wasser, unserm alten Freund vom Frühlingssee. Entsprechend vollzieht sich bei ihm die Mischliebe so, daß beide Hälften des Liebesindividuums sich im Wasser hoch aufrichten und die schneeig weiß befiederten Brüste und Bäuche gegeneinander pressen. Das ebenfalls aufrecht gestellte Beuteltier Känguruh umarmt seinen Liebespartner dabei noch mit den Vorderbeinen und stützt sich gleichzeitig hinterwärts auf den mächtig entwickelten Schwanz. Wo diese Stütze fehlt, ist es klar, daß der Weg mehr oder minder ausgesprochen zur Rückenlage des weiblichen Liebesindividuums leiten mußte.
Beim Orang Utan findest du eine hockende Stellung. Absolut ausgesprochen im Sinne eines festen Artmerkmals ist der Schritt vom Menschen gar nicht vollzogen worden. Bei den verschiedenen wilden Völkerstämmen von heute zeigen sich ganz verschiedene Bräuche, die schließlich so ziemlich an alle tierischen Methoden anklingen. Bei den Bewohnern Kamt¬ schatkas, die der alte Steller im achtzehnten Jahrhundert be¬ sucht und so meisterhaft geschildert hat, den Itälmenen, ist bei¬ spielsweise die Seitenlage religiös geschützt. Die Fische, die uns die Nahrung geben, sagten sie Steller, machen es ja auch so. Auf den Aaru-Inseln und in Queensland gilt der Brauch des Orang. Leonardo da Vinci, der große Maler und Natur¬ forscher, dem kein Ding im Kosmos zu gering oder schlecht schien, sich nicht mit der ganzen Hingabe des wahren Philo¬ sophen ihm zu widmen, hat in sorgfältigen anatomischen Zeichnungen seiner Zeit schon wissenschaftlich zu ergründen ver¬ sucht, welche Stellung gleichsam mathematisch die normale sei. Die unruhige, eklektische Phantasie der Kultur ist aber hier wie überall aufs vage Experimentieren gegangen, ohne doch, wie gesagt, irgendwie über das Tier hinaus zu kommen.
Hatte die Mischliebe aber ihre Schuldigkeit gethan, so reifte das Menschenweib sein Kindlein aus ganz genau wie das höhere Säugetier. Wie die Mischliebe sich immer tiefer in den Mutterleib zurückgezogen, so hatte ja in der Entwickelung
waſſer, unſerm alten Freund vom Frühlingsſee. Entſprechend vollzieht ſich bei ihm die Miſchliebe ſo, daß beide Hälften des Liebesindividuums ſich im Waſſer hoch aufrichten und die ſchneeig weiß befiederten Brüſte und Bäuche gegeneinander preſſen. Das ebenfalls aufrecht geſtellte Beuteltier Känguruh umarmt ſeinen Liebespartner dabei noch mit den Vorderbeinen und ſtützt ſich gleichzeitig hinterwärts auf den mächtig entwickelten Schwanz. Wo dieſe Stütze fehlt, iſt es klar, daß der Weg mehr oder minder ausgeſprochen zur Rückenlage des weiblichen Liebesindividuums leiten mußte.
Beim Orang Utan findeſt du eine hockende Stellung. Abſolut ausgeſprochen im Sinne eines feſten Artmerkmals iſt der Schritt vom Menſchen gar nicht vollzogen worden. Bei den verſchiedenen wilden Völkerſtämmen von heute zeigen ſich ganz verſchiedene Bräuche, die ſchließlich ſo ziemlich an alle tieriſchen Methoden anklingen. Bei den Bewohnern Kamt¬ ſchatkas, die der alte Steller im achtzehnten Jahrhundert be¬ ſucht und ſo meiſterhaft geſchildert hat, den Itälmenen, iſt bei¬ ſpielsweiſe die Seitenlage religiös geſchützt. Die Fiſche, die uns die Nahrung geben, ſagten ſie Steller, machen es ja auch ſo. Auf den Aaru-Inſeln und in Queensland gilt der Brauch des Orang. Leonardo da Vinci, der große Maler und Natur¬ forſcher, dem kein Ding im Kosmos zu gering oder ſchlecht ſchien, ſich nicht mit der ganzen Hingabe des wahren Philo¬ ſophen ihm zu widmen, hat in ſorgfältigen anatomiſchen Zeichnungen ſeiner Zeit ſchon wiſſenſchaftlich zu ergründen ver¬ ſucht, welche Stellung gleichſam mathematiſch die normale ſei. Die unruhige, eklektiſche Phantaſie der Kultur iſt aber hier wie überall aufs vage Experimentieren gegangen, ohne doch, wie geſagt, irgendwie über das Tier hinaus zu kommen.
