtatt Fiſchkieme. Auch bei ihnen, wie beim
Maulwurf, wie beim Menſchen ſelbſt, war das erſte Neſt, wo
die Eier befruchtet, gelegt, ausgebrütet wurden, das tiefverſteckte
Innere des Mutterleibes. Mit dieſem Neſtlein in der Gebärmutter
mußte das Fiſchſäugetier ſeine Waſſerstiefen durchſchwimmen.
Noch mehr aber: wenn das Junge kam oder, je nachdem, die
Jungen, ſo wollten ſie am Euter des Weibes mit warmer
Muttermilch geſäugt ſein. Und ſchon die Begattung ſelber: ſie
wollte vollzogen ſein nach der ganzen komplizierten Art, wie
wir ſie durch Pforte, Glied und Innenanſchluß entſtehen ſahen
bis zum höheren Säugetier herauf.
Das äußerſte Wunder hat da der Walfiſch und ſein Ge¬
ſchlecht vollbracht: ihm fällt nicht nur die Zeugung, ſondern
auch die Säugung in ſein Bereich, den Ozean. Wo aber das
Seeſäugetier noch ein klein wenig mehr am Lande haftete,
wenigſtens zeitweiſe noch freiwillig mit unbehilflicher Floſſe
einen Inſelfels oder Strand zu erklettern verſtand, da machte
ſich das Liebesleben noch das Hilfsprinzip zu Nutze. Und
hier iſt es, wo der Liebesroman der Robbe einſetzt, des
Seehundes.
Wenn du gegen einen großen Erdglobus ſo ſchauſt,
daß der Stille Ozean ſich dir gerade entgegenwölbt, dann er¬
ſcheint dieſe Erde wie eine blaue Kugel, ein einheitlicher
Waſſerplanet. Über dieſes ganze Waſſerantlitz aber dehnt ſich
die Heimat der Robbe, die man „Seebär“ nennt. Sie iſt
eng verwandt mit dem Seelöwen, den heute jeder Zoologiſche
Garten zeigt, etwas kleiner, immerhin im alten Manne aber
auch noch ihre drei Meter lang.
In ſeinem erſten Aufgang iſt es wirklich faſt, als wieder¬
hole das Liebesleben des Seebären den tollen Heringsſpuk.
Da iſt droben im Beringsmeer, wo Amerika und Aſien
aufeinander zueilen, der Frühling erwacht. Auf den Inſeln
iſt der Schnee getaut und die See liegt eisfrei. Um die Mitte
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/187>, abgerufen am 23.11.2024.
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