Hatte die Miſchliebe aber ihre Schuldigkeit gethan, ſo reifte das Menſchenweib ſein Kindlein aus ganz genau wie das höhere Säugetier. Wie die Miſchliebe ſich immer tiefer in den Mutterleib zurückgezogen, ſo hatte ja in der Entwickelung
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0105"n="91"/>
waſſer, unſerm alten Freund vom Frühlingsſee. Entſprechend<lb/>
vollzieht ſich bei ihm die Miſchliebe ſo, daß beide Hälften des<lb/>
Liebesindividuums ſich im Waſſer hoch aufrichten und die ſchneeig<lb/>
weiß befiederten Brüſte und Bäuche gegeneinander preſſen.<lb/>
Das ebenfalls aufrecht geſtellte Beuteltier Känguruh umarmt<lb/>ſeinen Liebespartner dabei noch mit den Vorderbeinen und<lb/>ſtützt ſich gleichzeitig hinterwärts auf den mächtig entwickelten<lb/>
Schwanz. Wo dieſe Stütze fehlt, iſt es klar, daß der Weg<lb/>
mehr oder minder ausgeſprochen zur Rückenlage des weiblichen<lb/>
Liebesindividuums leiten mußte.</p><lb/><p>Beim Orang Utan findeſt du eine hockende Stellung.<lb/>
Abſolut ausgeſprochen im Sinne eines feſten Artmerkmals iſt<lb/>
der Schritt vom Menſchen gar nicht vollzogen worden. Bei<lb/>
den verſchiedenen wilden Völkerſtämmen von heute zeigen ſich<lb/>
ganz verſchiedene Bräuche, die ſchließlich ſo ziemlich an alle<lb/>
tieriſchen Methoden anklingen. Bei den Bewohnern Kamt¬<lb/>ſchatkas, die der alte Steller im achtzehnten Jahrhundert be¬<lb/>ſucht und ſo meiſterhaft geſchildert hat, den Itälmenen, iſt bei¬<lb/>ſpielsweiſe die Seitenlage religiös geſchützt. Die Fiſche, die<lb/>
uns die Nahrung geben, ſagten ſie Steller, machen es ja auch<lb/>ſo. Auf den Aaru-Inſeln und in Queensland gilt der Brauch<lb/>
des Orang. Leonardo da Vinci, der große Maler und Natur¬<lb/>
forſcher, dem kein Ding im Kosmos zu gering oder ſchlecht<lb/>ſchien, ſich nicht mit der ganzen Hingabe des wahren Philo¬<lb/>ſophen ihm zu widmen, hat in ſorgfältigen anatomiſchen<lb/>
Zeichnungen ſeiner Zeit ſchon wiſſenſchaftlich zu ergründen ver¬<lb/>ſucht, welche Stellung gleichſam mathematiſch die normale ſei.<lb/>
Die unruhige, eklektiſche Phantaſie der Kultur iſt aber hier<lb/>
wie überall aufs vage Experimentieren gegangen, ohne doch,<lb/>
wie geſagt, irgendwie über das Tier hinaus zu kommen.</p><lb/><p>Hatte die Miſchliebe aber ihre Schuldigkeit gethan, ſo<lb/>
reifte das Menſchenweib ſein Kindlein aus ganz genau wie<lb/>
das höhere Säugetier. Wie die Miſchliebe ſich immer tiefer<lb/>
in den Mutterleib zurückgezogen, ſo hatte ja in der Entwickelung<lb/></p></div></body></text></TEI>
[91/0105]
waſſer, unſerm alten Freund vom Frühlingsſee. Entſprechend
vollzieht ſich bei ihm die Miſchliebe ſo, daß beide Hälften des
Liebesindividuums ſich im Waſſer hoch aufrichten und die ſchneeig
weiß befiederten Brüſte und Bäuche gegeneinander preſſen.
Das ebenfalls aufrecht geſtellte Beuteltier Känguruh umarmt
ſeinen Liebespartner dabei noch mit den Vorderbeinen und
ſtützt ſich gleichzeitig hinterwärts auf den mächtig entwickelten
Schwanz. Wo dieſe Stütze fehlt, iſt es klar, daß der Weg
mehr oder minder ausgeſprochen zur Rückenlage des weiblichen
Liebesindividuums leiten mußte.
Beim Orang Utan findeſt du eine hockende Stellung.
Abſolut ausgeſprochen im Sinne eines feſten Artmerkmals iſt
der Schritt vom Menſchen gar nicht vollzogen worden. Bei
den verſchiedenen wilden Völkerſtämmen von heute zeigen ſich
ganz verſchiedene Bräuche, die ſchließlich ſo ziemlich an alle
tieriſchen Methoden anklingen. Bei den Bewohnern Kamt¬
ſchatkas, die der alte Steller im achtzehnten Jahrhundert be¬
ſucht und ſo meiſterhaft geſchildert hat, den Itälmenen, iſt bei¬
ſpielsweiſe die Seitenlage religiös geſchützt. Die Fiſche, die
uns die Nahrung geben, ſagten ſie Steller, machen es ja auch
ſo. Auf den Aaru-Inſeln und in Queensland gilt der Brauch
des Orang. Leonardo da Vinci, der große Maler und Natur¬
forſcher, dem kein Ding im Kosmos zu gering oder ſchlecht
ſchien, ſich nicht mit der ganzen Hingabe des wahren Philo¬
ſophen ihm zu widmen, hat in ſorgfältigen anatomiſchen
Zeichnungen ſeiner Zeit ſchon wiſſenſchaftlich zu ergründen ver¬
ſucht, welche Stellung gleichſam mathematiſch die normale ſei.
Die unruhige, eklektiſche Phantaſie der Kultur iſt aber hier
wie überall aufs vage Experimentieren gegangen, ohne doch,
wie geſagt, irgendwie über das Tier hinaus zu kommen.
Hatte die Miſchliebe aber ihre Schuldigkeit gethan, ſo
reifte das Menſchenweib ſein Kindlein aus ganz genau wie
das höhere Säugetier. Wie die Miſchliebe ſich immer tiefer
in den Mutterleib zurückgezogen, ſo hatte ja in der Entwickelung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/105>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.